Bevor er das jedoch tun konnte, begann sie, ständig über diesen Amerikaner zu reden, mit dem sie diesen Tandemsprachunterricht machte. Offensichtlich mochte sie ihn. Sie hielt einfach nicht den Mund: Warum mag er mich nicht? Glaubst du, er ist schwul? Denkst du, er hat eine Freundin? Soll ich ihn nach einem Date fragen? Machen das amerikanische Frauen so? Bei Geburtstagsparty am Freitagabend hatte Pascal erwartet, dass ein Typ unwiderstehlicher Italiener mit ihr zusammen durch die Tür schlendern würde. Zu seiner Zufriedenheit war Will kein Fabio. Er hatte kurzes, unordentliches, schwarzes Haar, schien gut in Form zu sein; die Mädchen fanden ihn wahrscheinlich attraktiv. Aber Fabio? Auf keinen Fall.
Das hielt Danièle trotzdem nicht davon ab, um ihn herumzuscharwenzeln. Einmal hüpfte sie ihm direkt auf den Schoß, die Arme um seinen Hals geschlungen, lachend. Schließlich hielt Pascal es nicht mehr aus und verließ den Pub mit Danièles Freundin Fanny. Sie war nicht hübsch, er hatte keinen Sex mit ihr, er wollte nicht. Er suchte nur Gesellschaft – das, und er wollte, dass Danièle es herausfand, aber wenn das so war, erwähnte sie es nicht.
Auf der anderen Seite des Tisches saß Danièle schnurgerade da, die Hand vor sich ausgestreckt, die Finger gespreizt, während sie davon erzählte, wie sie den russischen Botschafter in Frankreich am Place de la Bastille getroffen hatte. Sie war an dem Punkt angelangt, wo sie vorgegeben hatte, Russin zu sein, um Zugang zum VIP-Raum zu bekommen, wo sich all die Diplomaten während der Pause des Balletts kostenlosen Champagner hinter die Binde gossen. Offensichtlich versuchte sie, Will zu beeindrucken, der stoisch neben ihr zuhörte und in das Bier starrte, das er sich bestellt hatte.
Pascal schlürfte eine zweite Auster aus ihrer Schale und zerstreute sich eine Weile lang mit all den verschiedenen Möglichkeiten, auf die der Amerikaner heute Nacht in den Katakomben ein entsetzliches Ende finden konnte.
Kapitel 6
Die Rue Jean-Pierre Timbaud vor dem Restaurant war voller Lichter und Geschäftigkeit und Lärm. Wir gingen zwei Häuserblocks weit, bogen in eine Seitenstraße und liefen noch einen halben Block weiter, bis wir Pascals Karre erreichten: einen alten, ramponierten Volkswagen Camper. Pascal und Rob stiegen vorne ein, während Danièle und ich durch die Schiebetür in den hinteren Bereich kletterten. Wir setzten uns nebeneinander auf eine Bank, von der ich vermutete, dass sie sich zu einem Bett umklappen ließ.
Ist das Pascals Liebesmobil?, fragte ich mich. Fährt er damit Mädchen nach Montmartre, füllt sie ab und vögelt sie hier hinten?
Links von mir befand sich eine lange Arbeitsplatte mit senkrecht hervorstehenden Griffen. Ich zog an einem, der einen Teil der Arbeitsplatte anhob, und entdeckte ein Waschbecken darunter.
Als Pascal auf die Straße fuhr und einen scharfen U-Turn machte, drehte Rob den Beifahrersitz herum, sodass er uns ansah, und öffnete einen Schrank unter der Arbeitsplatte, der einen Kühlschrank verbarg. Er schnappte sich drei belgische Biere und warf Danièle und mir je eins davon zu. »Auf zu den Katakomben!«, sagte er mit rauer Stimme.
Wir drückten die Laschen ein, stießen an.
Rob drehte sich wieder nach vorne und ließ Bob Dylan an der Stereoanlage klingen.
»Das macht Spaß, oder?«, fragte Danièle und beugte sich näher, damit ich sie verstehen konnte.
»Klar«, sagte ich.
Ich zog den schäbigen Chintzvorhang zurück und sah zum Fenster hinaus. Ich war noch nie mit dem Auto durch Paris gefahren, und während wir über eine breite Kastanienallee rumpelten, betrachtete ich die vielen an uns vorüberziehenden geschlossenen Geschäfte.
Fast alle Menschen hatten ein ähnlich idealisiertes Bild von Paris im Kopf. Ein Mekka von Kultur und Geschichte, voller wunderschöner Architektur, stylisher Frauen in Gaultier oder Givenchy und schnurrbärtiger Pantomimen, die Staffeleien unter dem einen und Baguettes unter dem anderen Arm trugen. Ich schätze, das traf irgendwie zu – abgesehen von den schnurrbärtigen Pantomimen –, doch für mich verblasste der Glanz bereits und Paris war zu einer weiteren weitläufigen Stadt mit stählernem Himmel geworden.
»Was schaust du dir an?«, fragte mich Danièle.
Ich ließ den Vorhang fallen. »Ich war noch nie hier.«
»Du hast nicht viel von Paris gesehen, oder?«
»Nur die Bars und Klubs, hauptsächlich«, sagte ich.
»Warum besichtigst du nicht ein paar mehr Sehenswürdigkeiten?«
»Ich bin noch nicht dazu gekommen.«
»Weißt du, Will, du bist ein Einsiedlerkrebs.«
»Ein Einsiedlerkrebs?«
»Du bist gern allein.«
Ich dachte darüber nach, an ihrer Analogie zu feilen, ließ es aber sein.
Ein Einsiedlerkrebs. Scheiße. Irgendwie gefiel mir das.
»Was ist falsch daran, ein Einsiedlerkrebs zu sein?«
»Was ließ dich heute Abend deine Meinung ändern?«
»Darüber, mitzukommen?«
»Ja. Du warst so gegen die Idee.«
»Bin ich immer noch.«
»Warum bist du dann hier?«
Weil die Alternative lautet, die ganze Nacht in meiner Wohnung rumzusitzen und über Bridgette und ihren Bullen-Freund nachzudenken, und über ihr zukünftiges Kind …
»Ich wollte mit euch abhängen«, sagte ich – und das stimmte. Ich hatte nicht alleine sein wollen und in Danièles Nähe fühlte ich mich immer wohl.
Sie starrte mich lange Zeit an. Ich wartete auf eine sarkastische Spitze. Vorne scherzten Rob und Pascal miteinander auf Französisch. Dylan trällerte etwas darüber, wie sich die Zeiten änderten.
Dann, unvermittelt: »Oh, Will, schau!« Danièle zeigte aus meinem Fenster hinaus.
In weiter Ferne, durch eine Lücke zwischen den Gebäuden sichtbar, erhob sich die eiserne Dame zum Himmel, von einer funkelnden Lichtshow beleuchtet.
»Du musst mit mir zum Trocadéro gehen«, ergänzte sie. »Wir gehen früh am Morgen hin, bevor die ganzen Touristen kommen. Es fühlt sich an, als hätte man den Eiffelturm ganz für sich allein. Was hältst du davon?«
»Klar.«
Ich bemerkte, wie Pascal uns durch den Rückspiegel beobachtete. Sein Blick traf meinen, dann sah er fort.
Rob schwang seinen Sitz wieder herum, öffnete den Minikühlschrank, und nahm sich ein Bier. »Noch wer?«, fragte er.
Meins war noch halb voll. »Nein, danke.«
»Ich nehme eins«, sagte Danièle fröhlich und fing die Dose auf, die er ihr zuwarf.
Verschlüsse knackten wieder. Kohlensäure zischte. Dosen sprudelten über.
»Ich nehme an, du hast das Video gesehen?«, fragte mich Rob.
Ich nickte.
»Was denkst du?«
»Irgendwas ist dran.«