Georg V. begann:
»Die Situation, über welche wir vorhin sprachen, hat sich etwas modifizirt. — Mein Bruder Karl hat mir die Proposition eines bestimmten Allianztraktats von Seiten Seiner kaiserlichen Majestät von Oesterreich überbracht, unter genau formulirten Bedingungen. — Ich bitte Dich, lieber Karl, diese Bedingungen nochmals zu bezeichnen.«
Der Prinz wiederholte die Punkte, wie er sie vorher dem Könige vorgetragen.
Graf Platen rieb sich lächelnd die Hände.
»Eure Majestät sehen,« sagte er halblaut dem Könige, »wie man sich um uns bewirbt und welche günstige Situation unsere Politik geschaffen hat.«
Bacmeister wiegte langsam das Haupt und drehte die Daumen seiner gefalteten Hände um einander, ein Zug feiner, lächelnder Ironie spielte um seinen Mund.
»Eure Durchlaucht,« sagte er, »sprechen von allerdings sehr bedeutenden Vergrößerungen Hannovers im Falle des Sieges. Was aber wird geschehen, wenn — wir müssen hier alle Fälle erwägen — Preußen siegreich sein sollte?«
»Der Kaiser garantirt für alle Fälle den Besitzstand Hannovers,« sagte der Prinz.
»Durch welche Mittel würde aber Seine kaiserliche Majestät in dem Falle, daß Oesterreich besiegt wäre, dem siegreichen Preußen gegenüber jene Garantie zu unterstützen und zu realisiren denken?« fragte Bacmeister.
»Ich bitte, mein lieber Minister, jetzt keine Diskussion,« sagte der König.
»Sie haben, meine Herren,« fuhr er fort, »die Propositionen gehört. Ich will in diesem Falle, gegen meine sonstige Gewohnheit, wie Sie wissen, Ihnen sogleich meine Anschauung sagen. — Ich meinestheils stehe unabänderlich auf dem Standpunkt, daß ein Krieg zwischen zwei Mitgliedern des deutschen Bundes nach der Verfassung und den Gesetzen des Bundes eine Unmöglichkeit ist. Ein solcher Krieg kann und wird vielleicht leider kommen, wie ein schweres Naturereigniß, wie eine Geißel Gottes, — ihn vorher in's Auge zu fassen, für ihn Verträge zu schließen — das halte ich für unvereinbar mit meinen Pflichten als deutscher Fürst; ich würde mich durch einen solchen Vertrag betheiligen und mitschuldig machen an der Infraktion in die von Deutschland und Europa geheiligte Verfassung des deutschen Bundes. Mit meinem Willen und mit vorbedachter Absicht sollen niemals hannöverische Truppen gegen Deutsche fechten und niemals wird dieß anders geschehen, als im Stande der Nothwehr. — Kann ich schon deßhalb den vorgeschlagenen Allianztraktat nicht für annehmbar erachten, so kommt dazu, daß ich die für die eventuelle Vergrößerung Hannovers gemachten Propositionen niemals annehmen kann. Ich kann keinen Vertrag unterzeichnen, durch welchen ich die Hand ausstrecke nach fremdem Gut. Es ist mein Stolz und meine Freude, daß unter den von mir beherrschten Landen sich kein Fuß breit Erde befindet, der nicht rechtmäßig meinem Hause als legitimes Besitzthum zusteht — soll ich jetzt Verträge schließen über die Eroberung von Ländern, die jedenfalls mir nicht gehören? Westphalen gehört dem Könige von Preußen, einem Fürsten, mit dem ich nicht nur in Frieden lebe, sondern im deutschen Bunde in besonders heiligen Beziehungen stehe. Holstein gehört von Rechtswegen — ich weiß nicht wem, dem Großherzog von Oldenburg, dem Herzog von Augustenburg, Preußen, — ich kann die verwickelte Frage des Erbfolgerechts nicht entscheiden — jedenfalls nicht mir. Und meine Herren, ich will um keinen Preis das schöne Bewußtsein mir trüben lassen, daß mein Königreich mir ganz und rein nach Gottes Recht und Gottes Gnade gehört, — und niemals« — der König schlug stark mit zwei Fingern der rechten Hand auf den Tisch — »niemals werde ich meine Hand ausstrecken nach fremdem Gut! — Der vorgeschlagene Vertrag ist daher nach meiner Ueberzeugung unannehmbar. — — Ein Vorschlag Seiner kaiserlichen Majestät von Oesterreich,« fuhr der König nach einer kurzen Pause fort, »hat aber das unabweisbare Recht auf eine ernste und scharfe Prüfung. — Ich bitte daher einen jeden von Ihnen, die Frage gewissenhaft zu durchdenken und alle Gründe, die etwa gegen meine eben ausgesprochene Ansicht geltend zu machen sein möchten, zu erwägen und zu formuliren. — Ich werde morgen Sie, meine Herren, mit Ihren heute nicht hier anwesenden Kollegen zu einer Sitzung des Gesammtministeriums unter meinem Vorsitz zusammentreten lassen, um dann die definitive Antwort zu hören und festzustellen. — Für heute danke ich Ihnen, die Stunde der Berathung werde ich Ihnen morgen wissen lassen.«
Der König erhob sich.
Die Minister verließen ernst und schweigend das Kabinet.
Der Prinz Solms blickte trübe vor sich hin.
»Habe ich Recht?« fragte ihn der König.
Der Prinz blickte zu seinem königlichen Bruder mit dem Ausdruck tiefer Verehrung auf.
»Du hast Recht,« sagte er leise, »und« — fügte er hinzu, indem sein Blick sich trübe verschleierte und sein Haupt niedersank, — »doch vielleicht großes Unrecht.«
»Nun, mein lieber Karl,« sagte der König mit ruhiger Heiterkeit, »sollst Du mit mir ausgehen. Ich habe das Bedürfniß, einen Gang zu machen, bei welchem Du mein bester Begleiter bist.«
Er drückte auf einen zweiten Knopf an der rechten Seite des Schreibtisches. Der Kammerdiener vom innern Dienst erschien an der Thür des Kabinets, welche zum Schlafzimmer des Königs führte.
»Ich will ausgehen,« sagte der König, indem er seine Uniform zuknöpfte.
Der Kammerdiener reichte ihm die Militärmütze der Gardejäger und die Handschuhe.
»Befehlen Eure Majestät eine Cigarre?«
»Nein! — Lassen Sie den Flügeladjutanten vom Dienst avertiren, daß ich seiner nicht bedarf. Der Prinz wird mich begleiten.«
Der König nahm den Arm des Prinzen und schritt durch die Korridors, an den sich tief verneigenden scharlachrothen Lakaien vorüber, dem großen Ausgangsportal des Schlosses zu. In der Halle vor diesem Portal hörte man ein lebhaftes Gespräch.
»Wer ist da?« fragte der König den Prinzen.
»Graf Alfred Wedel und Devrient.«
In der That standen die genannten Personen neben einander auf dem Vestibüle und waren in einem anscheinend so lebhaften Gespräch begriffen, daß sie das Herannahen des Königs nicht bemerkt hatten.
Der Graf Alfred Wedel, der Hofmarschall und Schloßhauptmann des Königs, ein großer und starker junger Mann von etwa dreißig Jahren, mit frischem Gesicht, schönen, aber starken Zügen, in der kleinen Hofuniform, blauem Frack mit roth umgeschlagenem Kragen, stand vor dem berühmten hannöverischen Hofschauspieler Devrient, einem hohen Sechziger, der die deutschen Befreiungskriege mitgemacht hatte, aber sowenig schwer an der Last seiner Jahre trug, daß er noch mit dem größten Erfolge den Hamlet spielte. Auch außerhalb der Bühne sah man weder seinem lebhaften Gesicht mit dem feurigen Auge, noch der Haltung seines Körpers sein Alter an.
»Guten Morgen, Devrient!« rief der König mit seiner hellen Stimme und blieb mitten im Vestibüle stehen. —
Die beiden Herren unterbrachen ihr Gespräch und Devrient eilte auf den König zu.
»Wie geht es Ihnen,« sprach Georg V. freundlich, »immer munter und frisch? Devrient ist ein Beispiel für uns Alle,« sagte er zum Prinzen Solms gewendet, »er hat das Geheimniß der ewigen Jugend.«
»Majestät,« antwortete Devrient, »auch diese ewige Jugend, welche Allerhöchstdieselben mir gnädigst zuschreiben, hat ihre Coulissen, und ich stehe leider nicht immer vor den Lampen — die Gicht soufflirt mir oft falsch! — Ich war gekommen, um Eurer Majestät Befehle für die nächste Vorlesung zu erbitten — doch ich sehe, Eure Majestät wollen ausgehen.« —
»Ich bin heute beschäftigt, lieber Devrient,« sagte der König, — »morgen auch — wollen Sie übermorgen zu mir kommen?«
»Zu Befehl, Majestät.«
Und freundlich mit dem Kopf nickend, schritt der König dem Ausgang zu, dessen beide große Flügel der Portier geöffnet hatte.
Als