Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oskar Meding
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237470
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stieg ein Mann von Mittelgröße, in dunklem Paletot und schwarzem Hut, näherte sich der Gaslampe, um in seinem Portemonnaie die zur Bezahlung der Droschke nöthige Münze zu finden, und läutete, nachdem er seine Rechnung mit dem numerirten Automedon ausgeglichen, stark an der neben dem Thor befindlichen Glocke. Fast unmittelbar darauf öffnete sich dieß Thor und der Einlaßbegehrende trat in eine breite Einfahrt, an deren Ende sich zwischen zwei mächtigen ruhenden Löwen die Aufgangstreppe in das Innere des Hauses befindet. An der Seite der Einfahrt über Manneshöhe öffnete sich ein in die Portierloge führendes Fenster und an demselben erschien der Kopf des Portiers mit der eigentümlichen gleichgültigen Miene, welche den Thürstehern großer Häuser überall eigen ist.

      Der Portier blickte den Eintretenden durch das halbgeöffnete Fenster fragend an.

      Dieser erhob jedoch nur flüchtig das Gesicht gegen das Fenster und schritt mit ruhigem, gleichmäßigen Schritt der Ausgangstreppe zu.

      In dem hellen Licht, das bei dieser Bewegung des Eingetretenen aus dessen Antlitz fiel, sah man die Züge eines Mannes von etwa 60 Jahren, von gesunder, ein wenig gelblicher Gesichtsfarbe. Das scharfe, lebhafte dunkle Auge funkelte stechend und durchdringend, aber zugleich ruhig, wohlwollend und freundlich durch die Gläser einer feinen goldenen Brille. Eine scharfgeschnittene, feine Nase neigte sich in leichter Krümmung zu dem schmalen, festgeschlossenen, bartlosen Munde herab, unter welchem ein energisch gewölbtes Kinn dieses eigentümliche Gesicht abschloß, das man schwer wieder vergessen mochte, wenn man es einmal gesehen.

      Kaum hatte der Blick jenes Auges unter dem goldenen Brillenreif hervor einen seiner blitzenden Strahlen nach dem Fenster der Portierloge geschossen, als der Kopf des Portiers wie durch einen Zauberschlag seine Physiognomie veränderte.

      Der gleichgültige, vornehm herablassende Ausdruck verschwand urplötzlich, das Gesicht legte sich so zu sagen in dienstliche Falten und der Inhaber dieses Kopfes eilte an die nach der Aufgangstreppe führende Thüre seiner Loge, wo er in straffer Haltung, die den altgedienten Militär erkennen ließ, dem Eingetretenen gegenüber stehen blieb, welcher inzwischen die bis zum Vestibüle des Erdgeschosses führenden Stufen der großen Treppe hinaufgestiegen war.

      »Der Herr Ministerpräsident zu Hause?« fragte der Eintretende leicht und mit jener einfachen vornehmen Freundlichkeit, welche, gleich fern von der Höflichkeit des Bittstellers und der gezwungenen Nonchalance des Parvenüs, den Mann charakterisirt, der gewohnt ist, auf den Höhen des Lebens sich in sicherer Natürlichkeit zu bewegen.

      »Zu Befehl, Excellenz,« erwiederte der Portier im Tone dienstlicher Meldung. »Soeben ist der französische Botschafter fortgegangen und es ist Niemand mehr da. Der Herr Ministerpräsident werden allein sein.«

      »Nun und wie geht es bei Ihnen? Noch immer rüstig und tüchtig zum Dienst?« fragte der Eingetretene freundlich.

      »Danke unterthänigst für Eurer Excellenz gnädige Nachfrage, es geht ja noch immer, freilich etwas schwächer wird man schon, es ist nicht Jeder so fest wie Excellenz.«

      »Nun, nun, wir werden Alle älter und gehen dem Ende entgegen, halten Sie sich tapfer — Gott mit Ihnen« — mit diesen freundlich und herzlich gesprochenen Worten stieg der ernste Mann mit der goldenen Brille die breite Treppe zum ersten Stockwerk hinauf, während der alte Portier ihm ehrerbietig und erfreut nachblickte und sich dann in seine Loge zurückzog.

      Der Eingetretene fand in dem oberen Vorzimmer den Kammerdiener des Herrn von Bismarck-Schönhausen und wurde von demselben sogleich durch den großen matterleuchteten Vorsaal in das Kabinet des Ministerpräsidenten eingeführt, dessen Thüre der Kammerdiener mit den an seinen Herrn als Meldung gerichteten Worten öffnete: »Excellenz von Manteuffel!«

      Herr von Bismarck saß vor dem großen mit Akten und Papieren überdeckten und durch eine hohe Lampe mit dunkler Kuppel erleuchteten Schreibtisch in der Mitte des Zimmers. Auf der andern Seite dieses Tisches befand sich ein Fauteuil, in welchen der Minister die ihn besuchenden Personen niedersitzen zu lassen pflegte.

      Bei der Meldung des Dieners erhob sich Herr von Bismarck und trat seinem Besuch entgegen, während Herr von Manteuffel mit einem einzigen Blick seines scharfen Auges das Zimmer umfaßte und dann mit einem fast unmerkbaren halb wehmüthigen Lächeln die dargebotene Hand des Ministerpräsidenten ergriff.

      Es war ein charakteristisches Bild von tiefem Inhalt, diese beiden sich gegenüberstehenden Männer in dem Sekundenatome der Gegenwart berührten sich die Vergangenheit und die Zukunft, das alte und das neue Preußen.

      Beide Männer fühlten selbst etwas von diesem Eindruck: sie standen einen Augenblick stumm einander gegenüber.

      Wir haben Herrn von Manteuffel bereits bei seinem Eintritt in das Hotel des auswärtigen Amtes charakterisirt, es bleibt nur noch hinzuzufügen, daß der abgenommene Hut leicht graues und dünn gewordenes, kurz geschnittenes Haar zeigte. Er stand ruhig da, die rechte Hand in der des Herrn von Bismarck, während er in den weichen weißen Fingern der linken den Hut hielt. Seine Züge hielten ihre stereotype Ruhe fest, der Mund war fast noch hermetischer geschlossen und eine abwehrende Zurückhaltung drückte dem ganzen ernst dastehenden Manne ihren Stempel auf.

      Fast um eines Hauptes Länge über ihn hervorragend stand Herr von Bismarck vor ihm.

      Seine mächtige Gestalt zeugte in ihrer Haltung dafür, daß er gewohnt war, die militärische Uniform zu tragen; sein kernig geformtes, stark markirtes Gesicht sprach in seinen tiefen Zügen von mächtigem, leidenschaftlichem innerem Leben, das graue, klare, durchdringende Auge richtete sich fest und gerade mit kaltem und kühnem Blick auf den Gegenstand, den es beobachten wollte, und unter der hohen und breiten, weit hinauf kahlen Stirn konnte man die in elementarischer Urkraft arbeitenden, durch eisernen Willen in logische Ordnung gezwungenen Gedanken errathen.

      »Ich danke für Ihren freundlichen Besuch,« begann Herr von Bismarck nach einigen Sekunden, — »Sie haben hierher kommen wollen, statt mich bei sich zu empfangen, wie ich gebeten hatte.«

      »Es ist besser so,« erwiederte Herr von Manteuffel, »in meinem Hotel hätte Ihr Besuch Aufsehen erregt, — auch ist man hier sicherer unbehorcht, und da ich vermuthe, daß ein ernster Gegenstand unsere Unterredung veranlaßt —«

      »Ja, leider muß es eine ernste und außergewöhnliche Veranlassung sein, die mir die Freude verschafft, den bewährten Rath meines alten Chefs zu hören. Sie wissen, wie oft ich mich darnach sehne, und doch entziehen Sie sich stets jedem eingehenden Gedankenaustausch« — sagte Herr von Bismarck mit leichtem Anflug schmerzlichen Vorwurfs.

      »Wozu sollte ein solcher führen?« entgegnete Herr von Manteuffel, in verbindlichem, aber kaltem Ton, — »selbst zu handeln und selbst zu verantworten ist mein Grundsatz gewesen, als ich an der Stelle stand, an der Sie jetzt stehen; fängt ein leitender Staatsmann erst an, Rath von rechts und links zu hören, so verliert er die Kraft, in fester Thatfreudigkeit auf dem Wege vorzuschreiten, den seine Vernunft und sein Gewissen ihm als den richtigen zeigen.«

      »Nun wahrlich, meine Art ist es nicht, nach allen Seiten zu hören, und an Entschluß fehlt es mir nicht, meinen Weg zu gehen,« rief Herr von Bismarck lebhaft, »und,« setzte er mit leichtem Lächeln hinzu, »meine Freunde, die Herren Kammerredner, werfen mir ja täglich vor, daß ich von ihrem guten Rath nicht genügend Gebrauch mache; darum aber werden Sie mir zugeben, daß es Augenblicke geben kann, in welchen auch der festeste Sinn sich danach sehnt, die Ansicht und den Rath eines Meisters zu hören, der auf solche Thaten zurückblickt, wie Sie, mein verehrter Freund!«

      »Und ein solcher Augenblick ist jetzt gekommen?« fragte Herr von Manteuffel ruhig, indem er sein scharfes Auge einen Augenblick forschend auf Herrn von Bismarck's bewegtem Gesicht ruhen ließ, ohne daß das im Tone innerster Ueberzeugung ausgesprochene Kompliment den geringsten Eindruck auf seinen Zügen erkennen ließ.

      »Wenn jemals, so ist jetzt der Augenblick gekommen, in welchem auch dem härtesten Sinne der Zweifel näher treten mag als sonst. Sie kennen die Lage Deutschlands und Europas und wissen, daß die gewaltige Krisis kommen muß, von der vielleicht Jahrhunderte der Zukunft abhängen werden,« sagte Herr von Bismarck.

      »Ich glaube, daß sie kommen wird — ob sie