Pascal war schon auf dem Weg in den Tunnel.
Sowohl Danièle als auch Rob legten mir je eine Hand auf den Rücken und drängten mich, ihm zu folgen.
Ich ging.
***
Dunkelheit breitete sich um uns herum aus wie große, schwarze Flügel. Vor mir schaltete Pascal seine Stirnlampe ein. Rob und Danièle und ich taten dasselbe.
»Was ein verkackter Arschpirat«, sagte Rob, als Dreadlocks’ Sticheleien hinter uns leiser wurden. »Und seine Arschloch-Freunde auch.«
Danièle sah mich an. »Warum hast du Englisch gesprochen?«, wollte sie wissen. »Wir haben dir gesagt, du sollst still sein.«
»Er hat versucht, meinen Helm zu packen«, erwiderte ich. »Was hätte ich denn tun sollen?«
»Du hättest ihn ignorieren sollen.«
»Was hat er zu dir gesagt?«
Sie antwortete nicht.
»Er hat sie blöd angemacht«, warf Rob hilfreich ein.
»Ja«, entgegnete Danièle, »aber Will hätte ihn nicht schubsen müssen.«
»Er hat nach mir gegriffen«, rief ich ihr in Erinnerung.
»So was kannst du nicht mehr machen«, sagte sie, und im hellen LED-Licht unserer Helme sah ich, dass sie nicht wütend war, nur besorgt. »Wenn etwas passiert, während wir tief im Untergrund sind …«
Sie musste den Satz nicht beenden. Ich verstand.
»Sie hatten Tauchausrüstung«, sagte ich, weil ich das Thema wechseln wollte. »Was hat es damit auf sich?«
»Es gibt einige Stellen, ein paar Schächte, in den Katakomben, die sich vollständig mit Wasser gefüllt haben. Wahrscheinlich wollen sie rausfinden, ob sie irgendwo hinführen.«
Wir gingen weiter; unsere Stirnlampen warfen das Licht im Zickzackmuster durch das riesige Gewölbe. Wilde Graffitispuren bedeckten die Wände und erstreckten sich bis zu den Backsteinen über uns. Der Boden war mit Steinen übersät, die blassgrau schimmerten: die Farbe von Paris, den Gebäuden.
Kurz darauf blieb Pascal stehen. Er schwang seine Mag-Lite nach links. Wo die graffitibedeckte Wand den Boden berührte, befand sich ein Loch – oder genauer gesagt, eine kantige, raue Öffnung im Felsen, nicht größer als sechzig Zentimeter. Davon ausgehend erstreckte sich etwas, das ich für den Müll der Kataphilen hielt: Leere Bierdosen, Saftkartons, Bonbonpapier, weiße Paste von Karbidlampen. Ein weggeworfener Schaumstoffsessel stand allein und verlassen da. Ich rümpfte die Nase; der Gestank von Urin war stark.
»Das ist der Eingang?«, fragte ich. Ich hatte angenommen, er sei versteckter. Das hier schrie förmlich: »Kommt rein, wir haben geöffnet!«
Danièle nickte. »Manche Kataphile sind solche Schweine.«
»Wissen die Polizisten – die Katacops – nichts davon?«
»Doch. Das ist heutzutage der Haupteingang.«
Rob fragte: »Warum versiegeln sie das Ding nicht?«
»Das haben sie schon mal gemacht«, fuhr sie fort, »aber die Kataphilen öffneten es wieder. Außerdem ist es keine einfache Situation für sie. Sie haben Angst, sie könnten unerfahrene Kataphile im Inneren einsperren. Aber weißt du, ich denke, es wäre gut, wenn sie den Eingang irgendwie für immer schließen würden. Denn dann werden sich diejenigen, die den Ärger machen, die Vandalen und Drogensüchtigen und Schienbeinsammler, langweilen und sich eine andere Beschäftigung suchen.«
»Ja«, sagte Rob auf ist-schon-klar-Weise, »aber wärst du dann nicht auch aufgeschmissen?«
»Ich?« Danièle wirkte beleidigt. »Ich bin keine Anfängerin. Pascal und ich kennen zehn andere Eingänge.«
Der immer stille Pascal kniete sich hin und wagte sich als erster in das Loch.
»Er redet nicht viel, was?«, merkte ich an, als er nicht länger zu sehen war.
»Sein Englisch ist nicht so gut«, meinte Danièle.
»Scheiße«, rief Rob, der in den Spalt spähte. »Ich kann überhaupt nichts sehen.«
»Keine Sorge, Rosbif«, sagte Danièle zu ihm. »Du bist so klein, du wirst kein Problem haben, da durch zu passen.«
»Leck mich«, entgegnete er, dann ließ er sich in die Öffnung hinab. Als nur noch seine Beine sichtbar waren, die aus dem Felsenschlund ragten wie eine halbverspeiste Mahlzeit, ließ er einen fahren. Sein Gelächter trieb zu uns zurück, während er vorwärts kroch.
»Igitt«, sagte Danièle und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase, obwohl uns der Geruch erst noch erreichen musste und nicht schlimmer sein konnte als der Uringestank. »Ich hasse diesen Kerl wirklich, weißt du?«
»Nach dir«, sagte ich.
»Nein, du musst als Nächstes gehen, damit ich dich schieben kann, falls du stecken bleibst.«
Ich starrte sie an. »Falls ich stecken bleibe?«
Sie lächelte. »Dir wird nichts passieren. Jetzt geh. Pass nur auf, dass du nicht in Glas fasst.«
Ich watete durch den Müll und stand vor dem Haupteingang zu den Katakomben, der wenig mehr als ein Spalt war. Kühle Luft trieb heraus.
Ich wischte meine Bedenken beiseite, zog meinen Rucksack aus, schob ihn vor mir in den Schacht und folgte ihm in die Schwärze.
Kapitel 8
DER SUNDAY TELEGRAPH, 29. JULI 2011
Drei Briten vermutlich in den Pariser Katakomben verschollen
Das Hauptpräsidium der Pariser Polizei teilte mit, dass drei britische Staatsangehörige am späten Montagabend in den Pariser Katakomben während eines Erkundungsgangs mit Freunden verschollen sind.
Als sie nicht zur Oberfläche zurückkamen, benachrichtigen die Freunde die Polizei, die mehrere Tage erfolglos mit der Suche nach den vermissten Männern zubrachte.
Gaspard Philipe, Mitglied der Polizeieinheit, die die alten Steinbruchtunnel überwacht, sagte am Freitag gegenüber RTL Radio, dass sich jeder, der in Betracht zieht, die Tunnel zu betreten, der Gefahren bewusst sein sollte.
»Der Zugang ist der Bevölkerung nicht nur verboten, er ist gefährlich. Man kann sich verlaufen. Es gibt Einstürze. Sie wissen nicht, was Ihnen begegnen kann. Wenn Sie die Katakomben sehen wollen, gibt es einen der Öffentlichkeit zugänglichen Museumsteil mit absolut angemessenem Eintrittspreis.«
Das Netzwerk aus Tunneln unterhalb der Hauptstadt soll über 300 Kilometer (186 Meilen) umfassen und eine Tiefe von 30 Metern (100 Fuß) erreichen, zu tief für Handyempfang. Einige Gänge sind breit genug, dass zehn Männer nebeneinander gehen können, ohne die Seiten zu berühren, während andere so eng sind, dass diejenigen, die sie betreten, sich bäuchlings voranschlängeln müssen.
Kapitel 9
Es war eine enge Angelegenheit, und ich will verdammt sein, wenn ich nicht die Schultern einziehen musste, um voranzukommen. Mir kamen jene Filmszenen in den Sinn, in denen man sieht, wie sich jemand durch einen Lüftungsschacht kämpft, nur dass dieser Durchgang hier unberechenbar war und schmutzig und möglicherweise tödlich.
Dann beschrieb er eine Kurve und neigte sich abwärts. Zuerst konnte ich meinen Abstieg kontrollieren. Aber die Neigung fiel plötzlich und steil ab und ich fand mich auf