Herr von Klentzin verneigte sich.
»Ich komme als ein Fremder in Ihren Kreis,« sprach er, — »und ich fühle, daß ich Ihrem Herzen kaum willkommen sein kann. — Aber ich bitte Sie, Herr Oberamtmann, — und Sie Alle hier, überzeugt zu sein, daß ich Ihre Gefühle auf das Tiefste würdige und achte, — wir wissen, was die Liebe zum Vaterlande heißt, — und wahrlich,« fügte er mit warmem Tone hinzu, — »wir kommen zu Ihnen mit offener Hand und offenem Herzen. Möchte die Zukunft uns Alle vereinigen ohne Schmerz und Bitterkeit in Liebe zu dem gemeinsamen, großen deutschen Vaterlande! — Jetzt erlaube ich mir auf das Wohl des Brautpaares mein Glas zu leeren!«
»Herr von Klentzin,« sagte der Oberamtmann mit einem Klange tiefer Wehmuth in der Stimme, — »solange hier um meinen Tisch sich Freunde gastlich vereinten, war es eine schöne und unabänderliche Sitte des Hauses, zu trinken auf das Wohl unseres Königs und Landesherrn, — er ist jetzt fern — er ist nicht mehr der Herr dieses Landes — Sie werden es verstehen, wenn ich wünsche, an diesem letzten Tage, den ich hier verlebe, von der alten Sitte meines Hauses nicht abzuweichen. Eine neue Zeit steigt herauf, — aber gedenken wir der alten in Segen und Liebe!«
Herr von Klentzin ergriff sein Glas.
»Nur aus der Liebe zur Vergangenheit kann der Segen der Zukunft erblühen,« sprach er mit bewegter Stimme, »und fern sei es mir, den Scheidegruß an die Vergangenheit durch meine Gegenwart zu stören.«
Alle erhoben sich.
Ernst sprach der Oberamtmann:
»Dem Könige, der unser Herr war und dem der Dienst meines Lebens gehörte! Gottes Segen folge ihm nach!«
Die Stimme versagte ihm.
Tief bewegt neigte Herr von Klentzin sein Glas gegen das des Oberamtmanns und in leiser Schwingung zitterte der Klang durch die tiefe Stille des Gemachs.
Alle leerten schweigend ihre Gläser.
Das war der letzte Toast auf den König Georg V. im alten Amtshause zu Blechow.
Sinnend blickte Herr von Klentzin nieder.
»Wir haben ein schönes, reiches Land gewonnen,« flüsterte er vor sich hin, — »Gott gebe, daß wir auch diese Herzen gewinnen zu treuer und starker Brüderschaft!«
Neunundzwanzigstes Kapitel.
König Wilhelm war nach seiner Residenzstadt Berlin zurückgekehrt, — jubelnd empfangen von dem Volke, das sich nicht zu fassen wußte in seiner Bewunderung und seinem Entzücken über diesen unerhörten Feldzug von sieben Tagen, welcher in seinen gewaltigen Resultaten Preußen unter den Großmächten Europas so hoch emporgehoben und Deutschland so mächtig seiner nationalen Einigung entgegengeführt hatte. Der erste Rausch des Entzückens der Berliner war vorüber — Alles begann wieder in das gewohnte Geleis zurückzukehren, — wenigstens äußerlich, — wenn auch in allen Herzen noch immer und immer das Hochgefühl der Siegesfreude nachklang.
In früher Morgenstunde trat König Wilhelm in sein Arbeitszimmer — wie immer im Militär-Ueberrock mit dem eisernen Kreuz und dem Orden pour le mérite.
»Ist Schneider da?« fragte er den dienstthuenden Kammerdiener.
»Zu Befehl, Majestät, der Geheime Hofrath wartet, im Vorzimmer.«
Der König winkte und herein trat der Geheime Hofrath Louis Schneider, eine große Mappe unter dem Arm.
»Guten Morgen, Schneider!« rief der König mit freundlichem Lächeln, — »nun ist Alles wieder in der alten Ordnung, — und wir können wieder die regelmäßige Arbeit beginnen, — was gibt es in der Literatur, — was haben Sie da in Ihrer großen Mappe?«
»Majestät,« sagte der Geheime Hofrath, »erlauben mir Allerhöchstdieselben zunächst nochmals hier, nachdem die gewohnte Ordnung wieder in ihre Rechte getreten ist, meinen unterthänigsten Glückwunsch zu dem so herrlich hinausgeführten Kriege auszusprechen, — hier an dieser Stelle,« fuhr er bewegt fort, »wo ich zum letzten Male vor Eurer Majestät stand an jenem Tage, als Sie sorgenvoll in die Zukunft blickten, da Alle sich von Ihnen abwendeten. Eure Majestät haben von Neuem gesehen, daß der König von Preußen nicht schwach ist, wenn er allein steht!«
»Wenn er die zwei Alliirten hat, die auf unserer Devise ihn umgeben,« sagte der König still lächelnd — »Gott — und — das Vaterland!«
Er schwieg einen Augenblick. Der Hofrath öffnete seine Mappe.
»Nun, was haben Sie Neues?« fragte der König.
»Majestät,« sagte Herr Schneider, — »es ist eigentlich Alles eine Variation auf dasselbe Thema — Freude über den Sieg, Dankbarkeit gegen den königlichen Sieger und seine Räthe und Feldherrn. Die ganze Presse ist ein großer Dithyrambus, der theils erhaben, theils rührend, theils auch komisch seine Gefühle ausspricht. Dabei fehlt es denn aber auch nicht an gutem Rathe für Preußen und den Norddeutschen Bund, — es ist unglaublich, wie viele diätetische Vorschriften für das politische Wohlbefinden Deutschlands hier gegeben werden. — Befehlen Eure Majestät einige Proben zu hören?«
Der König schwieg und blickte sinnend vor sich hin.
»Schneider,« sagte er dann ernst, — »die Menschen sind doch sehr undankbar!«
Erstaunt richtete der Geheime Hofrath den Blick auf das ernste Antlitz des Königs.
»Majestät,« rief er, — »ich will nicht leugnen, daß die Undankbarkeit ein leider sehr bemerkbarer Zug im Charakter des Menschengeschlechtes sei, aber gerade in diesen Tagen möchte man versucht sein, an eine Ausnahme zu glauben, — denn überall sieht man Ausbrüche der Dankbarkeit — gegen Eure Majestät, — gegen die Generale —«
»Gerade in diesen Tagen,« sagte der König immer in demselben ernsten Ton, — »finde ich die Welt und die Berliner besonders recht undankbar. — Man dankt mir,« fuhr er fort, »in überschwenglichen Worten, — meinem Fritz — den Generalen allen, —nur Einen vergißt man, — Einen, der doch wahrlich seinen vollen Theil hat an dem großen Erfolg, den uns Gott gegeben!«
Der Geheime Hofrath blickte noch immer fragend zum Könige auf.
»Niemand denkt in diesen Tagen an meinen Bruder, den hochseligen König!« sagte König Wilhelm mit leise zitternder Stimme.
Tiefe Rührung bewegte das bisher so heitere und ruhige Antlitz des Hofraths, — eine Thräne glänzte in der Wimper seines Auges.
»Ja, bei Gott!« rief er mit seiner vollen sonoren Stimme, — »Eure Majestät haben Recht, uns Alle undankbar zu nennen —«
»Wie tief, wie treu,« sagte der König, indem ein unendlich weiches Licht aus seinem Blick schimmerte, — »trug er Deutschlands Größe und Preußens Beruf in seinem edlen Herzen, — wie sorgte er, so weit es die Verhältnisse ihm gestatteten, unablässig für die Stärkung der Armee und des Staatsorganismus, um Preußen immer kräftiger zur Erfüllung seines Berufes zu machen, — wie groß und licht stand die Zukunft Deutschlands vor seinem Geist, — und hätte nicht die plumpe Hand der Revolution in die Ausführung seiner Pläne und Absichten hineingegriffen —«
Der König schwieg — seinen Gedanken folgend.
Mit tief warmem Blick ruhte das Auge des Geheimen Hofraths auf den sinnenden Zügen des ritterlich einfachen Herrn.
»Aber wenn uns Gott gegeben,« fuhr der König fort, »die Frucht des Baumes zu pflücken, so dürfen wir doch Den nicht vergessen, dessen sorgende Hand diesen Baum gepflegt, seine Wurzeln begossen in der Zeit der Dürre, — er hat es wahrlich nicht um uns verdient.«
Der König wendete sich zu seinem Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier.
»Ich