Sie stiegen die Treppe hinauf, nachdem die Hausthüre sorgfältig von innen verschlossen war.
Der alte Arzt trat an das Bett, während Fritz Deyke mit angstvoller Spannung den Ausdruck in seinen Mienen beobachtete.
Der Arzt schüttelte den Kopf, — öffnete eins der geschlossenen Augenlider des Leblosen, sah in das Auge und sprach dann:
»Das Leben ist nicht erloschen, — ob wir es erhalten können, steht in Gottes Hand! — Jetzt aber muß ich die Wunde sehen, — wir müssen ihn entkleiden, — und Sie, liebe Margareth, schaffen uns etwas warmes Wasser und etwas Wein.«
Das junge Mädchen eilte fort. Sorgsam schnitt Fritz Deyke die Uniform, die Beinkleider und Stiefel von dem Körper des Verwundeten.
Eine Wunde zeigte sich in der linken Brust, eine zweite in der Schulter.
»Dieß ist nichts!« sagte der Arzt, auf die Schulter deutend, — »ein Bajonettstich, der von selbst heilt, — aber hier—« und er zog aus seinem Etui eine Sonde hervor und senkte sie in die Brustwunde.
»Die Kugel steckt in den Rippen,« sagte er, — »wenn der Verwundete nicht an Blutverlust und Erschöpfung stirbt, so kann er gerettet werden. Jetzt muß er die tiefste Ruhe haben; bis ich an das Herausziehen der Kugel denken kann, müssen erst einige Kräfte wieder da sein.«
Das junge Mädchen erschien mit warmem Wasser, Leinen und einem Schwamm. Dann stellte sie eine einfache Lampe auf den Tisch, da die Nacht inzwischen herabgesunken war.
Der Arzt reinigte die Wunde und flößte etwas Wein in den Mund des Offiziers. Ein Athemzug öffnete seine Lippen, eine leichte feine Röthe stieg in seine Wangen und er schlug die Augen auf. Ein großer verwunderter Blick fiel auf seine Umgebung, die Augen schlossen sich wieder und kaum hörbar, wie ein flüsternder Hauch drang es aus seinen Lippen hervor:
»Auf Wiedersehen!«
Das junge Mädchen faltete die Hände und richtete die thränenglänzenden Augen nach Oben.
Fritz Deyke nahm seine Mütze ab, schwenkte sie in der Luft und öffnete groß den Mund, — man mußte ein Hurrah erwarten, wie er es unter den lustigen Bauernburschen von Blechow ertönen ließ, auf der Wiese vor dem Dorfe oder im großen Saale des Wirthshauses, aber dieß Hurrah ertönte nicht, der Mund schloß sich wieder, die Mütze flog in eine Ecke und nur ein glücklicher und dankbarer Ausdruck blieb wie ein heller Schimmer auf seinem vorher so traurigen Gesicht haften.
Er hatte einen Ton des Lebens von den Lippen seines Lieutenants gehört; — es war Hoffnung, ihn zu retten!
»Gut, gut,« sagte der Arzt, zufrieden mit dem Kopf nickend, »für jetzt ist nichts zu thun, als die tiefste Ruhe um den Verwundeten zu erhalten und ihm so oft als möglich etwas rothen Wein einzuflößen, damit der Blutverlust ersetzt wird. Morgen werde ich versuchen, die Kugel herauszuziehen.«
Er entfernte sich, von dem alten Lohmeier begleitet.
Fritz Deyke und Margarethe blieben bei dem Verwundeten, seine Athemzüge beobachtend; mit großer Pünktlichkeit reichte das junge Mädchen dem Kürassier alle fünf Minuten einen Löffel voll Wein, den dieser mit dankbarem Blick empfing und in den Mund des Verwundeten fließen ließ.
Der alte Lohmeier brachte ein kaltes Abendessen für Fritz Deyke und einen Trunk seines eigenen Bieres. Eilig verzehrte der junge Mensch die Speisen — und sein Appetit bewies sich gut wie immer, — das Bier wies er zurück.
»Ich könnte nicht wachen,« — sagte er.
»Nun geh' zu Bett, Margarethe,« sprach der Alte, »wir werden für den Verwundeten sorgen, — das Nachtwachen greift Dich an.«
»Was ist eine durchwachte Nacht, Vater!« rief das junge Mädchen, »hier handelt es sich um ein Menschenleben , — laß mich hier bleiben, es könnte etwas nöthig sein!«
Der Alte widersprach nicht, und ein freundlicher Blick, den er auf seine Tochter warf, schien ihr Recht zu geben, auch Fritz Deyke sagte nichts, aber mit unendlich dankbarem Ausdruck richteten sich seine großen blauen, treuherzigen Augen auf das junge Mädchen.
Der Alte setzte sich in einen Lehnstuhl und nickte bald ein, die jungen Leute blieben am Bette sitzen und vollzogen pünktlich die Verordnungen des Arztes, mit freudiger Spannung jedes Lebenszeichen beobachtend, das der Verwundete zeigte, — bald durch einen tiefen Athemzug, bald durch eine leichte Röthe, welche über sein bleiches Gesicht flog.
Lange saßen sie schweigend.
»Sie sind ein gutes Mädchen,« sagte endlich Fritz Deyke, als sie ihm wieder einen Löffel voll Wein gereicht hatte, indem er ihr mit herzlicher Freundlichkeit die Hand reichte, — »wie wird die Frau Mutter meines Lieutenants Ihnen dankbar sein für das, was Sie an ihrem Sohn thun!«
»Ach, die arme Mutter!« rief sie bewegt und erwiederte den treuherzigen Druck seiner Hand, indem eine Thräne in ihrem klaren Auge glänzte, — »das ist wohl eine sehr vornehme Dame?«
Und Fritz Deyke begann in leisem, flüsternden Tone ihr zu erzählen von der Familie des Lieutenants, von dem alten Amtshause in Blechow, von dem schönen Wendlande mit seinen reichen Fluren und seinen dunkeln Föhrenwäldern, — dann von seinem eigenen Hause, seinem Vater, seinem Hof und Acker, — und das junge Mädchen hörte schweigend und aufmerksam zu, die Bilder, die sich bei den Worten des Soldaten vor ihr öffneten, waren so einfach, so natürlich, so frisch und rein, und sie waren alle vergoldet von dem poetischen Schimmer, welcher den tapfern, braven Kürassier umfloß, der aus der blutigen Schlacht den armen todeswunden Jugendgespielen gerettet hatte und nun so ängstlich das Leben bewachte, das nur durch einen zarten Faden noch in dem gebrochenen Körper haftete.
So zog die Nacht ruhig und still über das Haus des alten Lohmeier dahin. Draußen ertönten die lauten, lustigen Stimmen aus den Quartieren in der Stadt und aus den Bivouaks herauf, überall war lautes Leben und kriegerischer Lärm, — und der alte Brauer, wenn er zuweilen auf seinem Lehnstuhl erwachte, warf einen freundlichen Blick zu dem jungen Soldaten hinüber und zu dem verwundeten Offizier, dessen Anwesenheit sein Haus von anderer Einquartierung freigehalten hatte; denn von allen Truppen waren die Worte respektirt worden, welche Fritz Deyke an die Thüre geschrieben; Niemand hatte an diese Thür geklopft und schweigend war jede Abtheilung vorbeigezogen.
Hell und strahlend stieg der Morgen des 28. Juni herauf, jubelnd begrüßt, von den siegesfreudigen, kräftigen Soldaten in ihren Kantonnements. Schon früh war im Hauptquartier Alles in Bewegung. Der König hatte in einer Ansprache an die Armee mit innigen Worten seinen Dank für ihre hingebende Anstrengung und Tapferkeit ausgesprochen.
Dann fand das Begräbniß der Gefallenen statt, welche — soweit man sie auf dem Schlachtfelde gefunden, auf dem Kirchhofe von Langensalza bestattet wurden.
Der König stand mit seinem Gefolge am Rande des offenen Grabes, in ergreifend kurzer Rede segnete der Geistliche des Ortes die im Tode zum Frieden vereinten Krieger — Preußen und Hannoveraner — zur ewigen Ruhe ein, und Georg V., der sie nicht sehen konnte, die Leichen der Tapfern, die da vor ihm in der Grube lagen, treue Kämpfer für ihre Pflicht und ihren Kriegsherrn, — er bückte sich schweigend, faßte ein Häuflein Erde und streute mit seiner königlichen Hand den ersten Staub auf jene braven Todten.
»Leicht sei euch die Erde!« flüsterten die Lippen des Königs und noch leiser fügte er hinzu: »Wohl Dem, der da ruht im ewigen Frieden!« —
Dann faltete er die Hände, betete ein stilles Vaterunser und schritt am Arme des Kronprinzen dem Schützenhause zu. Auf seinem Wege begrüßten ihn überall die auf den Straßen in Gruppen stehenden Soldaten mit lautem Hurrah und »Vorwärts! Vorwärts!« hörte man hier und da ihm entgegenrufen.
Tief senkte der König das Haupt. Ein schmerzlicher Ausdruck lag auf seinen Zügen.
Kaum in seinem Zimmer angelangt, ließ er nach dem kommandirenden General senden.
Derselbe war bei den Truppen und es verging eine Stunde, bevor er in das Zimmer des Königs trat.
»Sind