Und er faltete die Hände und blickte mit ängstlicher Spannung auf das Gesicht des am Boden Liegenden.
In der That bewegten sich die Augenlider, schlossen sich langsam und öffneten sich wieder, — einen Augenblick schien ein Blitz des Lebens in den Augen aufzuleuchten, dann nahmen sie wieder ihren starren gläsernen Ausdruck an.
Fritz Deyke sank auf die Kniee nieder.
»Großer Gott im Himmel!« sprach er zitternd und hastig, — »und wenn Du mir in meinem ganzen Leben keine Bitte mehr erhören willst, hilf mir jetzt den armen Herrn retten!«
Schnell zog er seine Feldflasche hervor, öffnete den Mund des Verwundeten und goß einen mäßigen Schluck Branntwein hinein.
Dann beobachtete er mit angstvollen Blicken den Erfolg dieser Prozedur.
Ein leises, fast unmerkliches Zittern zog durch die Glieder des Lieutenants, die Augen belebten sich einen Augenblick und richteten sich mit fragendem Ausdruck auf den jungen Bauern, leicht öffneten sich die Lippen, ein röthlicher Schaum drang am Rande derselben hervor und ein langer Athemzug hob die Brust.
Dann schlossen sich die Augenlider und das Gesicht verlor jenen entsetzlichen Ausdruck der Starrheit des Todes. Aber kein weiteres Lebenszeichen ließ sich entdecken.
»Jetzt vor Allem fort nach der Stadt!« rief Fritz Deyke, hob mit seinen kräftigen Armen den Körper des jungen Offiziers auf und trug ihn zu seinem Pferde.
Mühsam erkletterte er den Sattel, immer den bewegungslosen Körper haltend, zog diesen nach sich und brachte ihn, umschlungen von seinem rechten Arm, in eine sitzende Stellung vor sich, während er mit der Linken die Zügel führte.
Rasch ritt er querfeldein der Stadt zu.
Die von den Dragonern, den Gardes du Corps und den Kürassieren zersprengten Quarrés und die von dem Rittmeister von Einem genommene Batterie waren fast der letzte Widerstand gewesen, der von preußischer Seite noch geleistet wurde.
Mächtig waren aus dem Centrum die hannöverischen Brigaden vorgedrungen und bald war das ganze Gefechtsfeld bis weit hinaus nach Gotha hin von den hannöverischen Truppen besetzt.
Wie die nicht marschfertige Armee die unerhörtesten Märsche — leider zwecklos — gemacht hatte, so hatte nun die nicht schlagfertige Armee aus eigener unwiderstehlicher Initiative geschlagen und gesiegt. — Auf dem Hügel bei Merxleben aber hatte den ganzen Tag über der König und sein Gefolge gestanden.
Nicht einen Augenblick hatte Georg V. den Sattel verlassen. Er hatte kurze Fragen gestellt über den Gang der Schlacht, die ihm von den Herren des Gefolges beantwortet wurden; vom kommandirenden General waren keine Meldungen gekommen; wurde doch die Schlacht geschlagen von den einzelnen Offizieren und ihren Abteilungen, welche nicht mehr rückwärts gehen wollten und die Offensive ergriffen hatten, wo Jeder gerade stand und in der Weise, wie es ihm am zweckmäßigsten und erfolgreichsten erschien.
Der König sah nichts, er hörte über sich den zischenden Flug der Kugeln, rings um sich her den Donner der Kanonen, — aber das wechselnde, lebendige Bild fehlte, welches die Sinne ergreift und in zitternder Erregung fesselt.
Wie ein ehernes Bild stand er da, keine Spur der inneren Bewegung zeigte sich auf seinem ruhigen Antlitz, — seine stete Frage war, ob die Truppen ihn sehen könnten.
Als endlich der Generaladjutant den Hügel herausgesprengt kam und die Nachricht brachte, daß das Centrum des Feindes durchbrochen sei, — als die Gardekürassiere, welche hinter dem Standort des Königs in Reserve gehalten hatten, rasselnd vorbeizogen, mit lautem Hurrah den königlichen Kriegsherrn begrüßend, um zur Verfolgung des Feindes in die Ebene hinab zu reiten, — als nun endlich auch ein Adjutant des kommandirenden Generals mit der Meldung erschien, daß der Sieg der hannöverischen Waffen zweifellos sei, da hob ein langer Athemzug die Brust des Königs und er sagte: »Ich will absteigen!«
Die Reitknechte eilten herbei, — der König stieg vom Pferde.
Sämmtliche Herren traten heran, ihm ihre Glückwünsche auszusprechen.
»Viele tapfere und brave Herzen haben ausgeschlagen, — Gott gebe ihnen den ewigen Frieden!« sagte der König mit tiefem Ernst.
Er stand lange gedankenvoll.
»Ich bin etwas erschöpft,« sagte er dann, — »gibt es etwas zu trinken?«
Die Nächststehenden griffen nach ihren Feldflaschen, — sie waren leer.
»In unserem Wagen ist etwas Sherry,« sagte der Regierungsrath Meding.
»Ich habe einen Reisebecher bei mir!« rief Graf Platen und zog aus einem Etui einen silbernen Becher.
Der Regierungsrath Meding eilte zu den Equipagen und kam bald mit einer halben Flasche Sherry und einem kleinen Weißbrod zurück. Er goß den Wein in den kleinen Becher und reichte ihn dem König.
Georg V. trank ihn aus und aß einen Bissen Brod.
»Jetzt bin ich gestärkt!« rief er, — »wollte Gott, daß jeder meiner Soldaten dasselbe sagen könnte!«
»Ich will etwas gehen,« sagte er dann, nahm den Arm des Regierungsraths Meding und schritt auf der Höhe des Hügels langsam auf und ab.
»Gott hat unsern Waffen den Sieg gegeben,« sprach er mit bewegter Stimme, — »was ist nun zu thun?«
»Majestät,« sagte der Regierungsrath, — »wenn so viel edles Blut nicht umsonst vergossen sein soll, so müssen wir auf der Stelle nach Gotha, dort die Eisenbahn überschreiten und die Bayern zu erreichen suchen.«
Der König seufzte.
»O daß ich mich an die Spitze der Armee setzen könnte und sie vorwärts führen! — Man wird aber Schwierigkeiten machen, Bedenken erheben, — Sie wissen, welche Bedenken der Generalstab stets erhebt, — im Kriegsrath —« er blieb sinnend stehen.
»Lassen Eure Majestät im Kriegsrath Protokoll führen, damit man wenigstens jene Bedenken schwarz auf weiß hat und sie genau konstatiren kann,« sagte der Regierungsrath.
»Das soll geschehen!« rief der König lebhaft, — »Sie sollen das Protokoll führen, — ich bin der Geschichte verantwortlich für das was geschieht — und versäumt wird!« —
Ein Adjutant des kommandirenden Generals sprengte heran.
»Der Generallieutenant von Arentschildt läßt Eure Majestät bitten, Allerhöchstihr Hauptquartier in Langensalza zu nehmen!«
»Zu Pferde!« rief der König.
Die Adjutanten eilten herbei, die Pferde wurden vorgeführt und der königliche Zug setzte sich in Bewegung, den Hügel herab über das Schlachtfeld hin.
Ernst und ruhig ritt der König der Stadt zu. An der Mühle vorbei ging der Zug, Leichenhaufen lagen am Wege, die Hufen der Pferde wurden geröthet vom Blut, das in großen Lachen am Boden stand. Der König sah es nicht. Er hörte das Hurrah der Truppenabtheilungen, welchen er begegnete und die ihn laut jubelnd begrüßten, — keine Siegesfreude belebte sein edles Gesicht, kalt und still saß er auf seinem Pferd, — er dachte der Gefallenen, welche den Sieg mit ihrem Leben erkauft, — er dachte der Zukunft und mit banger Sorge fragte er sich, ob der Preis des Sieges die ersehnte Frucht bringen werde: die Rettung der Armee aus der gefahrvollen Stellung, in welche sie geführt war.
Das königliche Hauptquartier etablirte sich im Schützenhause zu Langensalza.
Kaum hatte sich der König ein wenig erfrischt, so befahl er, den kommandirenden General und den Chef des Generalstabes zu rufen, und lud zugleich den General von Brandis, den Grafen Platen, den Grafen Ingelheim, den Kabinetsrath und den Regierungsrath Meding ein, dem Kriegsrath beizuwohnen, der über die nun zu treffenden Maßregeln entscheiden sollte.
Es war neun Uhr Abends, als die