DIE KATAKOMBEN. Jeremy Bates. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jeremy Bates
Издательство: Bookwire
Серия: Die beängstigendsten Orte der Welt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353862
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ich ein Licht, das nicht mein eigenes war. Ich zog mich aus der schmalen Öffnung; meine Rippen schmerzten und ich spuckte Staub aus.

      Rob zog mich hoch. »Danke«, sagte ich zu ihm und sah mich um. Der tiefschwarze Tunnel war vielleicht einen Meter zwanzig breit und genauso hoch. Rob stand vornübergebeugt da. Ich musste quasi in die Hocke gehen. Der Gang war links von uns eingebrochen, was ein Durcheinander aus großen Felsen und kleineren Steinen hinterlassen hatte, sodass man nur in eine Richtung gehen konnte. Die Luft roch nach Schimmel und Feuchtigkeit und erinnerte mich an Aquaparks. Es war kühler, als es draußen gewesen war, vielleicht zehn oder fünfzehn Grad.

      »Rascal ist schon vorgegangen«, meinte Rob.

      »Rascal?«, fragte ich abwesend und wischte mir kalkigen, beigen Schmutz von den Kleidern.

      »So nenne ich ihn schon immer. Diesen Chess-Blödsinn hab ich bis heute nie gehört.«

      Danièles LED-Lampe blinzelte uns vom Inneren der Öffnung zu und erregte unsere Aufmerksamkeit. Im nächsten Augenblick glitt sie eleganter heraus, als ich es getan hatte. Sie lächelte. »Spaßig, oder?«

      »Ein Brüller«, erwiderte ich.

      »Gut. Aber ich meine es ernst, wenn ich sage, dass wir alle zusammenbleiben müssen. Ihr dürft nicht herumwandern. Dieser Ort ist nicht wie ein Labyrinth. Er ist ein Labyrinth.«

      »Hast du das auch Pascal erzählt?«

      »Er wird vorne im stillen Raum sein. Wir sollten zu ihm gehen.«

      »Stiller Raum wie stilles Örtchen?«, fragte ich.

      »Stimmt was nicht?«

      »Vielleicht will er ungestört sein.«

      »Sei nicht albern.«

      Sie lief gebückt voran. Rob und ich tauschten Blicke und folgten ihr.

      Wir fanden Pascal fünfzehn Meter voraus. Ich hatte Danièle missverstanden. Er befand sich nicht an einem »stillen Örtchen« mit einem Klo und Rohrleitungen – natürlich nicht, dachte ich, nicht hier, nicht sechs Meter unter der Erde –, sondern in einem Raum mit gehauenen Kalksteinbänken, wo die Kataphilen offensichtlich eine Ruhepause einlegten, bevor sie sich auf ihre Reise begaben. Die Wände waren glatt und in einem Schweineblutpink getüncht.

      Pascal faltete die Karte, die er studiert hatte, zu einem kleinen Viereck zusammen und drängte sich an uns vorbei wieder in den Schacht hinein, führte uns mutig vorwärts.

      »Nach dir, Froschling«, sagte Rob zu Danièle.

      Sie stieß ihm den Zeigefinger gegen die Brust. »Wenn du mich noch ein einziges Mal Froschling oder Froschi oder irgendwas mit Frosch nennst, bringe ich dich um. Verstehst du mich?« Sie machte auf dem Absatz kehrt und folgte Pascal.

      Rob schüttelte den Kopf. »Immer diese angeheiratete Verwandtschaft.«

      ***

      Sich im Gänsemarsch und gebückt wie ein Troll zu bewegen war nicht gerade ideal für Gespräche, also hob ich mir meine Stammbaumfragen an Rob für später auf und konzentrierte mich darauf, mit dem schnellen Tempo, das Pascal vorgab, mitzuhalten. Wegen meiner vornübergebeugten Haltung sah ich nicht viel vom Tunnel, abgesehen von Robs Kehrseite und dem Boden, der ein pulveriger Mix aus Sand und zertretenen Kieseln war.

      Ich war volle fünf Minuten hier unten und hasste es. Mein Rücken und mein Nacken schmerzten, Klaustrophobie hatte sich breitgemacht wie eine zu enge zweite Haut und ich freute mich schon jetzt auf das Ende dieser Nacht.

      Schließlich betraten wir allerdings einen neuen Schacht. Hier war die Decke höher und zum ersten Mal war es mir möglich, beinahe ganz aufrecht zu stehen. Dadurch ging es mir erheblich besser. Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass wir die ganzen neun oder so Stunden, die wir hier unten verbringen sollten, wie die Trolle zurücklegen mussten.

      Davon erlöst, auf meine Schuhe zu starren, konnte ich meine Aufmerksamkeit jetzt besser auf das Palimpsest bunter Graffiti, das überall auf die honigfarbenen Steinwände gekritzelt und gesprüht worden war, richten. Das meiste davon waren knallige Hip-Hop-Tags und Punkrock-Anarchiesymbole. Ein englischsprachiges Flehen lautete: »In den Katas verirrt! Hilfe!« In Anbetracht dessen, wie nah wir dem Eingang waren, hielt ich es für einen Scherz. Ich hoffte, dass es ein Scherz war.

      Pascal und Danièle waren weiter vorne stehen geblieben. Als Rob und ich sie erreichten, zeigte Danièle auf die linke Wand. Auf einem Eckstein stand eine Inschrift in Kohlenschwarz geschrieben. Sie sagte: »Das ist die Adresse direkt über uns.«

      »Wer hat das geschrieben?«, fragte ich.

      »L’Inspection Générale des Carriers. Es war ihr Job, dafür zu sorgen, dass Paris nicht absinkt.«

      »Paris war am Absinken?«, fragte Rob zweifelnd.

      »Genau das hab ich gesagt, Rosbif. Die meisten dieser Tunnel wurden im Mittelalter angelegt. Zu jener Zeit lagen sie außerhalb der Stadtgrenzen. Aber während die Einwohnerzahl wuchs, dehnte sich die Stadt nach Süden über die Tunnel aus. Niemandem war klar, wie schlecht das Fundament war, bis eine der Kammern hier unten einstürzte. Sie verschluckte das gesamte Viertel über sich. Die Hauptstraße hieß Rue d’Enfer. Das ist witzig, denn es bedeutet …«

      »… Höllenstraße«, sagte Rob.

      »Ja. Jedenfalls rief der damalige König, derjenige, der während der Französischen Revolution geköpft werden sollte, die genannte L’Inspection Générale des Carriers ins Leben, um die Tunnel zu verstärken. Wenn die Inspektoren einen Riss sahen oder ein absinkendes Dach, errichteten sie eine stabilisierende Mauer oder etwas in der Art.« Sie zeigte auf die Inschrift der Adresse. »Sie haben außerdem alles kartografiert. Das Ergebnis war ein Spiegelbild der darüberliegenden Straßen, ein für die Ewigkeit erhaltenes Renaissance-Paris.«

      »Existiert diese Straße noch?«, fragte ich.

      »Es gibt sie noch, ja, aber sie ist jetzt breiter. Sie wurde zu einer Allee, glaube ich. Und das ist interessant.« Sie zeigte auf die Fleur-de-Lys, die über dem Straßennamen eingeritzt war. »Das ist das Symbol der französischen Monarchie. Hier ist es intakt. An anderen Stellen wurde es von Revolutionären herausgekratzt.«

      »Revolutionäre?«, fragte ich überrascht. »Sie haben diese Tunnel benutzt?«

      »Ja, sowohl 1789 als auch während der Studentenproteste 1968. Du musst wissen, dass sogar die Nazis während des Zweiten Weltkriegs hier unten einen Bunker gebaut haben. Er liegt auf unserem Weg. Dort werden wir eine Stunde lang rasten.«

      Irgendwo über uns erklang ein schwaches, anhaltendes Grollen, wie vom sonoren Rauschen des Ozeans. Wir hielten inne und lauschten. Es dauerte etwa zehn Sekunden, dann kehrte wieder Stille ein.

      »Das ist die Metro«, erklärte Danièle. »In der Nähe sind Schienen.«

      Bis spät Arbeitende, die zu ihren Häusern und Familien zurückkehrten, jüngere Männer und Frauen, die sich auf den Weg machten, um sich mit Freunden zu treffen. Mit anderen Worten, der gewohnte Gang des Lebens. Diese alltäglichen Bilder ließen das Tunnelgraben im Dunkeln und im Schmutz unter Paris umso unwirklicher erscheinen.

      Pascal, der darauf aus zu sein schien, in Bewegung zu bleiben, sagte: »Montez la garde« und ging weiter.

      »Ja, seid vorsichtig«, sagte Danièle zu uns. »Die Deckenhöhe variiert. Ihr müsst auf der Hut sein. Ihr müsst auf euren Kopf aufpassen. Und auf eure Füße. Ihr wollt nicht in eine Felsspalte oder eine Senke treten. Manche können sehr tief sein.«

      »Wie tief?«, fragte Rob.

      »Ich weiß es nicht, Rosbif«, rief sie über die Schulter hinweg. »Ich bin nie bis zum Grund gelangt.«

      Kapitel 10

      DANIÈLE

      Der Trick bestand darin, nah bei der Person vor einem zu bleiben, um im Rückstrahl ihrer Lampe sehen