Es war die damals beim Karltheater engagirte jetzige Sängerin der Oper, Frau Friedrich-Materna.
»Wißt ihr's schon?« rief sie lebhaft, »der Krieg ist erklärt oder so gut wie erklärt — hier steht's in der Abendpost — unser Gesandter ist von Berlin abgerufen und die Armee in Böhmen ist marschfertig.«
»Da haben wir's,« rief die Gallmeyer, — »hin ist das lustige Wien — und,« fügte sie hinzu, indem ihr Blick mitleidig zu Herrn von Stielow hinüberflog »wie viel schöne junge Leut' werden da wieder todtgeschossen werden!«
Der alte Grois erhob das Haupt.
»Da müssen wir etwas Patriotisches in unserem Theater machen — nach alter guter wiener Art, — das bloße Possenspiel taugt nicht, wenn da draußen das blutige Trauerspiel losgeht.«
Doktor Herzel stand auf.
»Ich muß zur Redaktion,« sagte er mit einiger Wichtigkeit und nahm seinen Hut.
Ein Kellner trat ein.
»Der Herr Baron von Stielow?« fragte er.
»Was gibt's?« rief der junge Offizier.
»Ihr Diener ist da mit einer Ordonnanz, die Sie überall gesucht hat.«
»Der Dienst,« rief Herr von Stielow und erhob sich.
»Leben Sie wohl, meine Herrschaften — Ihr Wohl, Fräulein Pepi!«
Er leerte ein Glas Punsch und verließ das Zimmer.
Ein Gefreiter in Kürassieruniform überreichte ihm ein dienstlich gesiegeltes Papier.
Der junge Offizier öffnete es. Ein freudiger Stolz leuchtete aus seinem Gesicht.
»Ordonnanzoffizier des Generals Gablenz!« rief er freudig.
»Wo ist der General?« fragte er.
»Im Hotel zur Stadt Frankfurt, Herr Lieutenant!«
»Es ist gut, — ich komme!«
Und mit raschem Schritt eilte er abermals dem Ufer der Donau entlang der innern Stadt zu, — nicht träumerisch, wie er gekommen war, sondern das Haupt stolz, den Blick leuchtend, die Lippe lächelnd, schritt er dahin, indem sein Säbel klirrend auf dem Pflaster nach schleppte.
Plötzlich mäßigte er seinen Schritt. Eine Wolke zog über seine Stirn.
»So geht es denn hinaus in den frischen, fröhlichen Krieg, dem alle Soldatenherzen entgegenschlagen, und an der Seite dieses Generals, auf den jeder österreichische Reiter mit Stolz und Bewunderung blickt — und doch — welch' ein kaum erblühtes Glück lasse ich hier — werde ich es jemals wiederfinden?«
Langsamer wurde sein Schritt, bis er fast stehen blieb, und in Sinnen verloren blickte er zu den Wellen der Donau hinab, in denen sich die glänzenden Lichter der Brücken flimmernd wiederspiegelten.
»Hier oben das strahlende Licht,« murmelte er, — »dort unten die Kälte, das Grauen, der Tod!« —
Mit schneller Bewegung fuhr er aus der Träumerei auf. —
»Was wäre die Liebe,« rief er, »wenn sie uns feig und traurig machte! Nein, meine süße Geliebte, stolz und muthig will Dein Ritter sein und Dein Talisman soll ihm Glück bringen.«
Und er zog die Rose von seiner Brust hervor und drückte die Lippen darauf. Dann ging er wieder schnellen und freudigen Schrittes vorwärts und mit lächelnder Lippe summte er vor sich hin:
»Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein!«
Zweiter Band.
Achtes Kapitel.
In der Hofburg zu Wien herrschte reges Leben. Adjutanten und Ordonnanzen kamen und gingen aus und nach der über der großen Hauptwache belegenen Generaladjutantur. Gruppen von Neugierigen standen trotz der frühen Stunde, um acht Uhr Morgens, hie und da in dem großen Hof und sahen jeden kommenden oder gehenden Offizier mit höchster Spannung an, als brächte er die entscheidendsten Nachrichten.
Die öffentliche Stimmung war auf das Aeußerste erregt. Jedermann fühlte, daß gewaltige Ereignisse wie ein Gewitter in der Luft lagen und daß jeder Augenblick den zückenden Strahl bringen konnte, welcher mit gewaltigem Donnerschlag die schwülen Nebel zerreißen würde.
Die guten Wiener waren kriegerisch gestimmt. Die Presse hatte seit lange die Erbitterung gegen Preußen genährt und man hörte in den verschiedenen Gruppen die heftigsten Aeußerungen gegen die nordische Macht, sowie die zuversichtlichsten Hoffnungen auf den Sieg der österreichischen Waffen.
War doch der Feldzeugmeister Benedek, der Mann der Soldaten, der Mann des Volkes, der Gegner der adeligen Offiziere, zum Oberkommandanten der großen Nordarmee ernannt und sollte es sich nun zeigen, was die österreichische Armee leisten könne, wenn sie aus den Händen der »Junker« in die eines wahren Feldsoldaten überging.
So laut und lebhaft aber auch diese Hoffnungen ausgesprochen wurden, so bemerkte man doch keinen eigentlich hoffnungsvoll freudigen Ausdruck in den Gruppen. Es waren mehr die Lippen, welche sprachen, als das Herz, und wer bis auf den Grund hätte in die Brust dieser lebhaft sprechenden und gestikulirenden Menschen blicken können, der möchte wohl manchem stillen besorgten Zweifel begegnet sein, der die Worte der Lippen Lügen strafte. Es war eben ein neuer, seit dem siebenjährigen Kriege unbekannter und von jener Zeit her traditionell gefürchteter Gegner, dem man entgegengehen sollte, und ein Gegner, von dessen mächtiger Militärorganisation man so viel, so Unglaubliches gehört und gelesen hatte.
Aber diese Zweifel, so mächtig sie sich auch regen mochten, traten nicht aus der Tiefe der Brust hervor — sie dienten nur dazu, das allgemeine Gefühl der Schwüle zu vermehren, das über dem Volke lastete und dem lustigen und leichtlebigen Wien einen ganz ungewohnten ernsten Charakter aufdrückte.
Plötzlich verstummten die Gespräche in den Gruppen und alle Blicke richteten sich nach dem Eingangsthor der Hofburg. Dort erschien der Feldmarschalllieutenant von Gablenz, dieser General, der durch seine glänzende Tapferkeit, durch seine ritterlichen Eigenschaften zum Liebling der Wiener geworden war.
Stolz und elegant schritt er in den Burghof, in der grauen, eng anschließenden Generalsuniform, die Brust mit zahlreichen Orden geschmückt, das Maria-Theresienkreuz am Halse, den Federhut auf dem schönen Kopf mit dem dunkelschwarzen dichten Bart und den feinen, ausdrucksvollen Zügen.
Ihn begleitete sein Generalstabschef Oberst von Bourguignon, zwei Adjutanten und der Lieutenant von Stielow in der kleidsamen, bunten Ulanenuniform, stolz und freudig über die Auszeichnung, sich in der unmittelbaren Umgebung des berühmten Generals zu befinden.
Die Menge grüßte den Feldmarschalllieutenant, der, wie man hoffte, so viel dazu beitragen sollte, um die laut ausgesprochenen Hoffnungen zu erfüllen, — die im Stillen gehegten besorgten Zweifel Lügen zu strafen.
Der General erwiederte die Huldigungen mit leichtem militärischem Gruß, freundlich aber mit vornehmer Würde; er war sich seiner Popularität bewußt, aber er suchte sie nicht — er nahm sie hin wie etwas Selbstverständliches, ihm Gebührendes.
Er durchschritt mit seinen Begleitern den Hof, trat in das große Portal und stieg die Treppe hinauf zu den Gemächern des Kaisers.
Mit tiefer Verneigung öffnete ihm der Thürsteher die Thüre des Vorzimmers.
Tiefe Stille herrschte in dem großen weiten Raum mit dem dunklen Getäfel, den hohen Seidenmöbeln und den schweren Vorhängen vor den mächtigen