Drúdir. Swantje Niemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Swantje Niemann
Издательство: Автор
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783944180847
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hob eine Augenbraue. „Und dann hört Ihr auf?“

      Die Dryade schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein. Ich dachte nur, es entspannt dich vielleicht.“

      Kyrai seufzte. „Schon eine Idee, was genau die neuen Zeichen bewirken werden?“

      Erneut ein von einem beunruhigenden Lächeln begleitetes Kopfschütteln. „Lassen wir uns überraschen“, sagte sie mit ihrer kratzigen, zischenden Stimme.

      Und schlug Kyrai ihre nadelspitzen Zähne in den Hals.

      Welche fremdartige Droge auch immer in der Feuerschale verbrannte – sie war viel zu gering dosiert. Das Brennen war intensiv genug, um Kyrai ein schrilles Kreischen zu entlocken … das ihr jedoch sogleich in der Kehle stecken blieb. Das lähmende Gift der Nymphe tat seine Wirkung und alle ihre Muskeln erschlafften. Ihre Augäpfel brannten, aber sie war unfähig, die Augen zu schließen.

      Sie sah den Kopf der Dryade als verschwommenen Fleck am Rand ihres Sichtfelds, wie sie ihn hin und her schüttelte, um die Wunde zu vergrößern und gierig daraus zu trinken.

      Der nächste Biss war nicht weniger schmerzhaft.

      Kyrai hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, als der Dryade auffiel, dass sie noch immer mit offenen Augen ins Leere starrte. Zwei hellgrüne Fingerspitzen füllten ihr gesamtes Sichtfeld aus, bevor das Wesen ihre Augenlider herabdrückte wie bei einer Toten.

      Dann erst spürte sie zum ersten Mal die tintengetränkten Dornen unter ihrer Haut. Hinter ihren geschlossenen Lidern explodierte ein Netzwerk glühender Linien, beinahe zu hell um erträglich zu sein. Die Byrianel-Bäume waren Säulen aus gleißendem Licht, die Dryade eine weißglühende Gestalt, deren Aurafäden sich immer wieder in spiralförmige Dornen und Haken verwandelten, die unter Kyrais Haut versanken, Magiefäden aus ihrer Aura rissen und zu komplexen Knoten verschlangen. Sie spürte, wie sie sich veränderte, für einen Moment selbst zu einem magischen Fokus wurde. Ihre chaotischen Kräfte, die sie zu fürchten gelernt hatte, wurden gebündelt. Sie fühlten sich stärker an als je zuvor, doch zugleich wie von ihr abgeschnitten.

      Dann wieder nahm die Elfe jäh die Geräusche und Gerüche der physischen Welt war, das Blut, das warm und klebrig über ihre klamme Haut rann und sich mit einer anderen, kälteren Flüssigkeit vermengte. Hatte es zu regnen begonnen? Ja, da waren das Pladdern von Tropfen auf der Seeoberfläche und ferner Donner.

      Dann wieder überlagerten ihre magischen Sinne alles andere. Ihr wurde schlecht.

      Kyrais letzter Gedanke, bevor ihr Bewusstsein in Dunkelheit versank, war die Frage, wie sie nur freiwillig hatte hierherkommen können.

      Als Kyrai erwachte, war sie panisch und desorientiert. Sie zitterte am ganzen Körper, obwohl die Dryade sie mit ihrem schweren Mantel zugedeckt hatte. Erst allmählich kehrte das Wissen zurück, wer und wo sie war. Verwirrt blinzelte sie zu dem dämmergrauen Himmel hinauf. Es konnte doch nicht so spät sein, oder?

      „Das war unerwartet“, sagte eine raschelnde Stimme neben ihr. Kyrai verkrampfte sich. Die plötzliche Anspannung ließ die dumpfen Schmerzen in ihrem ganzen Körper explodieren.

      „Was?“, krächzte sie und hievte ihren Kopf zu der Dryade herum, die sie mit distanziertem Interesse musterte. Vor jedem anderen Geschöpf hätte Kyrai sich ihrer Hilflosigkeit geschämt, aber dieses Wesen war so fremd, dass es ihr nichts ausmachte.

      „Sieh selbst.“

      Schwungvoll zog sie den Mantel beiseite. Kyrai blickte an ihrem Körper herab. Kühn und dunkel hoben sich die verschlungenen Glyphen von ihrer Haut ab. Als sie sie in der magischen Sicht betrachtete, weiteten sich ihre Augen. Sie hatte sich etwas Machtvolles gewünscht. Etwas, das sie verwandelte. Wie es schien, hatte sich ihr Wunsch erfüllt.

      Sie blickte zu der Dryade auf. Dunkle Adern waren unter ihrer hellgrünen Haut erschienen und das Grün ihrer Augen war dumpfer geworden. Sie mochte sich von Kyrais Blut und Stärke genährt haben, aber die Magie, die in die Tätowierungen geflossen war, hatte auch von ihr einen hohen Preis gefordert.

      „Vadrýa“, sagte die Nymphe unvermittelt.

      „Wie bitte?“

      „Vadrýa. Das ist mein Name. Ich dachte, du solltest ihn kennen.“

       Kapitel 9

       Drúdir

      Drúdir hatte gedacht, die Blicke, die Fragars Freunde und Verwandte ihm bei der Beerdigung zugeworfen hatten, wären unangenehm gewesen, aber sie waren kein Vergleich zu dem, was ihn bei der Testamentseröffnung erwartete.

      Allein schon der Weg dorthin erwies sich als anstrengend. In den Straßen Nordkrones herrschte hektische Aktivität, die die Unruhe im Inneren der Stadt wiederspiegelte. Zwerge in den wuchtigen Stiefeln und dunkelgrauen Hemden von Arbeitern verteilten Flugblätter oder diskutierten hitzig miteinander. Hier und da sah Drúdir die silbergrauen Armbinden der „Hammerschwinger“, einer radikalen Splittergruppe der GUU – der „Partei für gerechte Umverteilung unionweit“ -, die ihren Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit gerne physischen Ausdruck verliehen; vorzugsweise gegenüber Zwergen, von denen sie keine ernsthafte Gegenwehr zu erwarten hatten.

      Doch noch zahlreicher waren die orangefarbenen Bänder oder altzwergisch inspirierten Kleider der „Expansionisten“, des rechten Flügels der ZSK – „Zwergische Stärke für Kiarva“. In der Regel eher dem Mittelstand oder sogar den oberen Schichten zugehörig, plädierten diese Zwerge entschlossen für eine aggressive Ausweitung des Machtbereichs der Union und einen Ausbau ihrer wirtschaftlichen Stärke um jeden Preis. Einer ihrer Lieblingssprüche war „die großen Völker sind der Feind“, aber wenn ein kopfschüttelnder Drúdir sie nun mit den Hammerschwingern aneinandergeraten sah, war davon wenig zu merken.

      Vielleicht lag es an seiner magischen Begabung, vielleicht an seinem Charakter. Jedenfalls betrachtete Drúdir seine Landsleute meist mit den Augen eines Außenstehenden und hatte sich nie so recht mit irgendeiner der zahlreichen Parteien identifizieren können, die sich in den Länderparlamenten zankten oder sich im Unionsparlament einredeten, tatsächliche Macht in den Händen zu halten. Aus einem vagen Gefühl der Verantwortung heraus und weil es kein wirklicher Aufwand war, gab er bei jeder Wahl seine Stimme für die Partei ab, die er gegenwärtig für das geringste Übel hielt.

      Drúdir umrundete einen johlenden, stampfenden Ring aus breiten Rücken, in dessen Mitte offenbar zwei Zwerge ihre politischen Differenzen mit Fäusten und Kopfstößen austrugen. Er schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich würde es bei Anbruch der Dämmerung nicht mehr nur um Arm gegen Reich, Expansionisten gegen Reformatoren gehen, sondern auch um die typischen Auseinandersetzungen zwischen alteingesessenen Nordkronern und Einwanderern aus anderen Staaten. Die Union war nur dem Namen nach eine solche.

      Drúdir hatte ursprünglich geplant, sich nach der Testamentseröffnung in der nächstbesten Kneipe zu betrinken, aber angesichts dessen, was sich gerade zusammenbraute, beschloss er, sich mit ein paar Flaschen in das kleine Pensionszimmer zu verziehen, wo er gegenwärtig wohnte.

      Endlich erreichte er das halb im Boden versenkte Backsteingebäude. Wie der zylinderförmige Bau, der Krematorium und Trauersaal beherbergte, handelte es sich bei dem Notarsbüro um einen säkularisierten Tempel. Wenn man so wollte, war es nach wie vor ein Ort von spiritueller Bedeutung. Zwerge nahmen Erbschaften sehr ernst.

      Er glitt durch die schlichte, schwarze Tür und ließ sich von einer überkorrekt gekleideten Zwergin den Weg zu dem kleinen Raum weisen, in dem bereits einige von Fragars Freunden und Verwandten saßen. Wieder versetzte es ihm einen Stich, dass Zwerge, mit denen er einst vertraut gewesen war, ihn nun lediglich kühl musterten. Glaubten sie etwa wirklich, dass nur die Hoffnung auf ein reiches Erbe ihn zurückgebracht hatte?

      Drúdir zupfte seinen steifen, weißen Kragen zurecht und versuchte, sich sein Unbehagen nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Ein Blick auf seine Taschenuhr verriet ihm, dass er trotz des Aufruhrs auf den Straßen überpünktlich war. Er sah sich vergeblich nach