Drúdir. Swantje Niemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Swantje Niemann
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783944180847
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Lesepult ablegte. Dann öffnete er seine Manschettenknöpfe und schob die Ärmel seines Hemdes bis weit hinter die Ellenbogen zurück. Seine Unterarme waren nahezu haarlos und blass wie die Haut der unterirdischen Zwerge von einst. Umso deutlicher traten die geschwungenen Ornamente und winzigen Runen hervor, die man ihm mit dunkler Tinte unter die Haut gestochen hatte.

      „Du warst … bist ein Praktizierender des Tempels?“

      Wisdrin nickte. „Warst. Ich habe immer nur gerade genug Magie beherrscht, um stets das richtige Buch zu finden und das eine oder andere Experiment durchzuführen. Als Alchemist oder Beschwörer hätte ich vielleicht größere Macht erlangen können, aber ich hatte andere Prioritäten.“ Seine Stimme war sachlich und sein Gesicht spiegelte nichts als freundlichen Gleichmut – der in krassem Gegensatz zu seinem durchdringenden Blick stand. „Allerdings sind meine Fähigkeiten nach wie vor ausreichend, um zu erkennen, wenn jemand jüngst Magie gewirkt hat. Du bist ein magisches Leuchtfeuer, Drúdir – noch mehr als sonst. Und ich glaube auch zu wissen, warum du deine Vorbehalte vorübergehend ignoriert hast.“

      Drúdir nickte ruckartig. Er mied Wisdrins Blick. „Du vermutest ganz richtig, schätze ich. Und deshalb bin ich hier.“

      Statt sofort auf seine Antwort einzugehen, brachte Wisdrin seine Kleidung mit derselben Sorgfalt in Ordnung, mit der er sich ihrer entledigt hatte. „Ich glaube, der Tee ist fertig. Begleitest du mich ins Foyer?“

      Stumm folgte Drúdir ihm. Wisdrin wies auf einen der beiden Stühle, die an einem kleinen, runden Tisch am Fuß der Treppe standen und verschwand kurz hinter einem der verblichenen Vorhänge, um dann mit einem Tablett zurückzukehren. Er goss ihnen mit der zurückhaltenden Eleganz eines elfischen Teemeisters grünen Tee ein, dessen Duft und kräftiger Smaragdton Drúdir beinahe ein müdes Lächeln entlockten. Für einen Mann, der in einem Schrank lebte, hatte Wisdrin einen kostspieligen Geschmack.

      Schließlich setzte der Bibliothekar seine Tasse ab. Er schien nach einem behutsamen, eleganten Einstieg gesucht zu haben und kläglich gescheitert zu sein. „Also, was hast du gesehen, Drúdir?“

      Wisdrins Direktheit ließ ihn zusammenzucken. Er antwortete so sachlich, wie er konnte: „Fragars letzte Minuten.“

      Wisdrin lehnte sich nicht vor, aber ein harter, kalter Ausdruck trat in seine Augen und etwas Gebieterisches in seine Stimme. „Hast du seinen Mörder gesehen?“

      „Er stand hinter Fragar. Alles, was ich habe, ist der Anblick seiner Schuhe, der Klang seiner Stimme und ein Name.“ Drúdir senkte die Stimme, als wären sie Darsteller in einem Zwei-Kupfrir-Drama. Das half ihm, die Bilder auf Distanz zu halten. „Kargan“, raunte er nach einer Kunstpause.

      Unglauben flackerte in Wisdrins Miene auf, gefolgt von Misstrauen und Wut. „War er es?“

      „Zumindest ist der Mörder losgeschickt worden, weil jemand glaubt, Kargan könnte Fragar etwas über ein Projekt verraten haben, an dem er gearbeitet hat. Fragar hatte keine Ahnung, was genau es war, aber Kargans Fragen und Andeutungen haben gereicht, um ihn misstrauisch werden zu lassen.“

      Drúdir schwieg. In seinem Inneren klangen die Empfindungen nach, die Kargans Name in Fragar ausgelöst hatte. Besorgnis, Bedauern … und Enttäuschung.

      Wisdrin schüttelte leicht den Kopf. Es war bemerkenswert, wie viel Verachtung er in eine Geste legen konnte, die kaum mehr als eine Andeutung war. „Ja, das klingt ganz nach Kargan.“

      Drúdir wartete auf eine Erläuterung. Sie kam nicht. Schlafmangel und emotionale Erschöpfung erlangten mühelos den Sieg über Wisdrins mäßigenden Einfluss. „Wer beim Abgrund ist Kargan?“, verlangte er schließlich zu wissen und weigerte sich, angesichts des Widerhalls seiner Stimme Verlegenheit zu empfinden.

      Wisdrins Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Ich dachte, das wüsstest du. Kargan war so etwas wie dein Vorgänger als Fragars Lehrling.“

      „Augenblick. Das Gesicht, das Fragar vor Augen hatte, gehörte einem Menschen.“

      „Ich bezweifle, dass dies Fragar entgangen ist. Kargan hat bei ihm auch keineswegs gelernt, Uhrwerke zusammenzubauen.“

      „Du klingst missbilligend.“

      „Ich war Kargan nicht gerade zugetan. Ich habe unter den Praktizierenden des Tempels zu viele Leute getroffen, denen er in seiner Einstellung allzu ähnlich war.“

      „Leute, wie die, denen wir die Magierkriege und das Magieverbot verdanken?“

      Wisdrins Lächeln war bitter und ein wenig boshaft. „Nein, Drúdir. Die verdanken wir eher Leuten wie dir.“

      Weder die Enthüllungen über Fragars Tod noch Drúdirs bohrender Blick brachten den ehemaligen Priester aus der Ruhe. Genüsslich lehnte Wisdrin sich zurück und ließ seine Worte wirken. Erst, als die Stille beinahe unerträglich wurde, schenkte er ihnen Tee nach und begann mit der unterdrückten Freude eines Mannes, der viel zu selten Gelegenheit erhielt, sein Wissen zu teilen, zu erzählen: „Du hattest immer gewisse Vorbehalte, dich mit deiner Begabung auseinanderzusetzen und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du es vorgezogen hättest, wenn jeder andere sie ebenso ignoriert hätte. Unnötig zu sagen, dass mir nichts fernerlag.“ Ein kaum merkliches, selbstironisches Lächeln spielte um seine Lippen. „Ich habe also ein paar Recherchen angestellt – mit interessanten Ergebnissen. Deine Begabung, Drúdir, ist unglaublich selten. Und sie hat eine Eleganz, die ich bewundern muss.“

      In seiner Erinnerung fand sich Drúdir auf dem Boden einer dunklen Werkstatt wieder, die Hände um seine Kehle gekrampft und vergeblich nach Luft schnappend, während ihm Fragars warmes Blut über die Finger rann. Eleganz, gewiss doch.

      Wisdrin war ein Meister darin, Andeutungen und subtilste Zeichen zu lesen … in literarischen Werken. So fuhr er fort, ohne Drúdirs Gesichtsausdruck weiter Beachtung zu schenken. „Aber so selten sie auch sind, sind doch einige Fälle von anderen Halirúnir – Menschen würden sie als Nekro…“

      Drúdirs Blick brachte Wisdrin zum Verstummen. Der ältere Zwerg seufzte. „Herrje, Drúdir. Ich habe mir die Terminologie nicht ausgedacht. Jedenfalls gab es einige Magier mit deiner Begabung. Diejenigen, die unfähig waren, sie zu kontrollieren, können wir getrost außer Acht lassen, aber die, die wahre Meisterschaft darin erlangten … das ist eine andere Geschichte. Sie tendierten dazu, außergewöhnliche Leben zu leben. Aber danach fragst du besser jemand anderen. Ich habe immer eher die Natur der Magie erforscht, als die Geschichte ihrer Anwendung.“

      Es war leicht zu durchschauen, was Wisdrin beabsichtigte. Und es funktionierte. Er hatte Drúdir am Haken. „Wen?“

      „Rúnwis Jalrisson. Du wirst ihn sowieso bald aufsuchen.“

      „Wieso das?“

      „Weil Kargan das vor gerade einmal vier Monaten getan hat. Oh, und Drúdir?“

      „Ja?“

      Wisdrin beugte sich vor. Blanker Hass brannte in seinen hellen Augen und seine Stimme klang eine Oktave tiefer. „Lass nichts unversucht, um Fragars Mörder zu finden.“

       Kapitel 3

       Badyn

      Das Luftschiff Eule glitt mit der Lautlosigkeit seiner Namensvetterin über die Wälder hinweg. Nur einmal, als die Morgendämmerung einsetzte, drehten sich mit einem leisen Knistern die unzähligen kleinen Schuppen, die die beiden Kabinen und den Ballon bedeckten, in ihren filigranen Fassungen. Statt des matten Dunkelgraus, das das Luftschiff bei Nacht tarnen sollte, präsentierte es nun eine diffus blaugraue Oberfläche.

      Badyn, die mit ihren Mitverschwörern in der hinteren Kabine saß, sah nichts davon, aber sie wusste um die Effizienz, mit der der komplizierte Mechanismus seine Arbeit verrichtete und empfand eine tiefe Befriedigung. Es gab niemanden, der den Zwergen das Wasser reichen konnte, wenn es um Technik ging. Noch.

      Noch sonnten sie sich in ihrer Überlegenheit, aber so gerne die Zwerge es sich auch einredeten, waren die