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2. Die Aussagen des EuGH wollte der BGH in dieser Allgemeinheit nicht stehenlassen. Zunächst wies der BGH26 mit seinen Beschlüssen vom 31.3.2020 – XI ZR 581/18 – und – XI ZR 198/19 – darauf hin, dass die Auslegung nationaler Vorschriften den nationalen Gerichten vorbehalten sei, so dass er – auch in Kenntnis der Rechtsprechung des EuGH – keinen Auslegungsspielraum erkennen könne, der ihm eine richtlinienkonforme Auslegung dahingehend ermögliche, die gesetzlichen Widerrufsinformationen für unwirksam zu erklären und ihnen die Gesetzlichkeitsfiktion abzuerkennen. Darüber hinaus fände gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a und c Verbraucherkreditrichtlinie diese keine Anwendung auf grundpfandrechtlich besicherte Immobiliardarlehensverträge,27 sodass bereits aus diesem Grunde die Entscheidung des EuGH Urteils vom 26.3.2020 auf Immobiliardarlehensverträge nicht übertragbar sei.
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Ergänzend wies der BGH zum Vorlagebeschluss des LG Ravensburg vom 5.3.202028 darauf hin, dass die in dem Vorabentscheidungsgesuch des LG Ravensburg aufgeworfenen Fragen angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks der Verbraucherkreditrichtlinie derart offenkundig zu beantworten seien, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe, und somit keine Aussetzung des eigenen Verfahrens in Betracht käme.
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Für Prolongationen von Immobiliardarlehensverträgen hat sich der EuGH in seinem Urteil vom 8.6.202029 der Auffassung des BGH angeschlossen, dass es sich insoweit um keine selbständigen Finanzdienstleistungen im Fernabsatz handele, die selbstständig widerrufbar sind.
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3. In einer späteren Entscheidung zu einem Konsumentenratenkredit kommt der BGH30 jedoch zu einem anderen Ergebnis. Danach ließen § 492 Abs. 2 BGB und Art. 247 § 6 Abs. 3 Satz 1 EGBGB es offen, „ob und auf welche Weise in der Widerrufsinformation auf die zu erteilenden Pflichtangaben hinzuweisen sei“, so müssen die Angaben lediglich klar und verständlich sein. Damit sei der Auslegungsspielraum, entgegen der in den Beschlüssen vom 31.3.2020 vertretenen Auffassung, eröffnet. Bei richtlinienkonformer Auslegung genüge daher die Widerrufsinformation, soweit sie den Kaskadenverweis verwendet, um den Fristbeginn zu beschreiben, der Rechtsprechung des EuGH entsprechend nicht den Anforderungen an Verständlichkeit und Klarheit, wie sie von Art. 10 Abs. 2 Buchstabe p Verbraucherkreditrichtlinie gefordert wird. Allerdings könne sich ein Darlehensgeber, der die Widerrufsinformation ordnungsgemäß verwendet, auf die Gesetzlichkeitsfiktion nach Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB berufen. Nur, wenn die Widerrufsinformation fehlerhaft erteilt wurde, greife die Unwirksamkeit durch und der Darlehensgeber komme nicht in den Genuss der Gesetzlichkeitsfiktion.31
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4. Mit der Rechtsprechung des BGH zu den seit 2010 geltenden Widerrufsinformationen sind die Instanzgerichte nicht durchgehend einverstanden gewesen, wie die sehr unterschiedlichen Hinweisbeschlüsse einiger Instanzgerichte zeigen. So wollte das OLG Rostock (Beschluss vom 26.3.20 – 1b 1U 1/19) dem EuGH folgen und das OLG Dresden (gerichtlicher Hinweis vom 26.3.20 – 8 U 63/20) hatte zumindest Zweifel, ob sich die Bank nach dem EuGH-Urteil noch auf den Musterschutz berufen könne.
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Umgehend nach dem Bekanntwerden der BGH-Beschlüsse vom 31.3.2020 hatte das LG Ravensburg32 erneut Fragen an den EuGH gerichtet, die zum einen die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des BGH mit der Verbraucherkreditrichtlinie in Frage stellen und die weitere Frage an das Gericht gerichtet, ob die Rechtsprechung auf Immobiliardarlehensverträge übertragbar sei. Darüber hinaus wurde dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die allgemeinen Grundsätze, wie Rechtsmissbräuchlichkeit oder Verwirkung auf das Widerrufsrecht angewendet werden können, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Voraussichtlich wird der EuGH am 9.9.2021 über einen Teil der Vorabentscheidungsfragen des LG Ravensburg entscheiden. Nach der Stellungnahme des Generalstaatsanwalts vom 15.7.202133 steht die Rechtsprechung des BGH nicht im Einklang mit den Anforderungen an die Vertragsinhalte der Verbraucherkreditrichtlinie in Art. 10 Abs. 2 Buchstaben a, d, l, r, s und t. Außerdem sei die Frage, ob ein Widerrufsrecht verwirken könne, wenn der Verbraucher keine inhaltlich vollständige, der Richtlinie entsprechende Abschrift des Darlehensvertrags erhalten habe, dahingehend zu beantworten, dass das Recht des Verbrauchers nicht verwirken oder rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden könne. Die weiteren Fragen beziehen sich auf die Angabe zum Verzugszins, ob hier ein konkreter Zinssatz anzugeben sei, oder es reiche, dass der Verzugszinssatz als zusammengesetzte Größe (Basiszinssatz plus 5 %-Punkte) angegeben wird, so der BGH in seinen Entscheidungen v. 5.11.2019.34 Die weitere Frage des LG Ravensburg beschäftigt sich mit der Angabe zum Zugang zu einem außergerichtlichen Beschwerdeverfahren. Hier hatte der BGH entschieden, dass es ausreiche, wenn der Verbraucher über die Form und die postalische Anschrift der Beschwerdestelle informiert und hinsichtlich der Verfahrensordnung auf die Internetseite der außergerichtlichen Schlichtungsstelle verwiesen würde.35 Angesichts dieser Entwicklungen ist daher anzunehmen, dass hinsichtlich der Muster-Widerrufsinformationen und der dazu ergehenden Entscheidungen keine Ruhe eintreten wird, sondern mit weiteren Entscheidungen des EuGH zu rechnen ist, soweit er sich für diese Fragen zuständig halten wird. Welchen Einfluss diese Entscheidungen wiederum auf die Rechtsprechung des BGH haben werden, bleibt abzuwarten.
24 Beschluss vom 17.1.2019 – 1 O 164/18, WM 2019, S. 1444. 25 EuGH v. 26.3.2020 – Rs. C 66/19, WM 2020, 688 = https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=224723&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1. 26 BGH v. 31.3.2020 – I ZR 198/19, WM 2020, 838, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgibin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=105159&pos=0&anz=1 + http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=105147&pos=0&anz=1. 27 So auch schon BGH v. 19.3.19 – XI ZR 44/18, WM 2019, 864; BGH v. 31.3.2020 – XI ZR 581/18, NJW 2020, 1445. 28 LG Ravensburg v. 5.3.2020 – 2 O 328/19, 2 O 280/19, 2 O 334/19, BeckRS 2020, 3265, Widerruf eines PKW-Finanzierungsvertrages. 29 EuGH v. 18.6.2020 – Rs. C 639/18, WM 2020, 1199 insoweit es sich um keine selbständigen Finanzdienstleistungen im Fernabsatz handele, die selbständig widerrufbar sind. 30 BGH v. 27.10.2020 – XI ZR 498/19, WM 2020, 2321. 31 BGH v. 27.10.2021 – XI ZR 498/19, WM 2020, 2321. 32 https://www.zbb-online.com/heft-5-2020/zbb-2020-317-vorlage-an-den-eugh-pflichtangaben-im-verbraucherkreditvertrag-und-verwirkung-des-widerrufsrechts/. 33 https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=244208&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1. 34 BGH v. 5.11.2019 – XI ZR 650/18, WM 2019, 2353; BGH v. 5.11.2019 – XI ZR 11/19, BeckRS 2019, 33010. 35