STRATTON: DIE GEISEL. Duncan Falconer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Duncan Falconer
Издательство: Bookwire
Серия: Stratton
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352827
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den Reifen nach dem Scheitelpunkt wieder aus dem Randstreifen zu kriegen. Wenn man das nicht schaffte, würde der Wagen sich aus der Kurve drehen und Brennan ihn vermutlich erschießen, falls sie einen Unfall bauten.

      Sean durchfuhr die Kurve mit Leichtigkeit und donnerte weiter die Straße entlang. Er war für diesen Job ausgewählt worden, weil ihm der Ruf vorauseilte, er könne sogar Polizeiwagen abhängen. Sein Rekord lag bei 100 Prozent. Manchmal machte er das sogar zum Spaß. Er raste an einem stehenden Polizeiwagen in einer Kleinstadt oder einem Dorf vorbei und lieferte sich dann eine Verfolgungsjagd übers Land, bis er ihn abgeschüttelt hatte.

      Mindestens eine Meile war die Straße schnurgerade, mit einer kleinen Bogenbrücke nach der Hälfte der Strecke. Sean lächelte still, als er das Gaspedal durchtrat. Diesmal wollte er an der Brücke abheben.

      Kapitel 3

      Paul Healy saß mit Kopfhörern um den Hals im Fond eines Ford Transit. Vor ihm eine Reihe zusammengeschustertes elektronisches Equipment in einem einfachen Rahmen. Das unverständliche Gemurmel der verschlüsselten Kommunikation kam aus zwei kleinen Lautsprechern. Healy war Anfang fünfzig, bekam eine Glatze und sah alt und müde aus, wie jemand, der sich dem Ende einer langen und anstrengenden Reise näherte und nach halber Strecke festgestellt hat, wie sinnlos das alles war. Tommy beobachtete ihn vom Fahrersitz aus und rauchte eine Zigarette, Kippen lagen um seine Füße verteilt. Tommy waren zwei bestimmte Aufgaben übertragen worden; den Wagen zu fahren und Healy zu beschützen, wenn nötig mit seinem eigenen Leben. Er sah Healy verächtlich an. Niemals würde er sein Leben für diesen Mann opfern.

      Tommy misstraute Healy, aus dem einfachen Grund, weil er kein Mitglied war. Tommy hatte nicht einen einzigen Freund, der kein militanter Republikaner war, ein Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee. Auch wenn Healy Ire und Katholik war, so war er doch nur ein angeheuerter Helfershelfer und deswegen nicht vertrauenswürdig. Wenn es ihm um die Sache ginge, würde er kein Geld nehmen. Healy konnte möglicherweise auch gezwungen worden sein, den Job durchzuführen, aber die Erfahrung hatte die Organisation gelehrt, dass es sehr viel effektiver war, das Geld zu stehlen, um den Profi zu bezahlen, als den Profi zu stehlen und unter Todesandrohung zur Arbeit zu zwingen. Sie wollten, dass Healy, angeblich der Beste seines Faches in ganz Irland, für diesen Job in Top-Form war.

      Tommy lag richtig mit seiner Vermutung, Healy schere sich einen Dreck um die Sache, aber Healy mochte die Briten genauso wenig, nicht nach dem, was sie ihm angetan hatten. Die einzige Liebe seines Lebens war es, Rätsel zu lösen. Je schwieriger, desto größer die Herausforderung und desto toller das Hochgefühl, wenn er sie geknackt hatte. Er hätte fünfzig Jahre früher geboren werden sollen. Was hätte er nicht dafür gegeben, ein Codeknacker im Zweiten Weltkrieg gewesen zu sein. Er wusste so gut wie alles über Ultra und wie die deutschen, japanischen und italienischen Codes dechiffriert wurden. Mathematik und Psychologie waren damals die wichtigsten Fertigkeiten; heute ging es mehr darum, sich mit Computern und Elektronik auszukennen. Aber Healy hatte darauf geachtet, auch in diesem Bereich up to date zu sein. Wenn er es nicht vor all den Jahren versaut hätte, könnte er auch für den MI6 oder die CIA arbeiten. Aber diese Ambitionen waren mittlerweile gestorben und für immer begraben. Die Ironie war, dass sein Kindheitstraum sich nur erfüllte, wenn er für die andere Seite arbeitete, Gangster und Trottel wie die hier. Terroristen. Er hatte über die Jahre für verschiedene Organisationen gearbeitet; für Libyer, Palästinenser und Iraner. Soweit es ihn anging, war das alles ziemlich dasselbe. Einige waren nur ein wenig verrückter als die anderen. Die Aufträge waren nichts, womit man angeben konnte, aber zumindest verdiente er Geld mit dem, was er liebte, und das war schließlich das Wichtigste.

      Tommy lauschte auf die unverständlichen Geräusche aus den Lautsprechern und betrachtete Healy, der sich auf jede einzelne Übertragung konzentrierte und in ein großes Notizbuch kritzelte. »Wieso hörst du dir das an, wenn du kein Wort verstehst?«, fragte er.

      »Ich verstehe vielleicht kein einziges Wort, aber man kann trotzdem eine Menge Infos daraus ziehen«, antwortete Healy, als würde er mit einem Kind sprechen.

      »Was denn?«, fragte Tommy und zündete eine neue Zigarette am Stummel der vorherigen an.

      Healy unterhielt sich normalerweise nicht gern mit jemandem, der einen einstelligen IQ besaß, so wie der Kerl hier, aber wenn es um seine Arbeit ging, redete er darüber mit jedem, der zuhörte. »Na ja, der Tonfall zum Beispiel«, sagte er. »Man kann hören, wenn es jemand eilig hat oder auch nicht. Manchmal kann man erkennen, ob es nur Small Talk ist oder was Wichtiges, zum Beispiel eine Operation. Und man kann mehr oder weniger erkennen, wie viele Leute am Funkverkehr beteiligt sind. In den richtigen Händen sind das eine Menge nützlicher Informationen.«

      Tommy glotzte Healy an und wirkte nicht überzeugt. »Hört sich für mich nach Quatsch an.«

      »Deswegen darfst du nur mit dem schönen großen Rad vorn im Wagen spielen und ich mit den ganzen kleinen hinten im Wagen«, sagte Healy mit einem einigermaßen ehrlichen Lächeln. Healy hatte sich seit Langem daran gewöhnt, seine Zeit mit Trotteln zu verbringen; immer wenn er arbeitete, hatte er einen Fahrer oder Bodyguard, und von diesem Schlag Mensch konnte man einfach keine Intelligenz erwarten.

      Seit den 1970er-Jahren war Healy im Geschäft, ein vorlautes, arrogantes Genie, das sich damit brüstete, jeden Code knacken zu können, wenn er die Zeit und das Equipment dafür zur Verfügung hatte, und er bot seine Dienste der IRA an. Das war, bevor es sichere verschlüsselte Kommunikation gegeben hatte. Die IRA gab ihm eine Chance und das Geld, die Zeit und den Ort, an dem er sich beweisen konnte: Belfast. Er war so gut, wie er behauptet hatte, und innerhalb eines Jahres hatte er erfolgreich die Codes geknackt, die von Englands bester Elite-Undercover-Einheit verwendet wurden, stellte eine Liste von Fahrzeugen, Nummernschildern, Fotos von Agenten sowie Codes für jeden wichtigen Ort der Provinz zusammen. Stets hatte Healy dabei im Hinterkopf, dass er möglicherweise letztlich erwischt wurde. Der Gefängnispsychologe meinte sogar, in Wahrheit wollte er von Anfang an geschnappt werden, weil er die Anerkennung für sein Genie ersehnte. Nachdem er erwischt worden war, hatte er gegenüber den Briten nur allzu bereitwillig gesungen und angeboten, er könne ihnen zeigen, wie sie sich in Zukunft gegen solche Angriffe schützen konnten. Hatten die Amerikaner nicht nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Genies eingestellt? Wie naiv war er doch gewesen, zu denken, sie würden ihm vergeben oder gar einstellen. Den Schock der öffentlichen Verhandlung und der zehnjährigen Strafe hatte er nie verwunden. Nach sechs Jahren wurde er entlassen, gebrandmarkt, jede Hoffnung auf eine Karriere in einem westlichen Nachrichtendienst war damit zerstört. Wenn es irgendeinen Trost gab, den er aus seiner Situation ziehen konnte, dann war es die Tatsache, dass aufgrund seines Erfolgs beim Knacken der britischen Militärcodes das neue Kommunikationssystem eingeführt wurde, das er sich im Moment anhörte.

      Eine weitere unverständliche Übertragung drang aus den Lautsprechern. Healy runzelte die Stirn, als er sich darauf konzentrierte. Dann lächelte er, nickte wissend und selbstgefällig, während er etwas auf ein Blatt Papier kritzelte. Tommy lehnte sich rüber, um zu lesen, was er geschrieben hatte.

      »Mary? Wer ist Mary?«

      »Eine Stimme«, antwortete Healy. »Wenn man sich die Übertragungen lange genug anhört, erkennt man verschiedene Stimmen. Das war Mary. Da bin ich sicher. Sie ist seit einem Jahr bei der Einheit.«

      »Woher weißt du, dass sie Mary heißt?«, fragte Tommy und sah verwirrt aus.

      »Weiß ich nicht. Ich hab sie nur so genannt.« Healy verstellte etwas an seinem Bedienpanel. »Und anhand der Signalstärke würde ich sagen, sie kam näher.« Dann sah er auf die Uhr, wunderte sich anscheinend über etwas. »Ein Element fehlt«, sagte er mehr zu sich selbst.

      »Und welches?«, fragte Tommy.

      »Ich dachte, er müsste mittlerweile in der Luft sein. Bisschen langsam. Gut für uns, hoffe ich.«

      »Was ist langsam?«, fragte Tommy, ein wenig verärgert darüber, ignoriert zu werden.

      Healy sah ihn an, als wäre ihm eben wieder eingefallen, dass er mit ihm im Bus war. »Der Helikopter«, sagte er.

      Stratton fuhr mit hohem Tempo die Zugangsstraße