DIE KATAKOMBEN. Jeremy Bates. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jeremy Bates
Издательство: Bookwire
Серия: Die beängstigendsten Orte der Welt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353862
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sind wir?«, fragte ich und drehte mich im Kreis, sah aber nur dunkles Laubwerk, das uns auf allen Seiten umgab. Die Erde war von noch mehr toten Blättern und Flechten bedeckt. Alles roch saftig und frisch.

      »Im Petite Ceinture«, sagte Danièle. »Das war eine Eisenbahnstrecke, die Paris umgab, wie eine Art Schutz, ja? Die Züge brachten die Soldaten rasch von einem zum anderen Ort. Sie wird seit langer Zeit nicht mehr benutzt.«

      Ich schaltete meine Stirnlampe ein.

      »Nein, noch nicht«, sagte Danièle. »Wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen.«

      Ich runzelte die Stirn. »Wer soll uns denn hier sehen?«

      »Noch nicht«, wiederholte sie.

      Ich schaltete das Licht in dem Moment aus, als Rob und Pascal zu uns stießen. Rob hatte die Hand auf sein rechtes Auge gelegt und fluchte ausgiebig. »Beschissener Zweig«, beschwerte er sich.

      Danièle lächelte. »Du musst besser aufpassen, Rosbif.«

      »Leck mich, Storch-Dödel.«

      Noch immer triumphierend lächelnd, als hätte sie selbst Rob ins Auge gepikt, setzte sich Danièle entlang der Schienen in Bewegung. Der Rest von uns folgte ihr im Gänsemarsch. Die verrosteten Gleise und verrottenden Holzschwellen waren beinahe vollkommen von Unkraut überwuchert. In Gedanken begann ich, ein Spiel zu spielen, bei dem ich nur auf die Bahnschwellen treten durfte. Wenn ich eine verfehlte und mein Fuß den zerstoßenen Stein berührte, der den Eisenbahnschotter bildete, musste ich mit dem Zählen von vorn beginnen. Beim dritten Anlauf hatte ich hundertsechzehn erreicht, als Danièle plötzlich stehen blieb. Ich stieß von hinten gegen sie und sah mehrere Taschenlampenstrahlen in etwa dreißig Metern Entfernung.

      Pascal schob sich an mir vorbei und sprach in ernstem Ton mit Danièle.

      »Wer sind die?«, fragte ich.

      »Andere Kataphile«, antwortete Danièle.

      »Oh.« Ich hatte gedacht, es sei die Polizei. »Wo liegt dann das Problem?«

      »Es gibt kein Problem. Die meisten Kataphilen sind freundlich, aber manche …« Sie zuckte mit den Achseln. »Was du an der Oberfläche bist, das bist du auch im Untergrund.«

      »Einmal Idiot, immer Idiot«, sagte Rob. »Wen interessiert’s? Was wollen sie schon tun? Sieht aus, als wären sie nur zu dritt.«

      Danièle sagte: »Ich denke, wir sollten sie zuerst in die Katakomben gehen lassen und danach hineingehen.«

      Rob schnaubte missbilligend. »Und was, wenn die sich in der nächsten Stunde nicht wegbewegen? Wir haben einen Zeitplan einzuhalten, oder?«

      Danièle sah Pascal an. Der nickte.

      »Okay«, sagte sie. »Wir gehen. Aber Rosbif, Will, sprecht kein Englisch.«

      »Warum nicht?«, fragte ich.

      »Selbst freundliche Kataphile mögen es nicht, wenn Fremde kommen und gehen. Die Katakomben sind ihre Welt. Sie wollen, dass sie geheim bleibt, soweit es geht. Wenn sie dich Englisch sprechen hören, werden sie wissen, dass du ein Ausländer bist.«

      »Und weiter?«, fragte ich.

      »Und nichts weiter. Aber es ist besser, auf Nummer sicher zu gehen.«

      »Hab keine Angst«, beschwichtigte Pascal.

      Ich richtete meinen Blick auf ihn. Er drehte sich abrupt um und wir gingen weiter auf die Kataphilen zu, jetzt zu viert nebeneinander. Rob hatte recht gehabt. Ich zählte drei Taschenlampenstrahlen, drei Kerle. Sie standen an der Einmündung zu etwas, das wie ein Eisenbahntunnel aussah, redeten laut und lachten.

      Als sie uns bemerkten, wurden sie still.

      Pascal sagte: »Salut!«, und begann, sich mit einem von ihnen zu unterhalten.

      Sie alle trugen Stiefel, blaue Overalls und weiße Handschuhe. Sie waren zwischen fünfundzwanzig und vierzig Jahren alt, plusminus. Zwei Sauerstoffflaschen, Schwimmflossen und ein Sortiment weiterer Tauchausrüstung lag neben ihnen.

      Der Kerl, mit dem Pascal sprach, war der älteste. Er hatte runde, glänzende Augen und ein Galgenvogelgesicht mit den schlaffen Wangen eines aristokratischen Bankers. Öliges graues Haar, in der Mitte gescheitelt, verlieh ihm etwas Antiquiertes. Seine Stimme klang schroff, atonal, irgendwie angepisst.

      Die beiden anderen ergänzten einander nur insofern, dass sie Gegensätze waren. Einer war klein, Robs Größe, aber viel schlanker. Er hatte schlimme Akne und er wirkte nervös, starrte unverwandt auf einen Punkt am Boden vor sich. Sein Kumpel andererseits überragte locker einen Meter achtzig. Ich konnte nicht sagen, ober so groß war wie ich, weil er seine Haare als Vulkan aus Dreadlocks trug, aber er musste gut zehn oder fünfzehn Kilo schwerer sein. Seiner massigen Brust und seinem dicken Hals und seinen breiten Schultern nach zu schließen folgte er einem Speiseplan aus Eiern, Fleisch und Protein-Shakes. Sein Gesicht hatte diesen Junger-Arnie-Look, mit vollen Wangen und ausgeprägten Knochen. Sein Overall war lehmbefleckt, zweifelsfrei von früheren Abstiegen in die Katakomben.

      Er begaffte Danièle auf eine Weise, die mir nicht gefiel. Er spürte meinen Blick auf sich, drehte sich zu mir um und sagte etwas.

      Als ich nicht antwortete, schnaubte er verächtlich und griff nach meinem Helm.

      Ich schlug seine Hand weg. »Verpiss dich.«

      Überraschung überzog sein Gesicht. Dann ein breites Neandertalergrinsen.

      Pascal und der alte Kerl verstummten. Die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf Dreadlocks und mich.

      »Du Amerikaner, was?«, fragte er und machte einen Schritt auf mich zu. Durch seine Größe schien es mir so, als rücke er mir direkt auf die Pelle. »Gehst du in Katakomben?«

      Entweder war er so dumm, wie er aussah, oder es war eine rhetorische Frage. Ich wartete darauf, dass er weiterredete.

      »Du machst viel Fotos, was?«

      »Ich habe keine Kamera.«

      »Willst du deinen Namen malen? Schönes Bild malen?«

      »Warum sollte ich ein Bild malen?«

      »Weil touristes das machen. Ihr kommt her, ihr malt Bilder.«

      »Heute nicht.«

      Er leckte sich über die Lippen. Entweder war sein Englisch erschöpft oder er überlegte sich, was er noch sagen könnte. Er nickte in Danièles Richtung. »Sie deine Freundin, was?«

      »Was kümmert es dich?«

      Er grinste sie spöttisch an. »Du auch touriste

      Sie stieß einen Schwall Französisch aus. Er kicherte, wenngleich nicht auf freundliche Weise, und antwortete. Ihr Hin und Her ging in einen hitzigen Streit über.

      Einen Moment lang war ich lächerlich stolz darauf, dass Danièle ihren Mann stand.

      Pascal blieb auf Distanz. Rob grinste amüsiert, vielleicht sogar ein bisschen wahnsinnig. Seine Hände waren zu festen Fäusten geballt. Ich hatte das Gefühl, dass er kurz davor war, sich auf den großen Kerl zu stürzen.

      Ich stellte mich zwischen ihn und Dreadlocks und sagte zu Danièle: »Lass uns gehen.«

      Dreadlocks packte mich an der Schulter und wirbelte mich herum. Ich trat auf einen seiner Stiefel und stieß ihn gegen die Brust, zog meinen Fuß zurück, damit er sich nicht den Knöchel brach, während er mit den Armen rudernd zu Boden fiel.

      Als auf dem Hintern dasaß, wirkte er vorübergehend benommen. Dann verfinsterte sich sein Blick. Er stürzte sich mit einem Brüllen auf mich und stieß mir seine fleischigen Hände ins Gesicht. Alle Mitglieder beider Seiten mischte sich ein; sie schrien und zogen uns auseinander.

      Danièle riss mich los. Ich atmete schwer, war noch nicht fertig. Dreadlocks, der seine beiden Kumpel, die ihr Bestes gaben, um ihn zurückzuhalten, überragte, warf weiter mit Flüchen um sich. Blut verschmierte seine verletzte Stirn.