18
Für den deutschen Gesetzgeber bestand Handlungsbedarf, nachdem der EuGH die gesetzliche Widerrufsinformation als nicht vereinbar mit der EU-Verbraucherkreditrichtlinie angesehen hatte.
19
1. Nachdem der EuGH mit Entscheidung vom 11.9.2019 in der Rechtssache Lexitor36 entschieden hatte, dass der in Art. 16 Abs. 1 Verbraucherkreditrichtlinie verwendete Begriff „Kosten“ dahingehend auszulegen sei, dass darunter sowohl einmalige wie auch laufende Kosten zu verstehen sind, bestand für den deutschen Gesetzgeber die Notwendigkeit, § 501 BGB a.F. der Interpretation des Kostenbegriffs des EuGHs folgend anzupassen. Dieses Gesetzgebungsverfahren hatte die Bundesregierung bereits im August 2020 begonnen. Aufgrund des weiteren Anpassungsbedarfs durch die Entscheidung des EuGH vom 26.3.2020 in der Rechtssache C 66/19 bot es sich daher an, in einem Gesetzgebungsverfahren die Rechtsprechung des EuGH zu bündeln und die verbraucherdarlehensrechtlichen Vorschriften an die Rechtsprechung des EuGH anzupassen.37
20
2. Mit diesem Gesetz wurde § 501 BGB hinsichtlich des Anspruchs des Verbrauchers auf Minderung der Gesamtkosten bei vorzeitiger Rückzahlung nach § 500 Abs. 2 BGB im Sinne der EuGH Rechtsprechung in der Rechtssache Lexitor abgeändert (§ 501 Abs. 1 BGB) und für den Fall der vorzeitigen Beendigung eines Verbraucherdarlehensvertrages durch Kündigung eine neue Regelung in § 501 Abs. 2 BGB eingeführt. Im Zusammenhang mit einer vorzeitigen Rückführung der Restschuld aus einem Verbraucherdarlehensvertrag in Folge einer Kündigung durch den Darlehensgeber oder den Darlehensnehmer bleibt es bei der bisherigen Regelung, dass der Verbraucher nur einen Anspruch auf die Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits um die Zinsen und laufzeitabhängigen Kosten hat, die bei gestaffelter Berechnung auf die Zeit nach der Fälligkeit entfallen.
21
3. Darüber hinaus sah der Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 24.2.2021 (BT Drucks. 19/26928) eine Anpassung der Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB vor, mit der die Rechtsprechung des EuGH zu dem Kaskadenverweis umgesetzt werden sollte.
22
Dieses Gesetz sollte von Anfang an einen Tag nach Verkündung in Kraft treten. Diese Eile hielt der Gesetzgeber für erforderlich, weil der nationale Gesetzgeber gehalten sei, die nationalen Bestimmungen unverzüglich an die EuGH – Rechtsprechung anzupassen und damit dem Unionsrecht zu entsprechen. Außerdem hielt er es für die Kreditwirtschaft für zumutbar, dass sie sich seit Verkündung der beiden Entscheidungen und während des Gesetzgebungsverfahrens darauf einrichten und vorbereiten könne, um die neuen Widerrufsinformationen in ihr Formularwesen zu übernehmen. Zu guter Letzt bestünde auch die Möglichkeit, mit einer aktualisierten Widerrufsinformation die Belehrung gemäß §§ 356b Abs. 2 Satz 1, 492 Abs. 6 BGB nachzuholen, um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen.38 Dies stieß auf erhebliche Kritik bei den betroffenen Bankverbänden.39
23
Schließlich wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren auf Antrag der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und SPD und auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz das Gesetz ergänzt um weitere gesetzliche Muster-Widerrufsbelehrungen, die einen vergleichbaren Kaskadenverweis enthielten. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Muster-Widerrufsbelehrung beim Fernabsatz von Finanzdienstleistungen der Anlage 3 zu Art. 246b § 2 Abs. 3 Satz 1 EGBGB.40 Nach den Neuregelungen wurde die bisherige Anlage 3 durch insgesamt drei neue Widerrufsbelehrungen ersetzt: Anlage 3 findet Anwendung bei im „Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen von Finanzdienstleistungen mit Ausnahme von Verträgen über die Erbringung von Zahlungsdiensten und Immobiliarförderdarlehensverträgen“, Anlage 3a stellt ein „Muster für die Widerrufsbelehrung bei im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über die Erbringung von Zahlungsdiensten in Form von Zahlungsdiensterahmenverträgen“ und schließlich findet sich in Anlage 3b das „Muster für eine Widerrufsbelehrung bei im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen in Form von Einzelzahlungsvorgängen“.
24
Lediglich der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass der Gesetzgeber das Versicherungsvertragsgesetz und die dort enthaltenen Widerrufsbelehrungen zu § 8 VVG der Rechtsprechung des EuGH angepasst hat. Am 14.6.2021 wurden die Neuregelungen zu der Muster-Widerrufsinformation bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen und die Muster-Widerrufsbelehrungen bei Finanzdienstleistungen sowie Versicherungsverträgen im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.41 Damit trat die Muster-Widerrufsinformation in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB am 15.6.2021 in Kraft, alle weiteren Widerrufsbelehrungen werden am 1.1.2022 in Kraft treten.
36 Rs. C 383/18 https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C383/18. 37 https://dserver.bundestag.de/btd/19/269/1926928.pdf. 38 BT-Drs. 19/26928, 36. 39 Stellungnahme des DSGV für Deutsche Kreditwirtschaft vom 8.2.2021, https://diedk.de/media/files/210208_DK_Stn_Fernabsatz_Finanzdienstleistungen.pdf. 40 BT-Drs. 29391. 41 BGBl. I 2021, 1666.
V. Wesentliche Änderungen des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen
25
1. Im Wesentlichen beschränken sich die Änderungen auf die Anpassung der Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB an die Rechtsprechung des EuGH zum Kaskadenverweis. Um den Anforderungen an die Rechtsprechung des EuGH zu entsprechen und die Widerrufsinformation entsprechend des Art. 10 Abs. 2 Buchstabe p der Verbraucherkreditrichtlinie klar und verständlich zu gestalten, gliederte der Gesetzgeber die Widerrufsinformation in drei Abschnitte.
26
In dem ersten Abschnitt wird über das Bestehen eines Widerrufsrechts, die Frist, den Fristbeginn, die Form des Widerrufs und den Widerrufsadressaten informiert. Bei der Beschreibung des Fristbeginns werden nunmehr nicht mehr auf § 492 Abs. 2 BGB verwiesen und Beispiele für die Pflichtangaben im Darlehensvertrag genannt, sondern es erfolgt ein Verweis auf die unter Abschnitt 2 gelisteten Pflichtenangaben. Im Abschnitt 2 werden sämtliche Pflichtangaben, die in einem Verbraucherdarlehensvertrag nach § 492 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB enthalten sein müssen, aufgeführt. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen den Angaben, die in einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag, für den ein Widerrufsrecht nach § 495 BGB besteht, immer anzugeben sind und den Angaben, die nur dann im Vertrag enthalten sein müssen, weil sie für den speziellen Vertragstypus aufzunehmen sind (sog. Eventualangaben).
27
Dem Gesetzgeber war bewusst, dass durch die Aufzählung aller Pflichtangaben eines Verbraucherdarlehensvertrags die Widerrufsinformation sehr lang wurde und damit die Gefahr besteht, dass sie – auch für den aufmerksamen und verständigen Verbraucher, auf den nach der ständigen Rechtsprechung des BGH42 abzustellen ist – unübersichtlich und schwer lesbar werden könnte. Daher hat der Gesetzgeber mit Zwischenüberschriften und Hervorhebung wichtiger Textpassagen durch Fettdruck gearbeitet, um die Verständlichkeit für den Verbraucher zu erhöhen.43 Im Abschnitt 1 der Widerrufsinformation verweist der Text hinsichtlich der Pflichtangaben im Darlehensvertrag auf den nachfolgenden, neu eingeführten Abschnitt 2; der Kaskadenverweis auf § 492 Abs. 2 BGB und die in Klammern gesetzten, beispielhaft aufgeführten Pflichtangaben fehlen konsequenterweise. Die ersten 16 aufgelisteten und durchnummerierten Pflichtangaben zählen zu den vertraglichen Informationen, die immer in der Widerrufsinformation zu nennen sind, weil sie stets in einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag enthalten sein müssen. Der Text beschränkt sich nicht nur auf die reine Auflistung der Vertragsinhalte, sondern fügt teilweise