VII. Umsetzung der neuen Widerrufsbelehrung durch die Kreditinstitute
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Für die Kreditinstitute bedeutet die Umsetzung der neuen Widerrufsinformationen und Widerrufsbelehrungen ein hoher Aufwand, der durch die Schätzungen, die in den Gesetzesentwürfen angenommen werden, nicht ansatzweise widergespiegelt wird. Eine besondere Herausforderung betrifft insbesondere die Widerrufsinformation in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 3 und § 12 EGBGB, weil die Bundesregierung keinerlei Übergangsfristen zwischen Verkündung und Inkrafttreten vorgesehen hat, sondern eine solche rigoros abgelehnt hat.59 Da, wie der Bundesrat richtigerweise vermutet hatte, es über den Zeitpunkt der Verkündung im Bundesgesetzblatt und dem Inkrafttreten zu Vertragsabschlüssen gekommen ist, die noch keine neue Widerrufsinformation enthalten haben, bleibt den Kreditinstituten nur die Möglichkeit, die Verbraucher über ihr Widerrufsrecht mittels Nachbelehrung zu belehren und damit die verlängerte Widerrufsfrist von einem Monat in Kauf zu nehmen.
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Für die Widerrufsbelehrungen im Fernabsatz und außerhalb der Geschäftsräume besteht dagegen eine Umsetzungsfrist von ca. einem halben Jahr, da die neuen Widerrufsbelehrungen erst nach Ablauf einer Übergangsfrist bis zum 31.12.2021 als alleinige gesetzliche Muster-Widerrufsbelehrungen unter die Gesetzlichkeitsfiktion fallen. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Unternehmer noch die Anlage 3 zu Art. 246b § 2 EGBGB in alter Fassung verwenden, ohne auf die Schutzwirkung des Art. 247 § 1 Abs. 2 Satz 6 EGBGB verzichten zu müssen (vgl. Art. 247 § 1 Abs. 2 Satz 8 EGBGB). Allerdings werden die Anpassungen an das neue Gesetz nicht nur auf die Einfügung einer neuen Widerrufsbelehrung zu beschränken sein. Durch die Aufteilung der einschlägigen Widerrufsbelehrungen in Anlage 3, 3a und 3b zu Art. 246b § 2 Abs. 3 EGBGB ist es erforderlich, die Produktangebote, soweit sie gebündelt werden, ggf. neu zu ordnen, um dem Verbraucher eine, trotz der zahlreichen Informationen, klare und verständliche Widerrufsbelehrung zur Verfügung zu stellen. Da zwar einerseits der Gesetzgeber eine Vermischung der drei gesetzlichen Muster-Widerrufsbelehrungen für zulässig hält, dies aber andererseits ins Risiko des Rechtsanwenders und damit der Kreditinstitute stellt, bestehen Zweifel, dass die in Art. 246b § 2 Abs. 3 EGBGB enthaltene Gesetzlichkeitsfiktion besteht, wenn das Kreditinstitut nicht die Widerrufsbelehrungen, wie sie in Anlage 3, 3a und 3b vorgesehen sind, verwendet.
59 BT-Drs. 19/26928, 30, 36.
VIII. Rechtssicherheit für die Kreditinstitute im Rechtsverkehr mit Verbrauchern?
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1. Es ist unstreitig, zu begrüßen, dass der Gesetzgeber sich entschlossen hat, erneut gesetzliche Widerrufsinformationen und Widerrufsbelehrungen zur Verfügung zu stellen, obwohl die Gesetzgebungskompetenz kritisch hinterfragt worden war.60 Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Diskussion um das Widerrufsrecht und die Ausgestaltung der darüber erteilten Belehrung bzw. der Erfüllung der Pflichtangaben, um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen, so schnell beruhigen wird.
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2. War das Widerrufsrecht anfänglich tatsächlich nur ausgeübt worden, um der Reue über den übereilten Vertragsabschluss nachzugeben und den Abschluss rückgängig zu machen, stehen die jetzigen Rechtsstreitigkeiten unter dem Vorzeichen langjähriger Vertragsläufe und dem Anliegen, über das ewige Widerrufsrecht Ziele zu erreichen, die übergeordneter Natur sind. Bei Immobiliardarlehensverträgen steht nach wie vor die – jederzeitige – Rückzahlbarkeit ohne Vorfälligkeitsentschädigung im Vordergrund. Bei den Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen liegt der Fokus auf Darlehensverträgen, die mit einem unliebsamen und finanzierten Kaufvertrag verbunden sind.
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3. Angesichts der Vorabentscheidungsfragen, die beim EuGH anhängig sind, kann die weitere Entwicklung der Rechtslage nicht vorhergesehen werden. Fest steht jedenfalls, dass sich der Verbraucherschutz auf Europäischer Ebene und in Deutschland fortentwickelt hat und zu einem wichtigen Thema für die Kreditwirtschaft im Privatkundengeschäft geworden ist.
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Die Kreditwirtschaft ist daher gut beraten, wenn sie diese Entwicklung eng beobachtet und sich nicht nur auf die Rechtsentwicklung innerhalb Deutschlands beschränkt, sondern die Entwicklung in Europa verfolgt.61 Wie dynamisch sich der Verbraucherschutz in Deutschland weiterentwickelt, zeigen die nachstehenden Gesetzgebungsverfahren.
60 Freitag/Allstadt, BKR 2021, 1. 61 Allstadt, WM 2021, 268.
IX. Weitere aktuelle Verbraucherschutzgesetze
1. Gesetz für faire Verbraucherverträge
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Das Gesetz wurde am 25.6.2021 beschlossen und tritt am 1.1.2022 in Kraft.62 Das Gesetz für faire Verbraucherverträge sieht Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch vor, um Bürgerinnen und Bürger besser vor telefonisch aufgedrängten Verträgen, überlangen Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen zu schützen. Dabei geht es z.B. um Verträge mit Fitnessstudios, Online-Partnerbörsen, Gas- und Stromlieferanten oder Zeitungs-Abos. Verträge müssen nach Ablauf der Mindestlaufzeit monatlich kündbar sein. Eine stillschweigende Vertragsverlängerung ist künftig nur noch dann erlaubt, wenn sie auf unbestimmte Zeit erfolgt und eine Kündigung jederzeit mit Monatsfrist möglich ist. Die Kündigungsfrist, um eine automatische Verlängerung eines befristeten Vertrags zu verhindern, wird von derzeit drei Monaten auf einen Monat verkürzt. Verträge, die über eine Website abgeschlossen wurden, sind künftig auch online kündbar – über eine sogenannte Kündigungsschaltfläche, die leicht zugänglich und gut sichtbar auf der Internetseite des Vertragspartners platziert sein muss. Die neuen Kündigungsregeln mit Kündigungsbutton gelten allerdings erst zum 1.7.2022.
2. Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt (Legal-Tech-Gesetz)
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Das Gesetz wurde ebenfalls am 25.6.2021 beschlossen und tritt zum 1.10.2022 in Kraft.63 Mit dem Gesetz zum Legal Tech-Inkasso soll Anwältinnen und Anwälten das Erfolgshonorar vor allem dort erlaubt werden, wo sie auch Inkassodienstleistungen anbieten dürfen. Außerdem wird es für (pfändbare) Geldforderungen bis 2.000 Euro zugelassen. Das Verbot der Prozessfinanzierung wird allein beim außergerichtlichen Inkasso und im gerichtlichen Mahnverfahren der Verfahrensfinanzierung zulässig. Zugleich definierte der Gesetzgeber, was zukünftig noch als Inkasso gilt. So werden die Anforderungen an die Registrierung von Legal Tech-Unternehmen erhöht. Neue Informationspflichten für Legal Tech-Portale samt Regeln für Fremdgelder und Vergütungsvereinbarungen sollen zudem Verbraucherinnen und Verbraucher besser schützen.
62 BGBl. I 2021, 2123. 63 BGBl. I 2021, 3415.
X. Ausblick
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Auf europäischer Ebene ist der erste Entwurf einer überarbeiteten Verbraucherkreditrichtlinie der Europäischen Kommission zu erwähnen, der den Verbänden zur Stellungnahme vorgelegt wurde. Der Entwurf enthält eine starke Angleichung der Verbraucherkreditrichtlinie an die Wohnimmobilienkreditrichtlinie (2014/17/EU), sodass hinsichtlich der verbraucherschützenden Anforderungen an den Vertrieb und die Kreditvergabe