Langsam setzte sich der Zug in Bewegung, die Lokomotive pfiff, — schneller rollten die Räder, — noch ein allgemeiner lauter Ruf: »Auf Wiedersehen!« und dahin brausten die Wagen, — der König hatte die Residenz verlassen.
Langsam entfernten sich die Generale und Hofchargen, langsam und schweigend zerstreute sich die Menge und nachdenklich schritt Herr Beckmann wieder auf dem einsamen Perron hin und her.
»Tiens, tiens,« sagte er zu sich selbst, — »voilà revers de la medaille. Was wird dieser Krieg Alles zerstören, — wie tief schneidet er in das menschliche Leben in seinen Höhen und Tiefen! — Große Entscheidungen liegen im Schooße der heranrollenden Zukunft — ja, — aber auch Thränen, — ist doch selbst mein Auge feucht geworden bei diesem Abschied des Königs von seinem Volk. — Nun, was geschehen soll, wird geschehen, der Einzelne kann nichts dazu und nichts davon thun, — das Verhängniß reißt uns Alle fort!«
»Der Zug nach Köln wird abgelassen,« sagte ein Schaffner, an ihn herantretend.
»Endlich!« rief Herr Beckmann freudig aufathmend, und bald führte ihn die zischende und pfeifende Lokomotive davon.
Zwölftes Kapitel.
König Georg V. war am 16. Juni früh Morgens in Göttingen angekommen und zu ihrem großen Staunen und nicht geringer Bestürzung erfuhren die Einwohner, welche am Abend vorher noch kaum einen wirklichen Begriff von dem hohen Ernst der Lage gehabt hatten, daß der Krieg ausgebrochen, der König im Gasthofe zur Krone angekommen und die Armee in der Zusammenziehung nach Göttingen begriffen sei.
Die Stadt der alten Georgia Augusta hatte kaum jemals so viel buntes und geräuschvolles Leben in ihren Mauern gesehen.
Unaufhörlich rückten durch die Thore der Stadt oder vom Bahnhofe her neue Truppen an und bezogen theils Quartiere in der Stadt, theils in den Dörfern der Umgebung.
Alle Soldaten hatten sich mit frischen Eichenreisern geschmückt, klirrend zogen die stolzen, herrlich berittenen Kavallerieregimenter heran, rasselnd rollten die Batterieen über das Pflaster und lustige Lieder erklangen von allen Seiten aus den Reihen der kriegesmuthigen Schaaren.
Vor dem Gasthofe zur Krone war ein reges Leben. Ordonnanzen von den rothen Leibhusaren hielten dort, der Befehle gewärtig, Adjutanten kamen und gingen, Lakaien eilten geschäftig hin und her, Gruppen von Bürgern standen versammelt in leisem, flüsternden Gespräch und blickten neugierig hinauf nach den mittleren Fenstern des ersten Stockwerks, wo der König wohnte.
Wenn aber ein neues Regiment anrückte und kurz vor dem Anmarsch an das Hotel die Klänge des God save the King ertönten, dann öffnete sich oben das Fenster und der König erschien an demselben in der Generalsuniform und der Feldmütze, ernst und still, freundlich herabgrüßend zu den Truppen, die daherzogen, um seinem Feldruf zu folgen und deren Fahnen sich neigten vor dem königlichen Kriegsherrn. Jubelnd und brausend aber stieg der althannöverische Hurrahruf empor, daß die Fenster klirrten und das Herz des Königs freudiger schlug, denn man konnte es hören, daß dieser Ruf aus dem Herzen drang und daß die Soldaten, welche mit demselben ihren König begrüßten, ihr Blut freudig vergießen würden zu seiner Vertheidigung.
Gegen neun Uhr erschien der Senat der Universität, geführt von dem Prorektor, dem berühmten Staatsrechtslehre Zachariä, in den schwarzen Talaren mit der Verbrämung in den Farben der Fakultäten, und die fast priesterlich dunkle Tracht der Vertreter der Wissenschaft, welche in dem Kriegsgetümmel den König zu begrüßen kamen, mischten sich mit den bunten, glänzenden Uniformen und trugen dazu bei, dem lebensvollen, wechselnden Bilde neuen Reiz zu verleihen.
Der König hatte die Professoren empfangen, hatte mit dem Generaladjutanten und dem General Gebser, welchen er zum Kommandeur der Armee bestimmt hatte, gearbeitet und saß allein in seinem Zimmer.
Sein Gesicht war bleich und ermüdet von der Unruhe und Aufregung des vergangenen Tages und der schlaflosen Nacht, aber hoher Muth und unbeugsame Entschlossenheit leuchtete aus seinen Augen.
Der Kammerdiener öffnete die Thür und meldete den Kronprinzen.
Freundlich lächelnd streckte der König seinem Sohne die Hand entgegen, welche dieser ehrerbietig küßte.
»Hast Du etwas geschlafen?« fragte der König.
»Wenig,« antwortete der Prinz, dessen Gesicht heute unter dem Eindruck des bewegten, rauschenden Treibens um ihn her etwas mehr Leben zeigte als sonst, — »ich habe mit vielen Offizieren der heranziehenden Truppen gesprochen.«
»Ein herrlicher Geist in der Armee, nicht wahr?« rief der König freudig bewegt, »es macht mich überaus glücklich, mich von solchen Truppen umgeben zu wissen!«
»Ja,« antwortete der Prinz zögernd, — »der Geist ist vortrefflich, — aber —«
»Was aber?« fragte der König gespannt und befremdet, — »hast Du irgend etwas bemerkt, das mit diesem Geist nicht übereinstimmte?«
»Der Geist ist ganz vortrefflich, Papa,« erwiederte der Kronprinz langsam und etwas mit der Stimme anstoßend, als ob er die Worte nicht recht finden könne, — »aber — aber es ist kein rechtes Vertrauen in die Führung da!«
»Kein Vertrauen in die Führung!« rief der König lebhaft aufstehend, — »beim Beginn des Feldzuges, — das wäre ja sehr schlimm!«
Er schwieg einen Augenblick.
»Bist Du dessen sicher?« fragte er, — »wer hat Dir das gesagt?«
»Viele Offiziere antwortete der Prinz, »vom Generalstab, — die Adjutanten, — und man hat mich dringend gebeten, es Dir zu sagen.«
»So?« fragte der König, — »und zu wem hat man kein Vertrauen, — hat man die Namen genannt?«
»Doch,« sagte der Prinz, — »man glaubt nicht, daß der General Gebser die richtige Energie für das Kommando im Felde habe, — auch sei sein Name nicht populär unter den Truppen, und auch General Tschirschnitz sei zu alt für die Strapazen des Krieges und zu sehr in den aktenmäßigen Bureaudienst eingelebt —«
Mit rascher Bewegung ließ der König seine Hand über den vor ihm stehenden Tisch gleiten und bewegte heftig die darauf stehende Glocke.
»Der Flügeladjutant vom Dienst!« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.
Unmittelbar daraus trat der Flügeladjutant Rittmeister Graf Wedel, der Bruder des Schloßhauptmanns, in das Zimmer.
»Eure Majestät befehlen?«
»Mein lieber Wedel,« sagte der König, »der Kronprinz theilt mir soeben, wie das seine Pflicht ist, mit, daß unter den Offizieren und den Truppen das Vertrauen zu dem General Gebser fehle, welchem ich das Kommando über die Armee zu übertragen beschlossen habe, und daß auch der Generaladjutant nicht das nöthige Vertrauen habe. Der Augenblick ist ernst, — sagen Sie mir als Offizier und mein Flügeladjutant bei Ihrem Eid und Ihrer Pflicht, was Sie darüber wissen.«
Graf Wedel, eine schöne, kräftige Männergestalt mit kurzem schwarzen Haar und schwarzen Vollbart, richtete sein großes, dunkles Auge voll und offen auf den König und antwortete mit fester, klarer Stimme:
»Was Seine Königliche Hoheit Eurer Majestät gesagt hat, ist, soweit ich Gelegenheit gehabt, mich über die Stimmung zu orientiren, — die volle Wahrheit!«
Der König saß einen Augenblick nachdenklich.
»Und Sie haben das von ernsten und tüchtigen Offizieren gehört?« fragte er.
»Von den Offizieren des Generalstabes,« erwiederte Graf Wedel, »und mehreren andern Offizieren, die ich zu sprechen Gelegenheit gehabt.«
»Und wer würde das Vertrauen der Armee als ihr Führer haben?«
»Der