Nach § 247 S. 2 StPO ist die Entfernung des Angeklagten ferner möglich, wenn die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren in Gegenwart des Angeklagten einen erheblichen Nachteil für das Wohl des Zeugen befürchten lässt. Hierzu sind konkrete Umstände vorzubringen, die einen über die Vernehmung hinausreichenden Nachteil für das körperliche und seelische Wohl des Zeugen begründen können.[27] Auf die Gefährdung der Wahrheitsfindung kommt es nicht an. Auch bei erwachsenen Zeugen kann der Angeklagte über § 247 S. 2 StPO aus dem Sitzungssaal entfernt werden. Bei erwachsenen Zeugen muss allerdings die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit bestehen. Ein typischer Fall eines begründeten Ausschlusses des Angeklagten im Interesse der Sachaufklärung liegt beispielsweise dann vor, wenn der Zeuge erklärt, er werde in Anwesenheit des Angeklagten keine Aussage machen.[28]
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand › IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen › 6. Einsatz von Videotechnik
a) Allgemeines
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Regelungen zum Einsatz von Videotechnik bei Zeugenvernehmungen sind erstmalig durch das sog. „Zeugenschutzgesetz“[29] eingeführt worden.[30] Ausgelöst wurden die damaligen gesetzgeberischen Aktivitäten im Bereich der Videovernehmung durch aufsehenerregende Prozesse wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und eine Entscheidung einer Mainzer Strafkammer im Jahr 1995. Damals wurde – ohne ausreichende gesetzliche Grundlage aber in Einvernehmen mit den übrigen Verfahrensbeteiligten – die Vernehmung kindlicher Zeugen durch den Vorsitzenden während der Hauptverhandlung in einem besonderen, kindgerecht eingerichteten Zimmer in Anwesenheit einer Vertrauensperson des Kindes durchgeführt.[31] Diese Befragungsform war insofern problematisch, als der Vorsitzende von dem separaten Zimmer aus keine Möglichkeit hatte, die Verfahrensbeteiligten während der Aussage des Kindes zu sehen und so deren Reaktionen auf das vom Kind Gesagte nicht wahrnehmen konnte.[32] Das sog. Mainzer Modell blieb nicht zuletzt auch wegen der Kollision mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit gem. §§ 226, 261 StPO stets umstritten.[33] Deshalb kam es im Zeugenschutzgesetz schließlich zur Regelung des § 247a StPO, die englischen und österreichischen Vorbildern folgt.[34] Der Zeuge hält sich danach in einem separaten Raum auf, sieht den vernehmenden Richter, der wie die übrigen Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal verbleibt, auf einem Bildschirm und hört ihn über Lautsprecher. Die Antworten des Zeugen werden dann optisch und akustisch direkt in den Sitzungssaal übertragen. Zur Einführung einer gespaltenen Hauptverhandlung kam es also nicht.
Das „Zeugenschutzgesetz“ reicht im Bereich der Vernehmungsmöglichkeiten durch Videotechnik weit über den Schutz von Kinderzeugen hinaus. So gilt die Videosimultanübertragung nach § 247a StPO auch für die Vernehmung von Zeugen an einem anderen Ort unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2, also auch für die Vernehmung von Auslandszeugen oder etwa gesperrten V-Personen gem. § 247a Abs. 1 Hs. 2 StPO. Die Regelung über die Videoaufzeichnung aus § 58a StPO, die primär zur Vermeidung von belastenden Mehrfachvernehmungen bei kindlichen Zeugen gedacht war, gilt jetzt für alle Zeugen, deren spätere Vernehmung in der Hauptverhandlung unsicher ist, also z.B. auch beim Schutz gefährdeter Zeugen im Rahmen des strafprozessualen Zeugenschutzes. Die Vorführung der Videoaufzeichnung in der Hauptverhandlung wurde in § 255a Abs. 1 StPO der Verlesung von Vernehmungsprotokollen gleichgestellt. § 255a Abs. 2 StPO lässt unter weiteren Voraussetzungen in weitgehender Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bei Sexual- und Tötungsdelikten sowie Fällen des Missbrauchs von Schutzbefohlenen oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit die Ersetzung der Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren zu. Die Vorschrift wurde durch das sog. „StORMG“[35] auf Zeugen, die Verletzte einer betreffenden Straftat wurden und zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahren waren, erstreckt.
Zu unterscheiden ist zwischen der Aufzeichnung der Zeugenaussage im Ermittlungsverfahren auf Video und der anschließenden Nutzung der aufgezeichneten Aussage als Ergänzung oder Ersatz in der Hauptverhandlung vor Gericht gem. § 255a StPO auf der einen und der Simultanübertragung der Aussage aus einem anderen Raum in die Hauptverhandlung gem. § 247a StPO auf der anderen Seite. Die Videoaufzeichnung ermöglicht es im Idealfall, die Anzahl der Vernehmungen zu reduzieren. Die Simultanübertragung der Aussage erspart dem Zeugen vor allem die unmittelbare Konfrontation mit dem Angeklagten, sowie die psychische und physische Belastung einer Vernehmung im Sitzungssaal mit zahlreichen anwesenden Personen.[36]
b) Einsatz von Videotechnik in Vernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung
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Für die Videovernehmung stellt § 58a StPO die grundlegende Regelung dar. Grundsätzlich kann nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO fakultativ jede Vernehmung eines Zeugen auf „Bild-Ton-Träger“ aufgezeichnet werden. Auf den Verfahrensgegenstand kommt es dabei nicht an. Die Vernehmung ist nach dem Gesetzeswortlaut auch nicht an weitere Voraussetzungen gebunden. Allerdings führt in der Praxis nicht allein der erhöhte technische Aufwand zu einer begrenzten Anwendung, sondern auch die sorgfältige Abwägung der Verhältnismäßigkeit in jedem Einzelfall. Mit der Videoaufzeichnung ist nämlich ein durchaus erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Verletztenzeugen verbunden.[37]Andererseits lässt sich der tatsächliche Verlauf der Vernehmung nur durch eine solche Aufzeichnung der Vernehmung auf Video anschaulich und zweifelsfrei dokumentieren.
Regelmäßig ist eine Videovernehmung in den in § 58a Abs. 1 S. 2 StPO genannten Fällen in Betracht zu ziehen sein. Diese Vorschrift enthält eine Regelung für Fälle, in denen eine Vernehmung aufgezeichnet werden „soll“. Die Vorschrift hat insoweit zwingenden Charakter.[38]Die Videovernehmung soll durchgeführt werden, wenn es sich um jugendliche Verletztenzeugen unter 18 Jahren, sog. kindliche Zeugen, und Verletztenzeugen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahren waren, oder um bedrohte Zeugen handelt, deren Abwesenheit in der Hauptverhandlung zu besorgen ist. Letztgenanntes gilt beispielsweise für Zeugen, die nach ihrer Vernehmung im Ermittlungsverfahren ins Ausland gehen oder in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Die Einschränkung in § 58a Abs. 1 Nr. 2 StPO, wonach eine Aufzeichnung zur Wahrheitserforschung erforderlich sein muss, bedeutet, dass die Aufzeichnung nur erfolgen soll, wenn sie über den Erkenntniswert der ohnehin anzufertigenden Niederschrift hinausgeht.[39]Video-Aufzeichnungen unterliegen wie Vernehmungsprotokolle der Akteneinsicht, was durch die in § 58a Abs. 2 StPO enthaltene Verweisung auf § 147 StPO und § 406e StPO klargestellt ist. Durch das „Opferrechtsreformgesetz“[40] wurde die Vorschrift dahingehend erweitert, dass nach § 58a Abs. 2 S. 3 – 5 StPO auch Kopien der erstellten Aufzeichnungen den Einsichtsberechtigten überlassen werden können, solange sie benötigt werden. Diese Regelung sollte die Akzeptanz hinsichtlich der Aufzeichnungen steigern.[41] Kopien können auch anderen Personen überlassen werden, wenn der Zeuge hiermit einverstanden ist. Allerdings hat der Zeuge generell ein Widerspruchsrecht gegen die Überlassung der Aufzeichnungen, worauf er hinzuweisen ist. Das Besichtigungsrecht der Akteneinsichtsberechtigten bleibt jedoch hiervon unberührt. Statt einer Kopie wird diesen im Falle eines Widerspruchs allerdings lediglich eine Übertragung der Abschrift in ein schriftliches Protokoll überlassen.
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Möglich ist auch die videotechnische Übertragung der ermittlungsrichterlichen Zeugenaussage bereits im Stadium des Ermittlungsverfahrens. Die hierfür geltende Regelung des § 168e StPO stellt insofern eine Ergänzung des § 247a StPO dar. Die Vernehmung des Zeugen erfolgt in diesem Fall getrennt von den sonstigen Anwesenheitsberechtigten, also insbesondere vom Beschuldigten und seinem Verteidiger. Deren Mitwirkungsrechte müssen jedoch durch die Möglichkeiten der simultanen Videoübertragung gewahrt werden.[42] Diese Vernehmungsart wird sich insbesondere bei Vernehmungen