»Wie geht es, lieber Fürst Liechtenstein — was treiben Sie hier in Wien, seit ich Sie nicht gesehen?«
»Uns schlägt des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr,« erwiederte der junge Fürst — »wir sind nicht so glücklich, wie Sie, Excellenz — uns etwas tummeln zu können — und müssen uns begnügen, hier die Berichte von Ihren Heldenthaten zu hören. — Sie gehen, um neue Lorbeeren zu pflücken —«
»Halt, mein lieber Fürst,« unterbrach ihn der General, — »von Lorbeeren muß man immer nur dann sprechen, wenn man sie gepflückt hat, — doch,« fuhr er fort, — »ist Seine kaiserliche Majestät beschäftigt? — ich will mich melden, um sofort zur Armee abzugehen.«
»Graf Mensdorff ist soeben hineingegangen,« erwiederte der Fürst, — »er wird aber gewiß nicht lange bleiben und sobald er hinaus ist, werde ich Sie melden.«
Der Feldmarschalllieutenant trat mit dem Obersten von Bourguignon in eine Fensternische, während der Fürst Liechtenstein sich mit den Adjutanten des Generals und Herrn von Stielow unterhielt.
Während dieß im Vorzimmer vorging, stand der Kaiser Franz Joseph, nach österreichisch-militärischer Sitte in den bequemen, weiten, grauen Oberrock gekleidet , vor dem großen, breiten, mit Papieren, Büchern und Karten überdeckten Schreibtisch seines luftigen und hellen, einfachen Kabinets.
Tiefer Ernst ruhte auf seinen Zügen, die Hand leicht auf den Tisch gestützt, hörte er mit Spannung den Vortrag des Grafen Mensdorff an, der einige Berichte und Depeschen in der Hand hielt.
»Daß Prinz Solms in Hannover nicht reüssirt hat und der König Georg jedes Bündniß ablehnt,« sagte der Kaiser, »ist ein sehr unangenehmer Fall. Dadurch werden nach jener Seite die preußischen Kräfte nicht beschäftigt, und wir müssen Alles thun, um den großen Entscheidungskampf in Böhmen oder hoffentlich in Sachsen mit der ganzen feindlichen Kraft aufnehmen zu können. — Glauben Sie denn, daß ein hannöverisches Bündniß mit Preußen zu befürchten ist?«
»Gewiß nicht, Eure Majestät,« erwiederte Graf Mensdorff, — »der König wird jenes Bündniß ebenso zurückweisen, wie das unsrige. Seine hannöverische Majestät hält eben einfach auf seinem Bundesstandpunkt fest und will sich nach keiner Seite engagiren! — Ich fürchte, der König bringt sich da in eine bedenkliche Isolirung, die bei seiner exponirten und abgeschnittenen Stellung, umgeben von der preußischen Macht, hochgefährlich für seine Sicherheit, — ja für seine Krone werden kann.«
»Für seine Krone?« fragte der Kaiser und warf erstaunt das Haupt empor.
»Majestät,« sagte Graf Mensdorff, »wenn der erste Kanonenschuß gefallen ist, wird sich Preußen auf den Standpunkt der rücksichtslosesten Staatsraison stellen, wie man dort sagt, — und Hannover ist längst ein Ziel der preußischen Wünsche.«
»So lange das Schwert Oesterreichs nicht vom unerbittlichen Wetter der Schlachten in meiner Hand zerbrochen wird,« — rief der Kaiser stolz, »wird keines deutschen Fürsten Krone angetastet werden.«
Graf Mensdorff schwieg.
Der Kaiser machte einige rasche Schritte durch das Zimmer.
Dann blieb er wieder vor seinem Minister stehen.
»Sie glauben immer nicht an den Erfolg?« fragte er, indem er seinen Blick durchdringend auf den Grafen richtete.
»Majestät,« erwiederte dieser, — »ich trage die Uniform eines österreichischen Generals und stehe vor meinem Kaiser — und das am Vorabend eines Krieges, in welchem alle Fahnen des Kaiserstaates entrollt werden, — wie würde es mir ziemen, an dem Erfolge der österreichischen Waffen zu zweifeln?« —
Der Kaiser trat leicht mit dem Fuß auf den Boden.
»Das ist keine Antwort,« sagte er. — »Ich frage nicht den General, sondern den Minister.«
»Ich wollte,« erwiederte Graf Mensdorff, »daß ich als General vor Eurer kaiserlichen Majestät stände — oder vor den Feinden Eurer Majestät, — dann wäre mein Herz leichter — und,« fügte er fast düster hinzu, — »dann hätte ich auch vielleicht mehr Zuversicht auf den Sieg, — wenigstens könnte ich dann mein Leben dafür einsetzen. — Als Minister,« — fuhr er nach einem augenblicklichen Schweigen fort, — »habe ich Eurer Majestät meine Ansicht gesagt — und kann nur dem innigen Wunsch wiederholt Ausdruck geben, daß es Eurer Majestät gefallen wolle, mir die schwere Verantwortung abzunehmen und mir zu erlauben, den Degen zu ziehen.«
Der Kaiser antwortete nicht auf die letztere Bemerkung des Grafen.
»Aber mein lieber Mensdorff,« sagte er dann, »ich kenne Ihr österreichisches Herz — schlägt dasselbe nicht höher bei dem Gedanken, die alte Macht des Hauses Habsburg wieder aufzurichten in Deutschland und diesen gefährlichen Nebenbuhler zu brechen, der unser Oesterreich und mein kaiserliches Haus hinauswerfen möchte aus Deutschland — dem alten Erbe unserer Väter. — Soll ich denn die Gelegenheit vorübergehen lassen, die vielleicht nie so günstig wiederkommt?«
»Eure Majestät können nicht tiefer und inniger die Liebe zu Oesterreich und den Stolz auf die kaiserliche Größe Ihres erhabenen Hauses im Herzen tragen als ich,« — erwiederte Graf Mensdorff mit warmem Ton, »und ich würde meinen letzten Blutstropfen darum geben, um Eure kaiserliche Majestät wieder im Römer zu Frankfurt, umgeben von den Fürsten des Reichs, als Herrn und Führer Deutschlands thronen zu sehen, — aber —«
»Aber,« rief der Kaiser lebhaft und sein Auge leuchtete, — »glauben Sie denn, daß das Ziel zu erreichen ist, ohne daß das Schwert in die Wagschale geworfen wird? Jener Mann in Berlin sagt ja selbst, Blut und Eisen müsse Deutschland regeneriren. Nun wohl — das Eisen mag entscheiden und das Blut komme über ihn!«
»Aber,« fuhr Graf Mensdorff mit ruhigem, fast traurigem Ton fort — »ich kann die Gelegenheit nicht für günstig halten; — auf zwei Kriegstheatern zu schlagen, das ist ein Spiel, dem ich die jetzige Machtstellung Oesterreichs und meine Hoffnungen für die Zukunft nicht aussetzen möchte, — noch dazu wenn der eine Gegner so mächtig und so rücksichtslos energisch ist, daß wir unsere ganze Kraft ihm allein gegenüber gebrauchen würden.«
»Energisch?« warf der Kaiser mit leichtem Ton hin. — »In Olmütz wich der Starke ruhig zurück!«
»Olmütz wiederholt sich nicht, Majestät, der Kaiser Nikolaus lebt nicht mehr und zwischen Alexander und uns liegt Sebastopol!«
Der Kaiser schwieg.
»Darf ich Eure Majestät noch unterthänigst darauf aufmerksam machen,« sprach Graf Mensdorff nach einigen Augenblicken, indem er seine Papiere durchblickte, »daß der Herzog von Gramont auf eine bestimmte Antwort wegen des Vorschlags einer französischen Allianz auf Grund der Abtretung von Venetien dringt?«
»Läßt sich die Antwort nicht mehr hinhalten?« fragte der Kaiser.
»Nein, Majestät — der Botschafter hat mir erklärt, daß eine unbestimmte Antwort der definitiven Ablehnung gleichkommen würde.«
»Und was würden Sie thun?«
Graf Mensdorff sprach langsam und ruhig:
»Wenn Eure Kaiserliche Majestät entschlossen sind, — wie dieß der Fall ist, — im gegenwärtigen Augenblick den gewaltigen Kampf aufzunehmen für die Wiedergewinnung der kaiserlichen Machtstellung Oesterreichs in Deutschland, so ist dieß Ziel hoch und groß genug, um darüber alles Andere zurückzusetzen, — es ist werthvoll und kostbar genug, um ihm ein Opfer zu bringen. Das Haus Habsburg war großmächtig in Europa ohne Venetien, Macht hat es durch diese Provinz nicht erworben — wohl aber viele Verlegenheiten, Mühen und Sorgen. Das Kampfspiel in Deutschland