Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand › IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen › 3. Geheimhaltung des Wohnortes bzw. der Identität des Zeugen
3. Geheimhaltung des Wohnortes bzw. der Identität des Zeugen
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Welche Angaben der Zeuge zu den Personalien zu machen hat, gibt § 68 Abs. 1 StPO vor. Danach hat der Zeuge seinen vollständigen Namen, Wohnort, Beruf und sein Alter anzugeben. Nicht selten möchten aber Zeugen nicht, dass der Angeklagte ihren Wohnort erfährt, da sie dessen Nachstellungen oder Racheakte auf ihn oder die Familie befürchten. Diesen Bedürfnissen tragen die Regelungen der §§ 68 Abs. 1 S. 2, 68 Abs. 2 – 5 und 68a StPO Rechnung. Der Zeuge, der Wahrnehmungen in amtlicher Eigenschaft gemacht hat, kann gem. § 68 Abs. 1 S. 2 StPO statt des Wohnortes den Dienstort angeben. Der Zeuge kann gem. § 68 Abs. 2 StPO bei Vernehmungen seinen Wohnort verschweigen und stattdessen seinen Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift angeben, wenn ein begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass durch die Angabe des Wohnortes Rechtsgüter des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet werden oder dass auf Zeugen oder eine andere Person in unlauterer Weise eingewirkt wird, vgl. § 68 Abs. 2 StPO.
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Nach § 68 Abs. 3 StPO kann der Zeuge sogar seine Identität vollständig geheimhalten, wenn durch die Offenbarung die Besorgnis besteht, dass Leben, Leib oder Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet werden oder dass auf Zeugen oder eine andere Person in unlauterer Weise eingewirkt werden wird. Dies ergibt sich oftmals durch Drohbriefe, Anrufe oder sonstige Aktionen des Angeklagten oder ihm nahestehender Dritter. Eine Hinweispflicht der Strafverfolgungsbehörden auf die Rechte aus § 68 Abs. 2 und 3 StPO ergibt sich aus Abs. 4. Dort ist auch geregelt, dass entsprechende Unterlagen nicht Bestandteil der Strafakten werden, sondern bei der Staatsanwaltschaft zu verwahren sind. Sie sind erst zu den Akten zu nehmen, wenn die Besorgnis der Gefährdung entfällt. In § 68 Abs. 5 StPO ist geregelt, dass diese Maßnahmen auch nach Abschluss der Zeugenvernehmung fortzuführen sind.
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Dies wird insbesondere bei Zeugen in Zeugenschutzprogrammen der Fall sein. Das Einverständnis des Zeugen vorausgesetzt, kann dieser durch ein Zeugenschutzprogramm nach § 1 Abs. 1 ZSHG geschützt werden, wenn er aufgrund seiner Aussagebereitschaft einer Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermögenswerte ausgesetzt ist. Über die Aufnahme in ein solches Programm entscheiden gem. § 2 Abs. 2 S. 1 ZSHG sog. „Zeugenschutzdienststellen“, die beim BKA und in den Bundesländern eingerichtet sind.[21] Die Folgen können bis zu einem vollumfänglichen Wechsel der Identität des Zeugen reichen.[22]
Fragen abzuwehren, die eine Bloßstellung des Zeugen zur Folge haben können, ist eine Aufgabe für den Zeugenbeistand, die sich erst während der Vernehmung stellt. Die Frage nach der Gefährdung des Zeugen wird dagegen schon vorab mit der vernehmenden Stelle zu erörtern sein. Dabei sollte der Rechtsanwalt die Umstände, aus denen sich Anhaltspunkte für die Gefährdung des Zeugen ergeben, rechtzeitig mitteilen, um so eine Kontroverse über diese Frage im Rahmen der Hauptverhandlung zu vermeiden. Eine solche Auseinandersetzung könnte nämlich zur tatsächlichen Offenlegung der Identität des Zeugen führen und auf diese Weise seinen beabsichtigten Schutz gerade zunichtemachen.
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand › IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen › 4. Ausschluss der Öffentlichkeit
4. Ausschluss der Öffentlichkeit
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Zum Schutz des persönlichen Lebensbereichs des Zeugen kann entgegen dem Öffentlichkeitsgrundsatz aus § 169 S. 1 GVG gem. § 171b GVG die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass wegen der gesteigerten Wertlegung auf die Persönlichkeitserforschung Umstände aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich, teilweise auch aus dem Intimbereich, zu erörtern sind.[23] Die Öffentlichkeit kann dann ausgeschlossen werden, wenn und soweit Umstände aus diesem höchstpersönlichen Lebensbereich des Zeugen zur Sprache kommen, zu denen etwa private Eigenschaften und Neigungen des Betroffenen, sein Gesundheitszustand, sein Sexualleben oder seine politische und religiöse Einstellung gehören. Insgesamt handelt es sich um Tatsachen, nach denen üblicherweise im Sozialleben nicht gefragt wird und die der Zeuge in der Regel nicht spontan und unbefangen mitteilt.[24] Sofern die Voraussetzungen des § 171b Abs. 1 GVG vorliegen, kann der Ausschluss erfolgen, bei der Vernehmung Minderjähriger in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen das Leben soll er gem. § 171b Abs. 2 GVG erfolgen. Ein entsprechender Antrag ist nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG zu stellen. Verneint das Gericht die Voraussetzungen, lehnt es den Antrag durch Beschluss ab. Neu in das Gesetz eingeführt wurde der § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG, wonach auf den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Zeugenvernehmung in den meisten Fällen auch ein Ausschluss bei den Schlussanträgen folgt.[25]
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Nach § 172 Nr. 1a GVG kann das Gericht nach seinem Ermessen die Öffentlichkeit auch dann ausschließen, wenn bei wahrheitsgemäßer Aussage in öffentlicher Verhandlung eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist. Dem Schutz von kindlichen und jugendlichen Zeugen dient auch die Ausschlussmöglichkeit nach § 172 Nr. 4 GVG. In der Regel werden die Gerichte die Möglichkeiten des Ausschlusses der Öffentlichkeit tendenziell eher restriktiv handhaben, um einen möglichen Revisionsgrund zu vermeiden.
Dem anwaltlichen Beistand kommt im Zusammenhang mit dem Recht des Zeugen auf Ausschluss der Öffentlichkeit die Aufgabe zu, die Umstände, aus denen sich Anhaltspunkte für die Verletzung schutzwürdiger Interessen des Zeugen ergeben, so rechtzeitig mitzuteilen, dass eine Kontroverse über diese Frage in der Hauptverhandlung vermieden werden kann. Auf vorgesehene entsprechend beabsichtigte Anträge sollten der Vorsitzende und nach Möglichkeit auch die übrigen Verfahrensbeteiligten rechtzeitig hingewiesen werden. So lässt sich in der Regel eine frühzeitige Überzeugungsbildung fördern und eine langwierige Verhandlung über den Ausschluss in der Hauptverhandlung verhindern. Dies ist gerade dort erstrebenswert, wo der angestrebte Schutz des Zeugen – etwa, sofern es um den Schutz vor Presseberichterstattungen geht – sonst nicht oder nur eingeschränkt erreicht werden kann. Zwar kann auch die Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit selbst in nichtöffentlicher Sitzung erfolgen, der Antrag auf Ausschluss muss aber in der Hauptverhandlung gestellt werden. Außerhalb der Hauptverhandlung gestellte Anträge sind lediglich Anregungen zur Prüfung der Frage, ob die Öffentlichkeit von Amts wegen ausgeschlossen werden soll.[26]
→ Muster 9, Rn. 531: Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand › IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen › 5. Entfernung des Angeklagten
5. Entfernung des Angeklagten
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Die Möglichkeit, den Angeklagten