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Sollte der anwaltliche Beistand verhindert sein, folgt nach Ansicht der Rechtsprechung daraus kein Recht für den Zeugen, dem Vernehmungstermin fernzubleiben.[13] Versäumt der Zeuge einen staatsanwaltlichen Vernehmungstermin, kann die Staatsanwaltschaft gem. § 161a Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 51 StPO, die gleichen Ordnungsmaßnahmen wie der Richter aussprechen, also die Kosten auferlegen sowie Ordnungsgeld verhängen, wenn der Zeuge in der Ladung auf die gesetzlichen Folgen des Fernbleibens hingewiesen worden ist. Gegen Maßregeln der Staatsanwaltschaft kann der Zeuge dann einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 161a Abs. 3 StPO stellen. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn sich der Zeuge nachträglich genügend entschuldigen kann, vgl. § 161a Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 51 Abs. 2 S. 2, S. 3 StPO.
→ Muster 6, Rn. 528: Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 161a Abs. 3 StPO
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Für die Verpflichtung des Vernehmenden, den Vernehmungstermin dem nach § 68b StPO beigeordneten Zeugenbeistand mitzuteilen, sprechen indes noch gewichtigere Gründe als beim gewählten Zeugenbeistand. Wenn das Gericht es schon für erforderlich hält, dass dem Zeugen für die Dauer seiner Vernehmung ein Beistand zur Seite zu stehen hat, dann muss das Gericht auch dafür sorgen, dass diesem die Beistandsleistung möglich ist. Eine Zeugenvernehmung in Abwesenheit des anwaltlichen Beistands kann dann grundsätzlich auch nicht gerechtfertigt sein. In der Regel muss deshalb bei Verhinderung des Zeugenbeistands der Termin verlegt werden. Ist dies etwa bei längeren und umfangreichen Hauptverhandlungen nicht möglich, so muss das Gericht zumindest einen anderen Beistand bestellen.[14] Dies hat erst Recht dann zu gelten, wenn dem Zeugen nicht gestattet wird, der Vernehmung ohne seinen Beistand fernzubleiben.
→ Muster 7, Rn. 529: Zeugenbeistand – Antrag auf Beiordnung
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand › III. Rechte des anwaltlichen Zeugenbeistands › 3. Akteneinsichtsrecht
3. Akteneinsichtsrecht
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Ob dem Zeugenbeistand ein Akteneinsichtsrecht zusteht, ist eine noch immer ungeklärte und umstrittene Frage.[15] Diesbezüglich existiert nach wie vor keine gesetzliche Regelung, wie dies zwischenzeitlich beim Verletztenbeistand nach § 406e StPO der Fall ist. Der Zeugenbeistand nach § 68b StPO hat nach wohl überwiegender Meinung kein Recht zur Akteneinsicht, das über jenes aus § 475 StPO hinausgeht.[16] Begründet wird dies damit, dass er nicht mehr Rechte haben soll als der Zeuge selbst.[17] Voraussetzung ist jedenfalls stets die Geltendmachung eines berechtigten Interesses. Dieses besteht richtigerweise darin, dass der Zeugenbeistand die Interessen des Zeugen kaum sachgerecht wahrnehmen kann, wenn er allein auf die Angaben eines Zeugen angewiesen ist, der selbst nicht in der Lage ist, seine Rechte eigenständig wahrzunehmen.[18] Gerade in den Fällen, in denen es um das Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrecht geht, ist die Gewährung von Akteneinsicht aus anwaltlicher Sicht jedoch zwingend erforderlich, um den Mandanten sachgerecht beraten zu können. Nur nach genauer Kenntnis des Verfahrensgegenstands können Fragen nach dem Umfang von Auskunftsverweigerungsrechten beantwortet werden. Die Akteneinsicht ist vielfach zwingende Voraussetzung für einen wirksamen und effektiven Schutz des Zeugen.[19] Der Zeugenbeistand sollte wenigstens insoweit Akteneinsicht erhalten, als dies für die Wahrnehmung der Zeugenrechte erforderlich ist. Das Akteneinsichtsrecht kann sich demnach auch auf Teile der Akten beschränken, die insbesondere den Tatvorwurf, etwa der polizeiliche Abschlussbericht oder die Anklageschrift und den Zeugen betreffen, etwa Protokolle früherer Vernehmungen des Zeugen oder Niederschriften über Aussagen mit Bezug zum Zeugen.[20] Die Entscheidungen des Vorsitzenden hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts sind nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
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Hinweis
Auf jeden Fall sollte der Zeugenbeistand Akteneinsicht beantragen, auch wenn die Erzwingung nicht möglich ist. Hilfsweise kann für den Fall der Verweigerung einer vollumfänglichen Akteneinsicht die Überlassung einer Kopie der Anklageschrift sowie anderer Teile der Akten beantragt werden, bei denen nach der Darstellung des Mandanten zu vermuten ist, dass sie für die Beratung des Zeugen gebraucht werden.[21]
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand › III. Rechte des anwaltlichen Zeugenbeistands › 4. Anwaltliche Vorbereitung der Zeugenvernehmung
4. Anwaltliche Vorbereitung der Zeugenvernehmung
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Der anwaltliche Zeugenbeistand muss häufig bereits vor der Hauptverhandlung tätig werden, damit eine sachgerechte Betreuung des Zeugen im Vernehmungstermin erfolgen kann. Insofern besteht in der Vorgehensweise kein Unterschied zur klassischen Strafverteidigung. Der Zeugenbeistand hat nach Übernahme des Mandats zunächst die Aufgabe, sich möglichst schnell mit dem Verfahrensgegenstand vertraut zu machen, den Mandanten zu befragen und sodann zu beraten. Dadurch können mögliche Risiken und Umstände, die zu Konflikten mit den anderen Verfahrensbeteiligten führen können, frühzeitig erkannt werden. Häufig ist auch eine weitergehende Informationsbeschaffung erforderlich, die in bestimmten Fällen in der Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger des Angeklagten bestehen kann.
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Im Hinblick auf die notwendige Befragung des Zeugen zur Vorbereitung der Vernehmung ist mitunter von zentraler Bedeutung, dass dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht über den Inhalt des Beratungsgesprächs zustehen muss. Relevant wird dies insbesondere dann, wenn es in der Hauptverhandlung zu einer Auseinandersetzung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten über ein mögliches Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht oder gar den Inhalt der Zeugenaussage kommt. Dem Rechtsanwalt steht jedenfalls ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu. Hingegen müsste der Zeuge aussagen. Ein wirksamer Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Rechtsanwalt wird in der besonderen Mandatssituation des Zeugenbeistandes aber nur dann gewährleistet, wenn der Zeuge über den Inhalt des Beratungsgespräches die Aussage verweigern kann. Die verfassungskonforme Auslegung der Art. 1, 2 GG in Verbindung mit der verfassungsrechtlichen Herleitung der Funktion des Zeugenbeistands sowie der Umstand, dass kein Zeuge gezwungen sein kann, seinen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung auszubreiten, hat die Ablehnung einer erzwingbaren Durchsichtigkeit der Mandatsbeziehung zur Folge.[22] Im Ergebnis erscheint dies auch deshalb unproblematisch, weil eine Verkürzung der Sachaufklärungsmöglichkeit gegenüber dem Fall der Vernehmung eines Zeugen ohne Beistand nicht erfolgt. Es wird lediglich der durch die Inanspruchnahme eines Anwalts zusätzlich entstehende Sachverhalt der Offenbarungspflicht entzogen.[23]
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Prinzipiell ist der Rechtsanwalt nicht gehindert, mehrere Zeugen zu vertreten.[24] Eine Doppelvertretung scheidet jedoch aus, wenn die gesteigerte Gefahr von Interessengegensätzen besteht. Aus § 45 Nr. 2 BRAO, § 356 StGB i.V.m. § 3 Abs. 1 BerufsO ergibt sich, dass ein Rechtsanwalt als Zeugenbeistand nicht für Mandanten mit widerstreitenden Interessen tätig werden