VI. Wesentliche Änderungen bei Widerrufsbelehrungen für im Fernabsatz und außerhalb der Geschäftsräume geschlossene Verträge über Finanzdienstleistungen
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1. Wie oben bereits ausgeführt, sah sich der Gesetzgeber aufgrund der EuGH – Rechtsprechung vom 26.3.2020 gehalten, die in Anlage 3 zu Artikel 246b § 2 Abs. 3 EGBGB enthaltene Widerrufsbelehrung zu überarbeiten, weil diese ebenfalls im Zusammenhang mit dem Fristbeginn auf die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften verwies, ohne deren Inhalt wiederzugeben.53 Der Gesetzgeber sah daher die Gefahr, dass diese Widerrufsbelehrung aufgrund des enthaltenen Gesetzesverweises nicht richtlinienkonform sein könnte und insoweit Umsetzungsdefizite bestünden, die es zu beseitigen galt.
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2. Zur Vermeidung des Verweises auf die einschlägigen Rechtsvorschriften, nach denen der Unternehmer vorvertragliche Informationspflichten auf einem dauerhaften Datenträger zu erfüllen hat, um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen, hat der Gesetzgeber, wie bereits bei der Widerrufsinformation in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 2 EGBGB, einen neuen Abschnitt 2 eingefügt. In Abschnitt 1 wird der Verbraucher über das Bestehen eines Widerrufsrechts, die Widerrufsfrist, den Beginn der Frist und die Form der zu erteilenden Informationen informiert. Statt des Verweises auf die einschlägigen rechtlichen Vorschriften über die zu erteilenden Informationen wird in dem Abschnitt 1 auf „alle nachstehend unter Abschnitt 2 aufgeführten Informationen“ verwiesen.
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In dem folgenden Abschnitt 2 sind alle Informationen, die der Unternehmer zu erteilen hat, nacheinander listenmäßig aufgeführt und durchnummeriert. Dabei wird bei den Informationen zwischen Pflichtinformationen und Eventualinformationen unterschieden. Bei den Pflichtinformationen handelt es sich um solche, über die der Unternehmer immer informieren muss, wenn der betreffende Vertrag über die angebotene Finanzdienstleistung im Fernabsatz oder außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers geschlossen wird. Die Eventualinformationen sind nur dann zu nennen, wenn sie für den Vertrag zutreffend sind, die diesbezügliche Subsumptionsleistung obliegt dem Unternehmer. Soweit die eventuell zu erbringenden Informationen nur teilweise zutreffen, sind sie vollständig aufzuführen, weil der Unternehmer andernfalls seiner Informationspflicht nicht nachkommt und von der Gesetzlichkeitsfiktion nach Art. 246b § 2 Abs. 3 Satz 1 EGBGB nicht profitiert. In den gesetzlichen Mustern sind die Eventualinformationen durch Kursivdruck kenntlich gemacht. Übernimmt der Unternehmer eine Eventualinformation, weil sie für den betreffenden Vertrag einschlägig ist, ist sie vollständig abzudrucken und der Kursivdruck zu entfernen. In dem neuen Abschnitt 3 wird der Verbraucher über die Rechtsfolgen eines Widerrufs informiert.
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Der Gesetzgeber war sich bewusst, dass durch die Aufnahme sämtlicher Informationspflichten die Muster-Widerrufsbelehrung lang und unübersichtlich werden könnte. Um die Lesbarkeit für den Verbraucher zu vereinfachen, hat der Gesetzgeber daher mit Zwischenüberschriften und Heraushebungen von wesentlichen Informationen durch Fettdruck gearbeitet. An diese Darstellung ist der Unternehmer gebunden.
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Da bei den Finanzdienstleistungen über Zahlungsdienste die vorvertraglichen Informationen mit den vorvertraglichen Informationen beim Fernabsatz von Finanzdienstleistungen teilweise verzahnt sind und mit der Erfüllung der vorvertraglichen Informationen nach Art. 248 EGBGB zum Teil die vorvertraglichen Informationen nach Art. 246b EGBGB erfüllt werden, hat der Gesetzgeber sich entschieden, insgesamt drei Muster-Widerrufsbelehrungen mit Gesetzesrang zu verabschieden.
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Anlage 3 beinhaltet ein Muster für die Widerrufsbelehrung bei Verträgen über Finanzdienstleistungen – mit Ausnahme von Immobiliarförderdarlehensverträgen und Zahlungsdiensten –, die außerhalb der Geschäftsräume oder im Fernabsatz abgeschlossen werden. Anlage 3a bietet ein Muster für den Abschluss von Zahlungsdiensterahmenverträgen im Fernabsatz oder außerhalb der Geschäftsräume und Anlage 3a befasst sich mit der Widerrufsbelehrung für Zahlungsdienste in Form von Einzelzahlungsverträgen. Die Aufteilung hielt der Gesetzgeber für notwendig, weil er andernfalls insgesamt fünf Musterbelehrungen mit zahlreichen Gestaltungshinweisen zur Verfügung hätte stellen müssen und damit die Übersichtlichkeit der Belehrungen durch die Aufnahme aller einzelnen Informationen verloren gegangen wäre. Dem Unternehmer steht es aber in eigener Verantwortung frei, bei entsprechenden Vertragskombinationen die Widerrufsbelehrungen miteinander zu verbinden und entsprechend zu ergänzen. Ob eine solche Widerrufsbelehrung dann jedoch noch in den Genuss der Gesetzlichkeitsfiktion kommt, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht eindeutig entnehmen.54
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3. Mit den Anpassungen der Widerrufsbelehrungen für im Fernabsatz oder außerhalb der Geschäftsräume geschlossene Verträge über Finanzdienstleistungen setzt der Gesetzgeber gleichzeitig die Rechtsprechung des BGH55 um. In dieser Entscheidung verneinte der BGH das Bestehen eines Widerrufsrechts des Bürgen, wenn dieser die Bürgschaft außerhalb der Geschäftsräume des Kreditinstituts und im Beisein eines Bankangestellten unterzeichnet hat. Seit der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) in deutsches Recht zum 13.6.2014 handele es sich bei einer Bürgschaft nicht um einen entgeltlichen Verbrauchervertrag im Sinne von § 312 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 310 Abs. 3 BGB, so dass dem Bürgen entgegen der früheren Rechtslage kein Widerrufsrecht nach § 312g BGB zuzusprechen sei.56 Bei der Bürgschaft handele es sich auch nicht um eine Finanzdienstleistung, weil sich diese dadurch auszeichne, dass der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher die vertragsspezifische Leistung zu erbringen habe und der Verbraucher der Berechtigte aus dem Vertrag sei.57 Infolge dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber den Gestaltungshinweis Nr. 3 zur Widerrufsbelehrung in Anlage 3 zu Art. 246b EGBGB a.F. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH gestrichen. Die Anlage 3 zu Art. 247 § 2 Abs. 3 Satz 1 EGBGB findet daher keine Anwendung mehr auf Bürgschaften oder andere Kreditsicherheiten, die im Fernabsatz oder außerhalb der Geschäftsräume geschlossen werden.
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4. Weitere Regelungen hat der Gesetzgeber für Darlehensverträge aufgenommen, die mit einem Verbraucher geschlossen werden, bei denen dem Verbraucher aber kein Widerrufsrecht nach § 495 BGB zusteht. Dabei handelt es sich zum einen um die eingeräumte Überziehungsmöglichkeit im Sinne von § 504 Abs. 2 BGB, die geduldete Überziehung gemäß § 505 BGB und sog. Immobiliarförderdarlehen (§ 491 Abs. 3 Satz 3 BGB).
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5. Richtigerweise sehen die Widerrufsbelehrungen in Anlage 3a zu den Zahlungsdiensterahmenverträgen einen Hinweis zur geduldeten Überziehung vor, denn seit Einführung der Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) ist der Darlehensgeber gehalten, in dem Vertrag über ein laufendes Konto ein Entgelt für die geduldete Überziehung zu vereinbaren, wenn er ein solches verlangen will (§ 505 Abs. 1 Satz