Der Staatsrath Klindworth war damals ein Mann von fast siebenzig Jahren, breitschulterig und kräftig gebaut. Der fast zwischen die Schultern gedrückte, in lauernder Haltung etwas vorgebeugte Kopf, mit ganz kurz geschnittenen grauen, fast weißen Haaren, war von jener außergewöhnlichen Häßlichkeit, welche den Blick fesselt und ebenso, wie hohe Schönheit — ja fast noch mehr anzieht. Seine kleinen Augen blitzten scharf und durchdringend unter starken grauen Augenbrauen hervor und schienen mit ihrem schnell umherlaufenden Blick, der sich nie direkt in ein anderes Auge senkte, auf einmal Alles umfassen zu wollen und auch zu können, was sich in ihrem Gesichtskreise Bemerkenswerthes finden lassen möchte.
Sein breiter, großer Mund mit dünnen, blutlosen Lippen war fest geschlossen und in der Mitte fast verdeckt durch die tief herabhängende, große und plumpe Nase, die sich an ihrem untern Theil zu ganz außergewöhnlicher Breite ausdehnte.
Er trug einen langen zugeknöpften braunen Rock und ein weißes Halstuch und zeigte in seiner Haltung das Bild eines älteren, würdigen Herrn, den man eher für einen von den Geschäften zurückgezogenen Rentier, als für einen so vielgewandten und vielgewanderten politischen Agenten gehalten hätte. Seine im politischen Leben so vielbewährte Kunst, niemals zu erscheinen, immer in den tiefsten und dunkelsten Hintergrund zurückzutreten , übte er auch in seiner persönlichen Erscheinung, — es wäre unmöglich gewesen, das Bild einer unscheinbaren, bescheidenen Persönlichkeit treffender und charakteristischer darzustellen.
Der Staatsrath trat ein, verneigte sich tief und näherte sich dem Kaiser bis auf zwei oder drei Schritte. Dann blieb er stehen und ohne ein Wort zu sprechen wartete er in ehrfurchtsvoller Haltung, während ein schneller Blick seines Auges den Monarchen streifte und dann sich wieder zu Boden senkte.
»Ich habe Sie rufen lassen, mein lieber Klindworth,« sagte Franz Joseph, indem er leicht das Haupt neigte, »weil ich begierig bin zu hören, wie Sie die Lage auffassen, in der ich mich befinde, Sie wissen, daß ich gern höre, wie die Lage der Dinge sich in Ihrem Geiste abspiegelt, der noch in den Anschauungen einer vergangenen — großen Zeit lebt.«
»Kaiserliche Majestät sind allzu gnädig,« erwiederte Herr Klindworth mit einer leisen, aber scharf accentuirten und eindringenden Stimme. »Der reiche Schatz meiner Erfahrungen, die ich in einem langen politischen Leben gesammelt, steht meinem allergnädigsten Herrn stets zu Gebot und — wie mein großer Meister, der Fürst Metternich, sagte — die Vergangenheit ist das beste Korrektiv und der richtigste Barometer für die Gegenwart. Die Fehler der Vergangenheit sieht man mit allen ihren Folgen und Konsequenzen — und lernt daraus oft die Fehler zu vermeiden, zu denen die Gegenwart verleiten könnte.«
»Ganz recht,« sagte der Kaiser, »ganz recht — nur machte man in der Vergangenheit — in Ihrer Vergangenheit, weniger Fehler — doch, welchen Fehler würden Sie für den gefährlichsten halten, der jetzt begangen werden könnte?«
Ohne zu zaudern, erwiederte der Staatsrath, indem sein schneller Blick von unten heraus den Kaiser streifte:
»Die Unschlüssigkeit, Majestät!«
Der Kaiser sah ihn betroffen an.
»Und fürchten Sie, daß dieser Fehler begangen werden möchte?« fragte er.
»Ich fürchte, er wird schon begangen!« erwiederte der Staatsrath ruhig.
»Von wem?«
»Weßhalb erzeigen Eure kaiserliche Majestät mir die hohe Ehre, mich zu hören?« fragte der Staatsrath statt der Antwort entgegen, — »Eure Majestät wollen meine bescheidene und unvorgreifliche Meinung hören, damit sie — wenn auch nur als ein Sandkorn in die Wage falle, um Eure Majestät einen Entschluß fassen zu lassen. — Eure Majestät sind also noch nicht entschlossen.«
Und er nahm eine noch demüthigere und bescheidenere Haltung an, als bisher.
Der Kaiser lächelte.
»Sie verstehen es, in den Gedanken Anderer zu lesen, und gegen Ihre Dialektik ist nichts zu machen. — Gut denn,« fuhr er fort, »wenn ich noch nicht entschlossen bin, so ist das kein Fehler, denn jetzt erst tritt der Augenblick des Entschlusses an mich heran!«
»Befehlen kaiserliche Majestät, daß ich ohne allen Rückhalt spreche?« fragte der Staatsrath.
»Gewiß,« rief der Kaiser und mit einem Ausdruck unendlicher Hoheit fügte er hinzu: »um leere Konversation zu machen, habe ich Sie nicht rufen lassen!«
Der Staatsrath legte seine Hände über der Brust zusammen und trommelte leicht mit den Fingern der rechten auf der äußeren Fläche seiner linken Hand.
Dann sprach er langsam und in gewissen Intervallen den Eindruck seiner Worte aus den Augenwinkeln beobachtend:
»Ich kann nach meiner ganz unmaßgeblichen Ansicht die Meinung kaiserlicher Majestät nicht theilen, daß jetzt erst der Augenblick des Entschlusses gekommen sei.«
Der Kaiser blickte ihn erstaunt an.
»Und wann war denn nach Ihrer Ansicht jener Moment!« fragte er.
»Er war da,« erwiederte Herr Klindworth, »bevor Preußen mit Italien seinen Vertrag geschlossen hatte, bevor Italien gerüstet und Preußen seine Vorbereitungen getroffen hatte. — Eure Majestät wollten den großen Zwiespalt zur Entscheidung bringen, Eure Majestät wollten, die Kaiserkrone in Frankfurt aufsetzen, nachdem der Graf Rechberg dort den boeuf historique etwas vorzeitig servirt hatte —«
Der Kaiser zog die Augenbrauen zusammen.
Ohne den Ton zu ändern fuhr der Staatsrath fort:
»Eure kaiserliche Majestät haben aber zu früh Ihre Absichten enthüllt — und darum den besten Moment versäumt — der Schlag mußte urplötzlich kommen und den Gegner unvorbereitet treffen. Dieser lange Depeschenwechsel erinnert mich an die Helden vor Troja, die erst sich lange Reden hielten und ihre Genealogie erzählten, bevor sie ihre Lanzen warfen. — Der Konflikt, — eine Sommation — und Eurer Majestät Armeen mußten in Sachsen stehen! So hätte ich mir die Sache gedacht. Jetzt kommt die sächsische Armee nach Böhmen, — es ist unmöglich, anderswo zu schlagen, als in Böhmen, — d. h. die Kriegslast im eigenen Lande zu tragen. — Das, kaiserliche Majestät, nenne ich Unschlüssigkeit, — ihre bösen Folgen sind schon da und werden sich mit jedem Tage vermehren.«
Der Kaiser dachte nach.
»Glauben Sie nicht, daß Preußen den Krieg fürchtet und vor der letzten Entscheidung zurückweichen wird?« fragte er.
»Nein, Majestät,« erwiederte der Staatsrath, »das wird nicht geschehen. Graf Bismarck ist dazu unfähig.«
»Aber der König,« fragte der Kaiser — »er ist gegen den Krieg, — man spricht von einer Entfernung Bismarck's im letzten Augenblick —«
»Ich glaube daran nicht, kaiserliche Majestät,« sagte Klindworth, — »zwar fehlt mir dem König von Preußen gegenüber die persönliche Basis der Beurtheilung. — Ich habe Friedrich Wilhelm IV. gekannt,« fuhr er fort, »ich habe den Kaiser Nikolaus gekannt und kenne den Kaiser Napoleon. Von jenen verstorbenen Herren hätte ich können, von Napoleon III. könnte ich, durch die geringe Menschenkenntnis die ich besitze, vorhersagen, was sie wahrscheinlicher Weise thun möchten. — Dem König Wilhelm habe ich mich niemals nähern können,« — hier klang ein leichter Ton des Unmuths und Verdrusses durch seine Stimme, — »was er thun möchte, kann ich daher nur auf Grund der Mittheilungen vermuthen, die mir über ihn gemacht sind.«
»Und was vermuthen Sie?« fragte Franz Joseph.