STRATTON: DIE GEISEL. Duncan Falconer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Duncan Falconer
Издательство: Bookwire
Серия: Stratton
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352827
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Nacht Dienst gehabt. Das Team war zu einer Überwachung in Warrenpoint am südöstlichen Ende der Provinz gewesen. Danach hatte sich das Team zurück auf den Weg zum Stützpunkt gemacht. Zu dieser Nachtzeit hätte die Rückreise höchstens anderthalb Stunden dauern sollen. Graham hatte nach fünfzehn Minuten um Funkkontakt gebeten, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung war. Aufgrund der Hintergrundgeräusche hatte es sich so angehört, als seien alle Agenten mit hoher Geschwindigkeit in ihren Autos unterwegs gewesen; alle außer Stratton, der klang, als würde er das Funkgerät an seinem Körper benutzen. Graham kam es so vor, als wäre Stratton nicht in seinem Wagen gewesen und daher auch noch nicht auf dem Rückweg. Er wagte es nicht, Stratton zu fragen, was er tat. So mutig war er dann doch nicht.

      Zwanzig Minuten nachdem das Team angekommen war, hatte Graham auf dem Überwachungsmonitor gesehen, wie Stratton durch den Haupteingang auf das Gelände gefahren war. Am nächsten Morgen war die Leiche eines Mannes am Rande des alten Marktviertels in Warrenpoint gefunden worden. Er war erst bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden und dann hatte ihm jemand das Genick gebrochen. Es war Matthew McGinnis gewesen, ein Scharfschütze der RIRA, der drei Polizisten und zwei Soldaten erschossen hatte und außerdem verdächtigt wurde, an vier weiteren Morden beteiligt gewesen zu sein.

      Graham war klar, dass die meisten Gerüchte über Stratton reine Fiktion waren, aber er glaubte, der Agent sei fähig, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen. Seit dem Tod von McGinnis hatte Graham genauer hingehört, wenn Stratton mal einen seiner seltenen Kommentare über den Krieg gegen die IRA abgegeben hatte. Oft wies zumindest sein Tonfall darauf hin, dass er das Vorgehen der Justiz gegenüber den eingefleischten Terroristen für zu lax hielt.

      »Wir haben einen möglichen Op Kuttuc«, sagte Graham zu ihm.

      Stratton bewegte sich schnell, aber unaufgeregt und ohne eine Miene zu verziehen. Er ergriff eine schwere, abgetragene Lederjacke von einem Stuhl und zog sie an, als Graham einen Schritt zur Seite machte, um ihn vorbeizulassen.

      »Es ist Spinks. Four Two Charlie«, fuhr Graham fort. »Wir haben den Kontakt verloren und er bewegt sich schnell nach Süden, immer noch im Kofferraum des Wagens.«

      Graham fragte sich, ob Stratton wohl jemals wegen irgendwas in Panik geriet. Er hatte ihn schon wütend gesehen, aber nie, dass er die Kontrolle verlor. Sie gingen den Korridor entlang, Graham trottete hinter Stratton her.

      »Hubschrauber auf Abruf?«, fragte Stratton in seiner üblichen, kurz gefassten Art, als er die Ecke zum Einsatzraum umrundete.

      »Der sollte bereitstehen.«

      Stratton blieb vor einem begehbaren Schrank kurz vor dem Einsatzraum stehen. Ein hölzerner Rahmen mit mehreren Fächern stand an einer Wand, wie Gepäckfächer ohne Türen, insgesamt 15, ein Fach für jeden Agenten. Er zog eine schwere, gefüllte Reisetasche aus seinem Fach.

      »Die Kirche?«, fragte Stratton.

      »Ja. One Three Kilo ist vor Ort und hat die Verfolgung aufgenommen.«

      »Die Lesbe?«, fragte er.

      »Und Ed.«

      »Dann ist es wohl egal, wer von denen den Wagen fährt, oder?«, sagte er und deutete damit an, dass Spinks wenig Hoffnung blieb.

      Kein Anflug von Humor war in Strattons trockener, monotoner Stimme zu hören, aber Graham kannte ihn gut genug und zwang sich zu einem leisen Lachen. Aggys Spitzname wurde normalerweise nur in ihrer Abwesenheit verwendet, auch wenn sich die Männer sicher waren oder zumindest hofften, dass sie keine war. Niemand hatte es bei ihr je weit gebracht, aber die meisten wollten es gern, selbst diejenigen, die etwas gegen Frauen in der Abteilung hatten. Graham fragte sich allerdings, ob zwischen ihr und Stratton etwas lief. Er hatte gesehen, dass er sie eines Abends angestarrt hatte, als alle in einer Bar etwas getrunken hatten und sie mit ein paar anderen Agenten auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes saß.

      Stratton nahm ein altes SLR, 7,62 mm, ein halbautomatisches Hochleistungsgewehr, vom obersten Regalbrett und ein paar 20er-Schachteln Munition. An der Waffe befestigt war ein schweres Objekt aus Metall in Größe und Form einer Grapefruit, aus dem ein Kabel mit einem Adapter am Ende ragte. Es war ein giroskopisches Stabilitätssystem, dafür gedacht, die Waffe in einem sich bewegenden oder vibrierenden Vehikel, etwa einem Helikopter, so ruhig wie möglich zu halten. Am Patronenauswurf der Waffe war ein kleiner Stoffbeutel befestigt, um verbrauchte Patronenhülsen aufzufangen, damit sie nicht in der Kabine umherflogen. Er lief den Korridor entlang zu einer Doppeltür und drückte sie auf. Graham blickte ihm hinterher und betätigte dann den Summer an der Tür des Einsatzraumes.

      Aggy fuhr mit einer Geschwindigkeit jenseits ihrer Fähigkeiten als Fahrerin die von Steinmauern und Hecken gesäumte schmale Landstraße entlang. Die Mauern hatte sie schon mehrmals gestreift und dabei einen Außenspiegel abgefahren. Ein endloser Strom an Kommentaren kam von Ed, die meisten in Form abgehackter oder nicht beendeter Ausrufe: »Tu … nicht!«, »Pass auf …«, »Vorsicht, VORSICHT!« Wäre Ed ehrlich genug gewesen, hätte er zugegeben, dass es ihm am liebsten gewesen wäre, sie hätte einfach das Auto angehalten, auch wenn sie gerade versuchten, Spinks' Leben zu retten. Hinter den Hecken zu beiden Seiten der Straße waren größtenteils Felder. Ab und an mal ein kleiner Wald, eine Farm oder ein paar Häuser. Bisher hatten sie erst ein Auto mit einem älteren Pärchen darin überholen müssen. Es war knapp gewesen, aber erstaunlicherweise hatten sie es geschafft, ohne den Wagen zu streifen, auch wenn Aggy dabei den Außenspiegel abgefahren hatte. Ed war fast vom Sitz gesprungen, als Aggy durch die winzige Lücke zwischen dem Auto und einer Steinmauer gefahren war.

      Spinks' Auto war noch weit voraus. Aggy konnte es ab und zu sehen, aber sie hatte nicht das Gefühl, näher heranzukommen. Wieder einmal fühlte sie sich so frustrierend nutzlos. So nutzlos, wie man es ihr während des Auswahlkurses vorgeworfen hatte. Sie wusste, die ständigen Sticheleien der Ausbilder waren Teil des Auswahlprozesses, der dazu gedacht war, ihre Selbstkontrolle zu testen und zu entwickeln und letztlich das Beste aus ihr herauszuholen, aber sie fragte sich oft, ob an den Kommentaren nicht doch etwas dran war. Schnell zu fahren war nie ihre Stärke gewesen. Auf dem Ausbildungskurs hatte sie drei Autos zu Schrott gefahren; bei einem der Unfälle hatte sie sich den Arm angebrochen. Sie war gewarnt worden. Sollte sie noch einen Totalschaden verursachen, würde man sie als Risiko für Operationen einschätzen und sie würde durch den Kurs fallen. Ihre letzte Übung war eine schnelle Verfolgungsjagd gewesen, die von den Ausbildern darauf angelegt war, sie zu testen. Sie hatte es ohne einen Fehler geschafft, aber mehr als einmal war es sehr knapp gewesen. Seit diesem Tag war sie nicht mehr so schnell gefahren, vielleicht war dies hier sogar noch schneller als damals – außerdem hatte sie den Eindruck, als hätte sie deutlich weniger Kontrolle. Sie versuchte, sich selbst anzuleiten, indem sie die Anweisungen ihres Fahrlehrers im Geist wiederholte: »Auf der Geraden bremsen, vor der Kurve, nicht in der Kurve. Nur ein bisschen schneller in die Kurve fahren, als man glaubt, dass es geht. Vorsicht mit dem Gas; nicht den Grip verlieren. Aus der Kurve beschleunigen.«

      »Richtung Orange fünf«, rief sie. Ed schien sie nicht gehört zu haben, seine Augen waren so weit aufgerissen, wie es nur möglich war, und starrten auf die Straße vor ihnen. Sie streckte die Hand nach dem Funkknopf aus, aber er stieß sie weg.

      »Behalt die Hände am Steuer! Ich kümmere mich um das verdammte Funkgerät!« Ed war einer der ruhigsten aller Agenten in der Abteilung und das auf nervtötende Art und Weise – zumindest, wenn die Arbeitsbedingungen entspannt waren. Autoverfolgungsjagden waren jedoch für ihn ein besonderer Horror. Er hasste es, in irgendetwas zu schnell unterwegs zu sein, außerhalb der Geschwindigkeit, die vorgesehen war. Viertürige Autos waren Familienfahrzeuge, für bequeme Fortbewegung gedacht, nicht um schmale Landstraßen damit entlangzurasen, besonders nicht mit einem Mädchen am Steuer, das offensichtlich keine Ahnung hatte, was es da tat. Seine letzte Verfolgungsjagd war zehn Jahre her. Damals hatte er das letzte Auto in einer Vierergruppe gefahren. Die Sache war so haarig geworden, dass er angehalten hatte und die anderen ohne ihn weitergefahren waren. Bei der Nachbesprechung hatte er zugegeben, dass er mit dem Tempo einfach nicht mithalten konnte. Seitdem hatte er nichts weiter als »softe« Aufträge bekommen. Das Problem war, dass irgendwann die Bequemlichkeit einsetzte, wenn man jahrelang nur sichere Jobs erledigte. Die wirklichen Gefahren des Berufs blieben zwar im Hinterkopf,