STRATTON: DIE GEISEL. Duncan Falconer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Duncan Falconer
Издательство: Bookwire
Серия: Stratton
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352827
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Fasziniert hatte er den Rauch beobachtet, der aus dem Einschussloch kam, sowie er die Waffe vom Schädel des Jungen weggezogen hatte. Brennan erinnerte sich, dass er etwas von den Schmauchspuren um das Loch herum mit dem Finger verrieben und dem Jungen auf die Nasenspitze getupft hatte, während er zu ihm sagte: »Ruhe in Frieden.« Brennan und seine Freunde hatten den Jungen dann zuckend im Gras liegen lassen und waren wieder zum Pub gefahren.

      Aber der Junge war nicht tot. Ein paar Stunden später wurde er von einem Farmer entdeckt, der mit seinem Hund vorbei ging, und schnell ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte konnten erst nicht verstehen, wie man so eine Wunde überleben konnte, und das noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Sie fanden heraus, dass die Kugel aufgrund des Einschlagswinkels im Schädel genau entlang des Knochens durch die Spalte gerast war, welche die beiden Hirnhälften trennte, und das Großhirn verfehlt hatte, bevor sie hinten wieder ausgetreten war. Die anderen machten sich über Brennan lustig und er schwor sich, dass ihm so etwas nie wieder passieren würde.

      Etwas störte Brennan an diesem speziellen Kidnapping, eine Anspannung, die er noch nie vorher empfunden hatte. Er hatte gegen die Paras, die Marines und die Spezialabteilung der RUC gekämpft, war auch ein oder zwei Mal mit dem SAS aneinandergeraten, aber noch nie hatte er sich mit den ›Pinks‹ angelegt. Sie machten ihn nervöser als alle anderen britischen Einheiten. Der SAS war schon schlimm genug. Jeder IRA-Soldat wusste, wenn man in einen Hinterhalt des SAS geriet, war es so gut wie vorbei, vor allem wenn niemand von der RUC da war, der dafür sorgte, dass sie einen nicht einfach erschossen, wenn man verwundet war. Der SAS war ein Haufen von Killern, Handschellen hatten die nur der Optik wegen dabei. Aber die Pinks waren aus einem entscheidenden Grund noch schlimmer: Sie waren in der einmaligen Position, das Spiel nach anderen Regeln zu spielen als alle anderen – nach ihren eigenen.

      Die Pinks nahmen das Gesetz in die eigene Hand. Entweder das oder sie standen unter dem Befehl eines Bastards vom MI5 oder MI6, der die Regeln vorgab. Die britische Regierung würde so etwas nicht anordnen. Die IRA hatte schon lange dafür gesorgt, dass dieser Haufen aus Angst keinerlei inoffizielle Rachemorde durchführte. Die Politiker hatten nicht mehr das erforderliche Rückgrat für diese Art von Spiel, besonders jetzt nicht, da sie ein Teil der Europäischen Union waren. Die einzige britische Einheit, die eine Exekution planen und durchführen konnte, unabhängig von jeder übergeordneten Autorität, waren die Pinks. Was das alles für Brennan noch gefährlicher machte, war nicht die Tatsache, dass die Pinks einen Mord begehen würden, sondern dass sie anscheinend nur zu bereitwillig das Risiko auf sich nahmen, dafür illegal die Technologien und Ressourcen der britischen Armee einzusetzen. Sie bewegten sich in einem Minenfeld zwischen der IRA und ihrer eigenen Regierung. Ein unabhängiges Exekutionskommando. Er wusste, nicht alle Pinks ließen sich auf dieses hochriskante Spiel ein, und diejenigen, die es taten, setzten ihre Karriere aufs Spiel. Aber Tatsache war, wenn man einem Pink eine blutige Nase verpasste, dann war es nicht einfach vorbei, nur weil man davongekommen war. Man war zum Abschuss freigegeben, solange einer von ihnen bereit war, Rache zu nehmen. Außerdem standen ihnen diverse Mittel zur Verfügung, um jemanden aufzuspüren. Und Brennan hatte einen von ihnen hinten im Bus in einer Kiste! Kidnapping war das Schlimmste, was man ihnen antun konnte. Sie würden Rache fordern. Brennan war noch nicht über die Grenze, erst dann konnte er wieder aufatmen. Doch selbst wenn alles vorbei war, wäre er nicht sicher.

      Leckt mich, sagte er mehr zu sich selbst. Sie befanden sich im Krieg. Brennan konnte damit umgehen. Das unmittelbare Problem war, den hier nach Hause zu bringen zu den Verhörspezialisten. Wenn der RUC oder die Armee sie aufhielt, würde es vielleicht zu einem Kampf kommen, falls sich die Gelegenheit ergab, und wenn es so aussah, als würde Brennan nicht gewinnen, musste er sich eben ergeben. Das Schlimmste, was ihm blühte, war Gefängnis. Aber wenn die Pinks sie erwischten, bevor sie über der Grenze waren, war das was anderes. Es würde für eine von beiden Seiten einen Kampf bis zum bitteren Ende geben. Das machte es zum aufregendsten Spiel, das sie bisher gespielt hatten, und Brennan war bereit. Wenn er sie schlug, wenn er einen von ihnen lebend nach Hause brachte, wäre er noch zu Lebzeiten eine Legende. Er sah sich nach den beiden Männern hinten im Bus um.

      »Wo sind eure Werkzeuge?«, grummelte er.

      Die Männer zeigten auf einen Sack am Boden.

      »Da nützen sie einen Scheiß! Nehmt sie in die Hand, ihr bescheuerten Bastarde.«

      Einer von ihnen hob den Sack auf und holte zwei amerikanische M16-Sturmgewehre heraus. Eines gab er seinem Kumpel.

      »Laden und sichern, verflucht noch mal! Bringen die euch Idioten in der Schule gar nichts mehr bei?«

      »Armee«, warnte Sean plötzlich. Alle schauten sofort nach vorn durch die dreckige Windschutzscheibe.

      Ein Konvoi aus vier Armee-Landrovern kam ihnen auf der anderen Fahrbahn entgegen. Sie fuhren schnell an ihnen vorbei, jeder war voll besetzt mit Soldaten. Sean behielt sie im Rückspiegel im Auge, bis sie außer Sicht waren.

      »Konnte irgendwer erkennen, welches Regiment das war?«, fragte Sean.

      »Interessiert mich einen feuchten Scheiß. Die nächste rechts«, fuhr ihn Brennan an.

      Sean bog nach rechts in eine schmale Straße ab. »Etwa eine Meile noch.« Er fragte sich, ob Brennan darüber auch verärgert wäre. Aber Brennan konzentrierte sich zu sehr auf die Straße, die Felder und den Himmel, als dass er über irgendetwas hätte nachdenken können, was Sean sagte.

      »Das Einzige, was uns jetzt noch in Schwierigkeiten bringen könnte, wäre eine zu Fuß patrouillierende Streife«, sagte Brennan.

      »Oder ein Adlerflug«, fügte Sean hinzu. Damit war die verbreitete Praxis gemeint, Soldaten über Land mit dem Hubschrauber abzusetzen.

      »Da ist das Tor«, sagte Brennan und zeigte nach vorn. Sean wurde langsamer, schlug das Lenkrad ein und blieb vor einem hölzernen Tor mit fünf Querbalken stehen, das auf ein Feld führte. Brennan sprang raus und öffnete das Tor. Sean fuhr hindurch und blieb lange genug stehen, dass Brennan wieder reinspringen konnte.

      »Folge den Spuren. Los, los, bisschen schneller«, sagte Brennan, der ungeduldig wurde.

      Sean fuhr wieder an und folgte ein paar Traktorenspuren über ein holpriges Feld. Brennan lehnte sich auf dem Sitz nach vorn und sah sich in alle Richtungen um. Sie fuhren durch eine Lücke in der Hecke auf ein weiteres Feld. »Noch zwei Fußballfelder und wir sind daheim«, sagte er.

      Jeder konnte die dürre Hecke sehen, welche die irische Grenze markierte. Der Bus schaukelte und quietschte in den tiefen Spuren, und als Sean kurz die Reifen durchdrehten und der Wagen ein wenig wegrutschte, machte er sich auf einen Anschiss bereit, aber es schien, als sei Brennan schon in Feierlaune. »Nicht zu guter Letzt den Bus zu Schrott fahren, Sean, mein Freund«, sagte er in väterlichem Tonfall. »Schön behutsam.«

      Sean schaltete einen Gang runter und fuhr vorsichtiger. Er machte sich schon für den Siegesschrei bereit, als die Grenze Zentimeter um Zentimeter näher rückte.

      Sean war der Erste, der glaubte, etwas gehört zu haben, dann bemerkte auch Brennan ein dumpf dröhnendes Geräusch. Etwa in dem Moment, als sie sicher waren, sich das nicht nur einzubilden, donnerte ein Helikopter im Bogen vor ihnen vorbei, knapp über dem Boden, der Rotor auf sie gerichtet, laut die Luft durchschneidend, als er steil beidrehte und sie umrundete. Sean verriss fast das Steuer und die Reifen gruben sich in die weiche Erde. Jeder war stocksteif und unter Hochspannung. Brennan packte Sean brutal am Kragen und schrie: »Los! Fahr drauf zu, du Wichser! Los!«

      Der Wagen verlor kurz die Haftung, als Sean zu sehr aufs Gaspedal trat und das Heck ins Schleudern geriet. Dann brachte er ihn wieder unter Kontrolle und fuhr durch die Furchen und über die Buckel auf die dürre Hecke zu, die jetzt noch ein Fußballfeld entfernt war.

      Als der Helikopter das Heck des Busses umrundete, hatte ihn Stratton im Blick wie ein Falke, der eine Maus beäugt, die um ihr Leben rennt. Er griff nach einem dünnen Kabel, das quer über die Kabinentür verlief, der Auslöser für den Notausstieg, und zog kräftig daran, während er mit dem Stiefel gegen die Tür trat. Die Tür flog aus den Angeln, wurde durch den Luftdruck des Rotors vom Helikopter weggerissen und stürzte zu Boden. Der Wind erfasste das Innere der Kabine. Stratton drehte