Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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und Blut und fügen sich der Maschine nicht, und so wird die Regierung von den Regierten entfremdet und die Beamten werden Schreiber, die sich den Willen und Entschluß dienstlich abgewöhnen müssen und rathlos dastehen, wenn einmal Verhältnisse an sie herantreten, die eben nur durch Willen und Entschluß beherrscht werden können. Bis dann die gehorsamste Anfrage durch alle Instanzen heraufgegangen und das hochgeneigte Reskript vom grünen Tische heruntergekommen ist, sind die Dinge, die eben lebendig sind und nicht im Aktenrepositorium zurückgelegt werden können, ihren Weg gegangen — und,« fügte er mit jovialem Lächeln hinzu, »das ist noch das geringste Uebel, denn sie gehen oft allein am besten. — Die gute alte Zeit — nun, sie hatte auch ihre vielen Mängel — aber darin war sie doch besser. Die Beamten kannten das Volk und lebten mit ihm, sie thaten, was nöthig war, nach den Gesetzen und nach ihrem Gewissen und man ließ sie gewähren. Die Minister reisten durch das Land — so einmal im Jahr und wußten besser, wie es da aussah und auf wen sie sich verlassen konnten, als sie's jetzt aus all' den weitläufigen Berichten erfahren. Nun,« sagte er lächelnd nach einer kleinen Pause — »ich finde mich drein. Will man Berichte, man gibt mir ja Auditoren, die sie schreiben, und die Reskripte nehme ich mit schuldigem Respekt entgegen, aber verwalten thue ich doch nach alter Weise — und meine Unterthanen stehen sich gut dabei; ich glaube, in meinem Amtsbezirk wird man stets Alles in gehöriger Ordnung finden — in besserer, als in manchen anderen, wo die moderne Manier völlig eingebürgert ist.«

      Der Sohn hatte den Vater mit der in dieser Familie heimischen Ehrerbietung angehört, ohne jedoch verhindern zu können, daß hin und wieder ein halb ungeduldiges, halb mitleidig überlegenes Lächeln um seine Lippen zuckte. Als der Vater geendet, antwortete er in ruhigem Tone mit jener gleichmäßigen, halb pathetischen, halb monotonen Stimme, welche man bei den Vorträgen an den grünen Sessionstischen durch die ganze Welt überall da hört, wo es grüne Tische, Referenten und Akten gibt:

      »Ich finde es sehr natürlich, lieber Vater, daß Du die alte Zeit liebst und sie vertheidigst, Du wirst mir doch aber auch gewiß darin Recht geben, daß die Entwickelung der Zeit andere Anforderungen an die Verwaltung stellt. Die alte Naturalwirtschaft, welche die Basis der Nationalökonomie der früheren Generationen war, autonomisirte Land und Leute und trennte sie in verschiedene Gruppen; die Personen, die Genossenschaften bildeten besondere wirtschaftliche Elemente, die ihr eigenes gesondertes Leben lebten, und es war gewiß richtig, daß damals sich die Verwaltung dem Leben anschloß und ebenfalls gleichsam individualisirt wurde. Heute strebt das nationalökonomische Leben nach Konzentration, die gewaltigen Verkehrsmittel unserer Zeit, die sich in rapiden Progressionen täglich vermehren, verwischen die Grenzen von Raum und Zeit, die vordem die einzelnen Elemente des wirtschaftlichen Volkslebens trennten, die autonomischen Elemente fügen sich als Theile in das ineinandergreifende Ganze, und da muß denn doch auch die Regierung dieser Entwickelung des Lebens in Volk und Land folgen und eine schnellere Wechselbeziehung, eine schärfere Centralisation herstellen, es muß ein festes Prinzip, ein durchgehendes System in die Verwaltung gebracht werden, wenn das ganze Getriebe nicht stocken soll. Glaube mir, lieber Vater, es ist nicht die Regierung, welche das Leben in neue Formen hineinverwalten will, — es ist das Leben selbst, welches in seiner unwiderstehlichen Entwickelung der Regierung eine andere, schärfere und schnellere Verwaltungsmethode zur Notwendigkeit macht. Uebrigens,« fügte er hinzu, »glaube ich nicht, daß unsere Ansichten so weit auseinander gehen, bei all' Deiner Vorliebe für die alte Zeit wirst Du doch mit der neuen sehr gut fertig, und der Minister sagte mir noch neulich, daß die Pünktlichkeit, Ordnung und Raschheit in Deiner Amtsverwaltung bewundernswerth sei und bei jeder Gelegenheit von der Landdrostei rühmlichst anerkannt werde.«

      Der alte Herr schmunzelte sichtlich geschmeichelt durch diese Wendung seines Sohnes, und sagte mit gutmüthigem Schmollen:

      »Nun, fertig werden kann ich mit der neuen Zeit auch schon — aber ich lobe mir doch die alte, und was Du da sagst, das ließe sich Alles mit weit weniger System, Papier und Dinte machen. — Aber wir wollen uns darum nicht weiter streiten,« fügte er hinzu, indem er seinem Sohn freundlich auf die Schulter klopfte, — »ich bin ein Kind meiner Generation, Du lebst in der Deinigen — jede Zeit drückt dem Menschen ihren Stempel auf, er mag wollen oder nicht; — schade nur, daß die heutige Zeit sich die Arbeit so leicht macht und alle ihre Kinder nach der Schablone formt — sie tragen den Fabrikstempel, nicht mehr das alte gute Manufakturzeichen. — Doch, laß uns hineingehen, da kommt die Mama zur Thür, um mich zu rufen, und in der That, der alte böse Feind da« — er deutete mit dem Stock auf seinen Fuß, — »möchte mit der Abendluft eine Konspiration zu einer neuen Attake gegen meine alten Knochen machen.«

      Und langsam wendete er sich zur großen Thür des Familienzimmers, in deren Rahmen so eben seine Gattin erschienen war und mit sorgendem Blick nach ihm hin sah.

      Er hatte dieselbe eben erreicht und war an ihrer Seite, von seinem Sohne gefolgt, in das Zimmer getreten, als Hundegebell vom Hofe her ertönte und bald darauf Stimmen auf dem Flur laut wurden.

      Ein alter Diener in einer saubern, einfach grauen Livree öffnete die Thür und der Pastor Berger mit seiner Tochter trat in den Familienkreis. Der Oberamtmann ging dem geistlichen Herrn achtungsvoll und freundschaftlich entgegen und schüttelte ihm kräftig die Hand, worauf dieser die Dame des Hauses begrüßte, während seine Tochter von den jungen Mädchen umringt wurde.

      »Wir kommen,« sagte der Pastor, »um dem Lebensjahre, das Sie heute beschlossen, mein verehrter Freund, in gewohnter Weise ein freundliches Geleit zu geben, zum Dank für alles Gute, das es gebracht — und wir bringen auch den Lieutenant mit, den wir auf der Landstraße aufgelesen — er ist nur als guter Kavallerist zunächst in den Stall gegangen, um sein Pferd unterzubringen.« — »Also ist er doch gekommen,« sagte Frau von Wendenstein erfreut, »ich fürchtete schon, er möchte keinen Urlaub erhalten können.« —

      Die Thür wurde lebhaft geöffnet und mit raschem, klirrendem Schritt eilte der Lieutenant von Wendenstein auf seine Mutter zu, der er die Hand küßte und welche ihn herzlich umarmte. Dann trat er zu seinem Vater, der ihn auf die Wangen küßte und mit einem Ausdruck freudiger Genugthuung auf den blühenden jungen Mann blickte, der in gerader militärischer Haltung vor ihm stand.

      »Ich komme spät,« sagte der Lieutenant, »weil wir noch viel zu thun hatten. Die Kameraden lassen sich empfehlen, sie kommen morgen alle, um Dir zu gratuliren, lieber Vater, wenn es irgend angeht, denn wir haben gewaltig viel Arbeit aller Art, — die dießjährige Exerzirzeit soll früher gehalten werden, — die Ordre ist ganz plötzlich gekommen und Du kannst Dir denken, daß das keine geringe Unruhe hervorbringt.«

      Der Lieutenant wendete sich dann, nachdem er seinem Bruder freundlich die Hand gedrückt, zu seinen Schwestern und der Tochter des Pfarrers und war bald mit den drei jungen Mädchen und dem Auditor von Bergfeld in eine heitere, oft von lautem Lachen unterbrochene Unterhaltung vertieft, während der geistliche Herr mit dem Oberamtmann und seinem ältesten Sohn sich zu der Dame des Hauses um den großen Tisch vor dem Sopha setzten.

      »Das ist auch eine sonderbare Maßregel,« sagte der Oberamtmann, »von der da mein Sohn soeben sprach und von der ich schon in der Zeitung las — diese Verfrühung der Exerzirzeit. — Die auswärtige Politik ist nicht mein Fach und ich habe mich stets wenig darum gekümmert — aber was diese Maßregel in der jetzigen Zeit der ernsten Krisis helfen soll, das verstehe ich nicht.«

      »Es ist ein Auskunftsmittel,« sprach der Regierungsassessor mit der Miene eines Eingeweihten, »welche einer mehrseitigen Verlegenheit begegnen soll. Die Spannung zwischen Preußen und Oesterreich wird täglich schärfer und die deutschen Regierungen wollen eine Mobilmachung der Bundeskontingente. Preußen verlangt von der anderen Seite strikte Neutralität, und da hat man diesen Ausweg gewählt, um der Mobilmachung zu entgehen und doch die Truppen schlagfertig unter der Hand zu haben, wenn der Konflikt ausbrechen sollte.« —

      »Allen Respekt vor Deiner ministeriellen Auskunft,« sagte der Oberamtmann scherzend — »aber ich kann nicht einsehen, wozu das führen soll. Wenn Preußen die Neutralität verlangt, so wird es durch diese mindestens auffallende Maßregel fast ebenso beunruhigt und verletzt werden, als durch die Mobilmachung — für die militärische Schlagfertigkeit erreicht man viel weniger und Oesterreich mit seinen Verbündeten würde darin ein Ausschließen von ihrer gemeinsamen Aktion