In der Einsatzzentrale donnerte Eds Stimme, in der die Angst deutlich hörbar war, aus den Lautsprechern. »One Three Kilo, Richtung Orange fünf.«
Im Einsatzraum war mittlerweile einiges los. Der Aufklärungsoffizier und seine zwei Helfer machten sich in der Aufklärungszentrale zu schaffen, die direkt neben dem Einsatzraum war. Zwei Funker, die normalerweise keinen Dienst hatten, waren gekommen, falls man sie brauchen sollte, allerdings wollten sie eigentlich nur Zeugen dieses einzigartigen Ereignisses sein.
»Richtung Orange fünf, roger«, antwortete Mike in das Handset, als Graham wieder reinkam.
»Stratton ist unterwegs«, sagte Graham.
Mike nickte, während er sich über die Karte beugte. Die Verkehrsknotenpunkte und markanten Orte waren darauf mit Codenamen versehen, die sich alle Agenten einprägen mussten, auch wenn die Kommunikation verschlüsselt war, nur für den Fall, dass das System zusammenbrach und sie wie in früheren Zeiten auf offenen Kanälen kommunizieren mussten. Graham griff sich einen Putzlappen von einem Haken und wischte die vorherigen Markierungen weg. Dann kreiste er Orange fünf ein.
»Sie sind Richtung Dungannon unterwegs«, sagte Graham.
»Wahrscheinlich, aber wo werden sie die Grenze überqueren?«
»Falls sie das tun.«
»Davon müssen wir momentan ausgehen«, meinte Mike und betrachtete die dicke gelbe Grenzlinie, die auf der Karte von oben links nach unten rechts verlief.
»Wo ist Bill Lawton?«, fragte Mike. Lawton war der Verbindungsoffizier der Abteilung.
Graham schnappte sich ein Telefon. »Er ist auf einem Meeting des Special Branch in Belfast«, sagte er, während er eine Nummer eintippte.
»Versuchen Sie, ihn zu erreichen. Wir brauchen mindestens ein Dutzend Checkpoints, die überwacht werden müssen. Sagen Sie ihm, er soll zuerst die Garda anrufen, bevor er mit irgendjemand anderem spricht. Er soll ihnen sagen, wir konzentrieren uns auf ein Gebiet etwa fünf Meilen zu beiden Seiten von Aughnacloy.«
»Bill Lawton?«, fragte Graham in den Hörer.
»Er soll sie anrufen, bevor er mit irgendjemandem in Whitehall redet. Ich will nichts aus London hören, bevor das hier vorbei ist … Wie schnell kann Stratton an der Grenze sein?«, fragte Mike, dem wohl bewusst war, dass Graham ein halbes Dutzend verschiedener Aufgaben zur selben Zeit erledigen konnte, und das mit voller Konzentration.
»20 oder 25 Minuten«, dann wieder in den Hörer: »Sagen Sie denen, es ist dringend. Es geht um Leben und Tod«, und erneut an Mike gewandt: »Bill ist irgendwo im Gebäude unterwegs. Jemand ist schon auf der Suche nach ihm.«
Mike sah besorgt aus, als versuche er, durch die Karte hindurch die tatsächliche Landschaft hinter den zweidimensionalen topografischen Informationen zu sehen. »Wenn er in einem verdammten Pub sitzt, dann reiße ich ihm den Arsch auf. Die Checkpoints werden nie rechtzeitig vorbereitet sein. Die Army und die RUC sind einfach zu langsam.«
Jeder im Raum dachte dasselbe. Armer alter Spinksy.
Der Ire kniete sich schwer auf Spinks Brustbein und durchsuchte seine Jackentaschen, während das Auto weiterraste. »Bist du einer von denen, die keine tragen, weil sie denken, es ist Zeitverschwendung? Hm?« Er durchsuchte seine Hosentaschen, vorn und hinten. »Versiffter kleiner Bastard, was?«, knurrte er. Der Mann gab die Suche auf und lehnte sich einen Moment zurück, um Spinks anzusehen, der einfach dalag wie ein verängstigtes Seehundebaby. »Du stinkst, Pink, und wie«, sagte er und sah angeekelt aus, während er sich die Hände an seiner Jacke abwischte.
Er hieß Brennan und stammte aus Dundalk im County Louth. Seine Haupteinnahmen bezog er aus bewaffneten Raubüberfällen, meistens nur Geldtempel wie Banken, Postbüros und Bausparkassen. Er bevorzugte es, während der üblichen Geschäftszeiten zu arbeiten, und zwar aus zwei Gründen: Das schien ihm die sicherste Zeit zu sein, um ein Geschäft in der Hauptstraße zu überfallen, außerdem genoss er es, die verschreckten Gesichter zu sehen, wenn er hereinstürmte und seine Sturmhaube trug, bewaffnet mit einer Pumpgun oder einer Maschinenpistole. Für die Real IRA zu arbeiten war eher ein Nebenerwerb für Brennan, auch wenn er das niemandem sagen würde. Er beschrieb seine kriminellen Aktivitäten sogar als »Fundraising«, um die Kriegskasse zu füllen. Natürlich war er Republikaner, im Grunde aber ein Söldner – außer es ging um Ruhm und Ehre; versprach ein Auftrag genug Ehre, konnte das leicht dazu führen, dass er ihn für sehr geringe Bezahlung erledigte, ein Job musste jedoch schon extrem glorreich sein, damit er ihn umsonst machte. Brennan hatte seit seinen frühen Exekutionen von Abweichlern – welche ihm einen Ruf einbrachten, der es ihm erlaubte, eine nette Gebühr zu verlangen – schon lange keine Jobs mehr für die Republikaner umsonst erledigt. Das Kidnapping bot sowohl Geld als auch Ruhm. Brennan hatte die notwendigen Waffen und 3000 Pfund bekommen, inklusive Spesen, um den Auftrag durchzuführen. Das war weit unter seinem gewöhnlichen Preis, aber der Ruhm, einen britischen Agenten zu schnappen, war Lohn genug.
Der Kriegsrat riet ihm, niemandem von dem Geld zu erzählen, das er für seine Arbeit bekam. Die meisten Soldaten waren Freiwillige und arbeiteten für ein Taschengeld, das normalerweise durch einen gewöhnlichen Job oder kriminelle Aktivitäten aufgebessert werden musste. Manche, besonders die neuen jüngeren Mitglieder, bekamen keinen Penny. Wenn ein Soldat einen längeren Auftrag durchführen musste, zum Beispiel sich einer Bombeneinheit in England anschließen, dann war die Bezahlung nicht schlecht. Brennan hingegen bekam eine Sondervergütung, denn er war dafür bekannt, einen Job zu Ende zu bringen. Oft war das eher unschön und ein wenig zu brutal für manche, aber er war damit ziemlich erfolgreich.
Mord war Brennans bevorzugte Arbeit. Er hatte sein Talent dafür entdeckt, als er gegen Ende seiner Teenagerzeit anfing, für die Provos zu arbeiten. Er machte das gern aus der Nähe und persönlich, je langsamer, desto besser. Wenn er die Zeit hatte, sich mit seinem Opfer bekannt zu machen, umso besser. Er hatte keine Ahnung, ob er Spinks letztlich töten würde. Wenn es so aussah, als würden sie ihn nicht über die Grenze bekommen, dann besagten seine Befehle, er solle ihn töten. Es war seine Entscheidung. Spinks sollte verhört werden. Brennan hoffte, er würde ausgewählt werden, um ihn zu erledigen.
»Wenn alle deine Kumpel so stinken würden wie du, hätten wir keine Probleme damit, euch aufzuspüren«, sagte Brennan zu Spinks. Er griff in den Kofferraum, zog die MPK5 und die Pistole raus und warf sie auf den Boden. Als er sich weiter hineinlehnte, um zu sehen, ob noch etwas darin war, fuhr das Auto über eine Bodenwelle und er stieß sich den Kopf hart am Kofferraumdeckel. Er warf seinem jungen Fahrer Sean einen zornigen Blick zu, rieb sich den Kopf, schimpfte vor sich hin und beendete seine Suche. Er fand nichts weiter, außer die leere Wasserflasche. Dann raste das Auto um eine Kurve und Brennan wurde gegen das Seitenfenster gedrückt.
»Wenn sich das scheiß Auto überschlägt, dann erschieß ich dich!«, rief er.
Sean war cool und zuckte nicht mal mit der Wimper. Man hatte ihn gewarnt, sich nicht mit Brennan anzulegen. Sie hatten sich vor dem gestrigen Abend noch nie getroffen, als das Team einberufen wurde, um seine Befehle zu empfangen und aus Sicherheitsgründen die Nacht im selben Haus zu verbringen. Alles, was Sean über Brennan wusste, war das, was ihm die anderen erzählt hatten, bevor Brennan ankam. Ein Gerücht besagte, dass er einmal einen seiner eigenen Männer bei einem Job wegen Inkompetenz umgebracht hatte. Sean hatte schon lange beschlossen: Sollten sie wirklich einen Unfall bauen, würde er, falls er noch dazu in der Lage war, rennen, bis er Amerika erreichte, der einzige Ort, der ihm einfiel, wo Brennan ihn nicht finden würde.
Wie immer die Wahrheit über Brennan auch aussah, Sean war das scheißegal. Er hatte einen Job zu erledigen und das würde er so tun, wie er es für richtig hielt. Er sah in den Rückspiegel. Kein Grund, sich über den Wagen hinter ihnen zu sorgen; wer immer hinter dem Steuer saß, man würde ihn nie erwischen. Sean schaltete einen Gang runter, als sie sich einer weiteren engen Kurve näherten. Er beschloss, ein wenig anzugeben und die Kurve von innen zu nehmen, statt sie einfach zu schneiden. Er ließ den vorderen rechten Reifen auf den Randstreifen rutschen, damit er das Auto