Plötzlich rissen ihn ein paar Hände hoch und er wurde auf den Bauch gerollt. Eine Hand zog ihn am Haar nach oben, eine andere packte ihn am Kragen, würgte ihn, und eine weitere ergriff einen seiner Arme. In dieser Position wurde er vorwärtsgezogen, seine Zehen schleiften über den Boden, die Haut wurde bis auf den Knochen abgeschürft.
Sie kamen zur Rückseite des Busses, die Tür war offen. Er wurde schnell hoch- und hineingehoben und in etwas geworfen, einen Schrankkoffer oder eine große Kiste. Über sich registrierte er verschwommene Gesichter, aber nur einen Augenblick, dann wurde ein Deckel Zentimeter vor seinem Gesicht zugeschlagen und alles wurde schwarz. Weitere Schläge in kurzer Folge, als die Türen geschlossen wurden, dann startete der Motor.
Erneut lag Spinks in einem schaukelnden, dunklen, beengten Raum. Seine Schulter fing zu brennen an, als stünde sie in Flammen. Er stöhnte, dann schrie er um Hilfe. Alles, was er hörte, war der Motor und das Surren der Achse unter ihm. Sein schlimmster Albtraum war wahr geworden. Der schlimmste Albtraum jedes Agenten. Das Undenkbare widerfuhr ihm. Ausgerechnet ihm. Es schien fast unmöglich, selbst als er da lag. Sie hatten darüber gesprochen, unter den Rekruten, während der Pausen beim Training oder nachts in ihren Betten und manchmal in der Bar des Camps, nach einigen Bieren. Es war wie eine Gruselgeschichte, die Art Horror, der nur anderen zustoßen konnte.
Spinks fing an zu weinen. Sein Leben raste vor seinem geistigen Auge vorbei, aber langsam genug, um die Details zu betrachten. Das Leben war gar nicht so bedeutungslos, selbst in den alten Zeiten, den langweiligen, sinnlosen Tagen seiner Jugend. Er wollte leben. Und das würde er, noch geraume Zeit, damit rechnete er. Aber jede Sekunde davon wäre der reinste Horror. Die Geschichten von dem, was sie den Gefangenen antaten, waren unvorstellbar. Wenn sie schon einen der Ihren langsam zu Tode folterten, was würden sie dann mit ihm machen, einen britischen Spion, einem verhassten Undercover-Agenten?
Tränen rollten von seinem Gesicht in seine Ohren. Seine Brust hob und senkte sich mit schmerzvollen Atemzügen, als ihn die Angst packte. Er kratzte am Deckel seines Sarges. Seine Fingernägel brachen ab. Das war ihm egal. Er schabte und drückte mit den Füßen, während er weinte. Aber es half nichts. Sein Sarg war zu stabil. Er gab auf und weinte nur noch. Ein paar Momente gab er sich seinem Albtraum hin, aber selbst das wurde zu anstrengend. Irgendwann lag er nur noch da, leise, hörte seinem Atem zu vor dem Hintergrund des laufenden Motors. Mit einer Hand fühlte er nach dem brennenden Schmerz unter seiner Schulter. Es war feucht. Als er unter sein Hemd griff, spürte er ein kleines Loch in seiner Haut. Die Bilder, wie er wegrannte und fiel, standen ihm wieder vor Augen, jetzt sogar deutlicher als in dem Moment, als es passiert war. Er war noch in Dungannon. Sie waren immer noch im Norden. Dann erinnerte er sich an seine Trumpfkarte.
Trotz des intensiven Schmerzes in der Brust drehte sich Spinks in dem beengten Raum, damit er die Hand in die Unterhose und zwischen seine speckigen Beine bekam. Er griff unter seinen Hoden, wohin es gerutscht war, und ertastete die harte Plastikhülle. Brennan hatte gründlich danach gesucht, aber kurz vor Spinks muffigsten intimen Stellen hatte er aufgehört. Wäre es dort geblieben, wo Spinks es ursprünglich verstaut hatte, locker vorn in seiner Unterhose, hätte es Brennan vielleicht gefunden, als er sie runterzog. Er schnappte sich den Minisender mit den Fingerspitzen und zog ihn vorsichtig raus.
Kapitel 4
Die Gazelle hatte Loch Neagh hinter sich gelassen und war südwestlich in Richtung der Grenze unterwegs. Sie stieg gerade hoch genug, um über eine Hochspannungsleistung zu fliegen, fiel dann wieder majestätisch auf Hausdachhöhe, immer noch in vollem Tempo. Der Pilot war zu konzentriert, um sich noch von dem Anschiss ablenken zu lassen, den er von dem Fiesling neben sich und dem Oberkommandanten von Camelot erhalten hatte. Er tat das, wofür er vor nicht mal einem Jahr in Deutschland all die Monate trainiert hatte. Schnell und tief. Und er war gut darin. Wäre Stratton nicht so grob gewesen und ein bisschen netter, wäre er vielleicht nicht so verbissen gewesen. Er hatte beschlossen, diesem ungehobelten Klotz zu zeigen, was richtiges Fliegen war.
Stratton sah auf die Karte, obwohl er die Gegend hier gut kannte. Nachdem sie der M1 eine kurze Strecke gefolgt waren, schwenkten sie in Richtung Aughnacloy und ließen Dungannon ein paar Meilen rechts von sich liegen.
»Geben Sie mir 500 Fuß«, befahl Stratton. Der Pilot murmelte etwas, das sich wie »500« anhörte und gehorchte, passte die Rotorgeschwindigkeit nur ein wenig an, der Helikopter erzitterte und das Geräusch der Rotorblätter wurde tiefer, als sie einen größeren Bissen Luft verdrängten. Die zunehmende g-Kraft war spürbar, als das schlanke Luftfahrzeug stieg und dann austarierte.
»Da drüben ist die Grenze«, informierte Stratton den Piloten, um sicherzugehen, dass er genau wusste, wo sie waren.
»Ich weiß selbst, wo die Grenze ist«, antwortete der Pilot schroff.
Klar weißt du das, dachte Stratton. Air-Corps-Piloten aus seiner Einheit hatten sie schon ein paar Mal ungewollt überquert. Ein Idiot war sogar bis nach Monaghan geflogen, zehn Meilen innerhalb der Republik, weil er gedacht hatte, das sei die nordirische Stadt Armagh. Er war tatsächlich auf dem Hubschrauberlandeplatz der Polizeistation gelandet und hatte einigen Polizisten zugewinkt, bevor er bemerkt hatte, dass er am völlig falschen Ort war. Seit diesem Tag hatte man Piloten gewarnt, dass ihre Karriere vorbei sein würde, wenn sie die Grenze auch nur streiften.
Der Pilot drehte in sicherer Entfernung vor der Grenze bei und flog dann nordwestlich und parallel dazu. Stratton konnte einen gemeinsamen Checkpoint von Armee und Polizei unter ihnen auf der Hauptstraße nach Monaghan sehen, der gerade errichtet wurde. Die kleineren Straßen machten ihm mehr Sorgen. Er hatte eine Armeepatrouille gesehen, die zu Fuß und querfeldein in Richtung Grenze unterwegs war. Zum x-ten Mal kontrollierte er die Trackingvorrichtung, die am Kontrollpanel des Helikopters vor dem Sitz des Co-Piloten angebracht war. Wo zur Hölle war Spinks Signal?
Spinks hielt das kleine Gerät vor sein Gesicht. Er konnte es nicht sehen, aber seine Erinnerung half ihm dabei, den kleinen Schalter an der Seite zu finden. Heute Morgen hatte er es ausprobiert, wie er es immer vor einem Einsatz tat, bevor er es am besten Versteck unterbrachte, das er sich vorstellen konnte. Er wurde regelmäßig an seine Existenz erinnert, wenn eine Ecke des Geräts sich in seine Eier bohrte und er sofort die Position anpassen musste. Ansonsten vergaß er es. Es war einfach ein weiteres Ausrüstungsstück, das Agenten mit sich trugen und nur als allerletztes Mittel einsetzten, wenn das Unwahrscheinliche eingetreten war. Dass es die letzten drei Jahre so unbequem zu tragen gewesen war, war nun leicht verzeihlich, immerhin hatte der Bastard, der ihn angeschossen hatte, es nicht gefunden. Jetzt betete er nur darum, dass es tatsächlich funktionierte.
Er legte den winzigen Schalter mit seinem Fingernagel nach oben. Eine stecknadelkopfgroße LED blinkte in der Dunkelheit. Anscheinend funktionierte es. Er legte es auf seine Brust und atmete tief aus. Als er es tat, schoss ein scharfer Schmerz durch seine Brust und Schulter und erinnerte ihn an seine Verletzung. »Ich wurde angeschossen«, sagte er zu sich selbst, als würde er es eben zum ersten Mal wirklich realisieren. »Ich wurde verdammt noch mal angeschossen und gekidnappt. Angeschossen und gekidnappt!«
Stratton sah das rote blinkende Licht in der Sekunde, in der es auftauchte. Aufregung durchfuhr ihn, als er etwas an der Trackingvorrichtung einstellte. Alle Lichter auf dem Schaltfeld flackerten, als es sich auf das Signal einpegelte. Eine Reihe knopfgroßer Lichter zeigte die Signalstärke an und ein etwas größeres Licht unten auf dem Panel wies darauf hin, dass es hinter ihnen war.