Gelegentlich mischte sich eine Stimme in das allgemeine Gemurmel, die so tief und dröhnend war, dass die schweren Bierkrüge auf den Tischen vibrierten. Drúdir wandte den Kopf und sah eine Art grotesk geformten Berg in der dämmrigsten Ecke der Gaststube sitzen: ein Troll. Im Laufe der Zeit hatte es einige der grauhäutigen Hünen in die nördlicheren Städte der Union verschlagen. Nun, zwei Jahrzehnte, nachdem die ersten von ihnen Arbeit in den Fabriken oder auf den riesigen Feldern der Großbauern gefunden hatten, begannen die Zwerge allmählich, sie zu akzeptieren – zumindest die Zwerge, die tagtäglich Seite an Seite mit ihnen schufteten. Diejenigen, für die Drúdir Uhren und filigrane mechanische Kunstwerke anfertigte, sahen selten einen Troll aus der Nähe und legten großen Wert darauf, dass es dabei blieb.
Drúdirs Blick kehrte zu Findra zurück. Sie hatte sich von seiner Seite gelöst und war zum Tresen geschlendert. Sie bewegte sich hier mit einer Selbstverständlichkeit, die in verblüffendem Gegensatz zu der steifen Eleganz ihrer Garderobe stand. Was durchaus Sinn ergab, wenn er bedachte, dass sie für die Nordkroner Polizei arbeitete. Von Töchtern reicher Industrieller oder Adliger wurde nur erwartet, einen angenehmen Anblick zu bieten, sich in jeder Gesellschaft elegant zu bewegen und eine angemessene Ehe einzugehen. Die Zwerge der Mittelschicht bemühten sich, dasselbe zu tun. Eine arbeitende Tochter oder Schwester galt als Eingeständnis finanzieller Probleme. Ausnahmen waren nur statusträchtige Betätigungen wie Wissenschaft oder traditionelle zwergische Kunst. Drúdir fand das lächerlich, aber immerhin waren die Zwerge in solchen Dingen immer noch etwas vernünftiger als die Menschen in den Ländern südlich der Union.
Mit zwei kleinen tönernen Bierkrügen in den Händen kehrte Findra zurück und führte ihn zu einem kleinen Tisch, der in der eisigen Zugluft zwischen der Tür und einem offenen Fenster stand und daher bisher leer geblieben war. Drúdir hatte kein Problem damit. Die Müdigkeit machte sich bei ihm bemerkbar und hinter seinen Augen pulsierte ein feiner, stechender Schmerz. Der belebende, kühle Luftzug, der ihm um die Schläfen strich, war ihm nur recht.
Für einige Sekunden, die sich ins Endlose zu dehnen schienen, saßen sie nur da und sahen einander misstrauisch über ihre Krüge hinweg an. Findra holte tief Luft. Drúdir war sicher, dass sie etwas sagen würde, aber stattdessen beugte sie sich zur Seite und kramte in ihrer geräumigen Umhängetasche. Als ihre kräftigen Hände – sechsfingrig, wie es gerade hier im Norden häufig vorkam – wieder zum Vorschein kamen, waren sie um etwas Metallenes gewölbt, als hielte sie einen verletzten Vogel. Behutsam und ohne Eile holte Findra eine fliegende Lampe nach der anderen aus ihrer Tasche und setzte sie auf den Tisch. Greifbarer Beweis ihrer Begegnung in der letzten Nacht, belastend und zugleich ein Friedensangebot.
„Beinahe traurig, dass sie durchgebrannt sind“, sagte sie.
„Ich kann die Glühbirnen austauschen“, entgegnete Drúdir vorsichtig und widerstand dem Drang, die Lampen in seinen Taschen verschwinden zu lassen. Noch immer war ihm beinahe übel vor Anspannung. Doch etwas an dem Respekt, mit dem Findra diese kleinen Maschinen behandelte, auf deren Konstruktion er so viel Zeit verwendet hatte und deren Verbindung zu ihm im magischen Spektrum als breiter Faden aufschimmerte, nahm ihm ein wenig von seiner Beunruhigung. Ein wenig, wohlgemerkt.
„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte sie. „Ich habe Sie in der Nacht … tun sehen, was Sie getan haben, und bin wohl ein wenig in Panik geraten. Ich wusste nicht, wie Sie auf meine Anwesenheit reagieren würden, und bin auf Nummer sicher gegangen. Selbstverständlich hätte ich nur im äußersten Notfall geschossen.“
Natürlich konnte sie es sich leisten, sich großmütig zu entschuldigen, dachte Drúdir grimmig. Sie war es nicht, die am Schauplatz eines Mordes bei einem obskuren magischen Ritual ertappt worden war. Er wusste noch nicht einmal, was für einen schaurigen Anblick er geboten haben mochte, während sich die Magie in Schattenranken um ihn herum manifestierte und Eiskristalle seinen Mantel überzogen. Und hatte er nicht aus dem Augenwinkel zwei geisterhaft bläulich-weiße Punkte gesehen? Waren das etwa seine Augen im Spiegel gewesen? Götter, er konnte froh sein, dass sie nicht sofort geschossen hatte! Angesichts des angsterfüllten Aberglaubens, der Magie im Allgemeinen und jeden Zauber, der mit den Toten zu tun hatte im Besonderen umgab, musste sie eine sehr mutige Frau sein, um sich auf diese Konfrontation mit einem vermeintlich mächtigen Magier einzulassen.
„Ich hätte vermutlich ganz ähnlich reagiert“, gestand er ein, jedoch ohne die abweisende Maske fallen zu lassen, zu der sein Gesicht geworden war. Sie hatte vielleicht seinen Respekt verdient, aber bis auf Weiteres weder Vertrauen noch übermäßige Freundlichkeit. „Wollen Sie mir vielleicht sagen, warum wir hier sind?“, fragte er.
Findra seufzte. „Glauben Sie es oder nicht, aber ich bin wirklich interessiert daran, herauszufinden, warum Fragar sterben musste. Und wenn Sie getan haben, was ich glaube, dass Sie getan haben, geht es Ihnen ganz ähnlich.“
Drúdir beschloss, sie auf die Probe zu stellen. „Was glauben sie denn, was ich getan habe?“
Findra biss sich auf die volle Unterlippe. „Äh … Nekromantie?“ Wahrscheinlich kam sie sich gleichzeitig kühn und lächerlich dabei vor, es auszusprechen.
Drúdir widerstand mühevoll dem Drang, den Kopf auf die zerkratzte Tischplatte zu hämmern. Er hasste dieses Wort. Es weckte vollkommen falsche Vorstellungen … oder gar keine, wenn er in Bezug auf Findra richtig vermutete. Höchstwahrscheinlich ahnte sie, dass sein Zauber etwas mit dem Zwerg zu tun hatte, der an jener Stelle gestorben war und konnte dies mit einem in einem Groschenroman oder schlechten Historiendrama aufgeschnappten Wort in Verbindung bringen. Doch da würden ihre Kenntnisse schon enden.
„Der Begriff bereitet Ihnen Unbehagen“, bemerkte sie.
Drúdir seufzte. „Wenn Sie ‚Nekromant‘ hören, denken Sie wahrscheinlich an einen Verrückten in schwarzer Kutte, der auf Friedhöfen herumschleicht und leise vor sich hin kichert, während er perverse Experimente oder die Ergreifung der Weltherrschaft plant.“
„Und das trifft nicht zu?“ Natürlich wollte sie ihn mit diesen Worten provozieren. Und natürlich schaffte sie es.
„Wenn Sie das glauben, was die Autoren dieser Groschenheftchen Ihnen weismachen wollen, staune ich, dass man Ihnen einen Mordfall übertragen hat“, fauchte er.
Sie hob eine Augenbraue. „Wie sieht die Realität denn aus?“
Wieder stürzten die Erinnerungen an Fragars Tod auf ihn ein. Und die an die Tode seiner Eltern. Und die an den des unbekannten Unfallopfers, dessen Erinnerungen er versehentlich in sich aufgenommen hatte. Und die an die überfahrene Katze. Und natürlich an all die wunderschönen, gefährlichen Ornamente aus Schmerz und Tod, die wie scharfzackige Sterne in der Magie um ihn herum schwebten. Fragar und seine Freunde hatten in ihrer mit unbeholfenem Mitgefühl kaschierten Begeisterung nie begriffen, was Drúdirs Gabe wirklich bedeutete.
„Unangenehm“, sagte er knapp.
Dann brach es aus ihm heraus: „Sie fragen sich, warum ich über das MEMENTO MORI gelacht habe? Weil ich nun wirklich der Letzte bin, der diese Erinnerung braucht. Ich sehe den Tod überall, vor allem, wenn er überraschend und qualvoll kommt. Ich habe Fragars Tod erlebt, als wäre er mein eigener! Falls Sie geschichtlich bewandert sind, kennen Sie vielleicht die eine oder andere Geschichte über die Macht der Nekromanten von einst. Glauben sie sie nicht! Welche Macht auch immer in den Fragmenten ermordeter Seelen liegt: Wer bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, ist nicht bei klarem Verstand!“
„Oh …“ Sein Ausbruch ließ sie verblüfft und verlegen zurück, was ihm eine gewisse Befriedigung verschaffte. Natürlich nicht genug, um seine Scham zu überdecken, oder auch nur das Erstaunen über sich selbst. Der nächste Moment der Überraschung folgte auf dem