Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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alle Jahrhunderte der Geschichte; — aber Er — er ist ein Mann der That und des Muthes, er kennt die Gefahr und fürchtet sie nicht — auch er scheut hier zurück. Das ist ernster, und ein Wort dieses Mannes läßt eine ganze Welt von Kammerrednern, Diplomaten und Bureaukraten federleicht in die Luft steigen . . . den Rückzug will er vorbereiten!« —

      Herr von Bismarck stand einen Augenblick still und blickte sinnend vor sich nieder.

      »Und hat er nicht Recht?« sprach er dann dumpf und finster — »wenn nun der Erfolg fehlte, wenn den Feinden die Macht würde, Preußen zu beugen — zu brechen, — was wäre die Folge? — abzutreten, wie ein leichtsinniger Spieler, verurtheilt von Allen, durch die ganze künftige Geschichte hindurch — ein Spott des miserablen Haufens — aber dann,« rief er lebhaft aus, indem sein Blick sich brennend aufwärts richtete, »die andere Seite, — zurückweichen mit dem Bewußtsein des Sieges im Herzen, den Augenblick verlieren und damit vielleicht jene ganze große, mächtige Zukunft Preußens, die ich so leuchtend vor mir stehen sehe —

      Was du dem Augenblick verloren, bringt keine Ewigkeit zurück.«

      Und wieder stand er still und blickte in tiefem Sinnen zur Erde.

      »O wer mir Licht geben könnte in diesem Dunkel!« rief er dann heftig — »ich muß den Himmel über mir haben und die frische Luft in das Blut dringen lassen« — und er ergriff einen leichten Hut, verließ das Zimmer, stieg die Treppe herab, die aus seiner Wohnung in den Hof führt, durchschritt diesen Hof mit großen Schritten und vertiefte sich in die dunkeln Gänge des großen Gartens, dessen uralte mächtige Bäume die hintere Seite des Hotels des auswärtigen Amts umgeben.

      Zu derselben Stunde saßen in einem eleganten und freundlich erleuchteten Salon desselben Gebäudes eine ältere und eine jüngere Dame, mit einer leichten weiblichen Arbeit beschäftigt. Zur Seite stand der Theetisch und die gesellige Flamme ließ das Wasser im Kessel jene eigentümlichen Weisen singen, welche für die Engländer im Verein mit dem Zirpen des Heimchens die Musik des Herdes, den Gruß der Heimat bilden.

      Die Damen waren Frau von Bismarck, die Gemahlin des Ministerpräsidenten, und ihre Tochter, — bei ihnen saß der Legationsrath von Keudell, der nächste Vertraute seines Chefs.

      Man sprach über die Ereignisse des berliner Tageslebens, über die Theater und was sonst das Interesse der Gesellschaft erregen konnte. Frau von Bismarck blickte öfter mit einiger Unruhe und besorgtem Ausdruck nach der Thüre.

      »Wissen Sie, ob mein Mann noch Besuch hat, lieber Keudell?« wandte sich Frau von Bismarck an den Legationsrath, »ich bin immer in Besorgniß, daß die so übermäßige Anstrengung seiner Gesundheit ernstlich schadet, und ich bin wahrhaft erbittert auf jeden Besuch, der ihm die wenigen gemüthlichen Augenblicke verkürzt, die er Abends bei uns zubringt und die der Anspannung seiner Nerven etwas Erholung bringen.«

      »So viel ich weiß,« erwiederte Herr von Keudell, »war Niemand mehr bei ihm und er wird wohl noch einige eilige Sachen abmachen.«

      Die Thür öffnete sich und Herr von Bismarck trat herein. Er begrüßte seine Frau und Tochter herzlich, reichte Herrn von Keudell die Hand und setzte sich zu dem kleinen Kreise.

      Fräulein von Bismarck bereitete und servirte den Thee, während ein Lakai dem Ministerpräsidenten ein geschliffenes Glas schäumenden bayerischen Bieres reichte, das derselbe in einem durstigen Zug halb leerte.

      »Der Feldmarschall Wrangel war bei mir,« sagte Frau von Bismarck — »er wollte Dich auch besuchen, ich habe ihn aber davon abgehalten und ihm gesagt, Du wärst dringend beschäftigt.«

      »Ich danke Dir,« erwiederte ihr Gemahl,— »ich hätte auch in der That heute kaum einen freundschaftlichen Besuch empfangen können. Die Geschäfte verwickeln sich mehr und mehr und man bedarf wirklich der größten Ruhe, um die Gedanken festzuhalten und — den Willen zu konzentriren,« setzte er halb nachdenklich hinzu, indem der präokkupirte Ausdruck, der schon bei seinem Eintritt an ihm sichtbar geworden war, noch schärfer hervortrat.

      »Der Feldmarschall hat mir etwas Allerliebstes mitgebracht,« fuhr Frau von Bismarck fort, indem sie ein Briefcouvert ergriff, das auf dem Tisch vor ihr lag, »und ich habe mit ihm sehr über diesen originellen Einfall lachen müssen.«

      So sprechend zog sie aus dem Couvert eine kleine Karte und reichte sie ihrem Manne.

      Derselbe warf einen Blick darauf und der gedrückte und sorgenvolle Ausdruck seines Gesichts wich einem heitern, fröhlichen Lachen, in das er beim Anblick der Karte ausbrach.

      »Ah!« rief er, »mein Porträt mit der kleinen Lucca — ist das schon im Publikum? — Nun, ich habe nichts dagegen; wir befinden uns Beide in sehr anständiger Gesellschaft!« Lächelnd betrachtete er das kleine Bild und fuhr fort: »Ich begegnete ihr neulich unter den Linden, begleitete sie eine Strecke und sie klagte bitter über Langeweile. ›Ich weiß nichts Anderes anzufangen, als mich photographiren zu lassen,‹ rief sie unmuthig aus. Ich offerirte ihr, dieß sonderbare Amüsement mit ihr zu theilen, und so entstand dieß kleine, allerdings höchst komische Bildchen — über das man recht viel schwatzen wird. Tant mieux — der Hund des Alcibiades!«

      Frau von Bismarck betrachtete das Bild nochmals und ergötzte sich unter fröhlichem Lachen höchlich über die Gruppe, während ihr Gemahl bald wieder in sein dumpfes Brüten versank.

      Nach einigen Augenblicken, als das Gespräch stockte, erhob er das Haupt, wendete sich an Herrn von Keudell und sagte:

      »Ein wenig Musik, lieber Keudell, wollen Sie?«

      Herr von Keudell stand auf und setzte sich an den an der andern Seite des Salons stehenden offenen Flügel.

      Er griff einige Akkorde und begann dann mit meisterhaftem, wunderbar klarem und kräftigem Anschlag eine Art von Präludium, das, in unregelmäßigen Gängen fortschreitend, in kämpfenden Uebergängen Dissonanzen schuf und auflöste und der Gemüthsstimmung des Ministers zu entsprechen schien.

      Herr von Bismarck erhob sich und ging in langsamen großen Schritten im Salon auf und ab, leise auftretend, um die Musik nicht zu stören und nichts von dem Eindruck zu verlieren, den dieselbe auf ihn machte.

      Herr von Keudell spielte weiter und weiter und versank immer tiefer in die Welt der Töne. Allmälig wurden die mit einander kämpfenden Akkorde klarer, immer reiner lösten sich die Dissonanzen und nach einem einfachen Uebergang in leisen Tönen begann er die As-Dur-Sonate von Beethoven.

      Kaum erklangen die ersten so einfachen und doch so gewaltig ergreifenden Töne des Themas, so hielt Herr von Bismarck einen Augenblick an, sein Auge erweiterte sich und ein leises Lächeln der Befriedigung, das seine Lippen umspielte, schien anzudeuten, daß Herr von Keudell etwas getroffen habe, was ihn wohlthuend ansprach.

      Dann nahm er seinen Spaziergang durch den Salon wieder auf und während die herrlichen Variationen, welche des Tondichters gigantische Schöpfungskraft aus jenem einfachen Thema herauswachsen ließ, ihr mächtiges Tonbild aufrollten, malte sich auf dem Gesicht des Ministers ein gewaltiges inneres Ringen. Bald hielt er einen Augenblick wie unschlüssig an, halblaute Worte flüsternd, bald schritt er wieder kraftvoll vorwärts, das Auge wie losgelöst von der nächsten Umgebung in weite Fernen tauchend.

      Frau von Bismarck verfolgte von Zeit zu Zeit den Gang ihres Gemahls und blickte mit besorgter Teilnahme auf seine unruhigen, leidenden Züge, ohne jedoch durch irgend ein Wort das Spiel des Herrn von Keudell zu unterbrechen.

      Derselbe war indessen bis zu jenem wunderbar schönen Satze der Sonate gekommen, den Beethoven mit der Ueberschrift bezeichnet hat: Marcia funebre sulla morte d'un Eroe, und sein meisterhaftes Spiel ließ die tief erschütternden Akkorde dieses Marsches durch den Salon klingen.

      Herr von Bismarck stand still. Seine mächtige Hand umspannte die Lehne eines Sessels, sein Auge richtete sich aufwärts, und mit einem Ausdruck, als ob eine Inspiration seinen Geist durchziehe, lauschte er den erschütternden Tönen.

      Die so kunstvoll nachgeahmten gedämpften Trommeln wirbelten, die Trompetenstöße erklangen, und Herr von Keudell, fortgerissen von der Schönheit der Komposition, übertraf in seinem