TIONCALAI. Esther-Maria Herenz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Esther-Maria Herenz
Издательство: Автор
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783939043614
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aber mit solchen Magiespeichern hier“, er deutete auf den Stein, „sind die schlimmsten Gefahren gebannt.“

      Neolyt sah ihn erwartungsvoll an, gespannt darauf, wie es weiterging.

      „Du musst den Stein berühren und dir das, was du tun willst, vorstellen. Das erfordert eine Menge Konzentration, aber keine Sorge, wir fangen ganz leicht an.“ Er legte eine kleine, weiße Feder neben den Stein auf den Tisch. „Lass die Feder schweben und ruf mich, wenn du es geschafft hast. Ich bin nebenan bei Yewan, aber ich werde dich hören und dann sehen wir weiter.“ Gerade, als er den Raum verlassen wollte, schien ihm noch etwas einzufallen. „Und hier sind noch mehr Federn, falls … etwas schiefgehen sollte.“ Er deutete auf eine Kiste, die neben der Stelle stand, an der eben noch der Schrank gewesen war. Dann hatte sich die Tür auch schon hinter ihm geschlossen.

      Neolyt atmete tief durch, doch ihr wild klopfendes Herz ließ sich dadurch nicht beruhigen. Zögernd trat sie näher an den Tisch heran. War es wirklich so einfach? Würde sie tatsächlich gleich Magie benutzen? Das war so aufregend!

      Sie hielt den Atem an und legte die Hand auf den gefleckten Stein. Es kribbelte leicht, aber das war wohl die Aufregung. Dann richtete sie den Blick auf die Feder und dachte mit aller Kraft: Flieg!

      Aber es tat sich nichts.

      Flieg!, dachte sie noch einmal, doch die Feder machte keinerlei Anstalten, sich in die Luft zu heben. Enttäuscht suchte Neolyt nach anderen Worten, die die Feder vielleicht dazu bringen würden, sich ihrem Willen zu beugen. Doch auch auf Schweb, Steig auf, Erhebe dich und Beim dreisten Käsemond, jetzt heb endlich deinen Kiel in die Luft! reagierte sie nicht. Trotzig schob sie das Kinn vor. Beim letzten Mal war es ihr ganz leichtgefallen zu zaubern, sogar ohne so einen Stein. Was hatte sie jetzt also falsch gemacht? Konzentrierte sie sich nicht genug?

      Neolyt richtete ihren Blick starr auf die Feder und konzentrierte sich so lange auf den kleinen weißen Tauge­nichts, bis er urplötzlich in Flammen aufging.

      Zuerst erschrocken, lächelte sie doch bald ungläubig. Sie hatte gezaubert! Sie hatte tatsächlich Magie gebraucht! Es war zwar nicht ganz das gewesen, was sie hatte erreichen wollen, aber doch Zauberei. Sie nahm sich eine neue Feder und beugte sich konzentriert über den Tisch. Deor hatte gesagt, sie solle sich vorstellen, wie die Feder flog, das konnte so schwer nicht sein. Mit aller Kraft stellte sie sich vor, die Feder würde sich endlich von dem steinernen Tisch erheben. Doch anstatt ihrem Wunsch Folge zu leisten, nahm sie eine knallgrüne Färbung an. Neolyt runzelte die Stirn, ließ sich dadurch jedoch nicht aus der Fassung bringen. Abermals konzentrierte sie sich und die Feder zerfiel zu Staub.

      Die nächsten drei Federn explodierten nach wenigen Minuten in gelben, blauen und violetten Flammen, die vierte floss als spärliches Rinnsal davon, die fünfte schrumpfte erst auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Größe, um dann wie ein Insekt davonzukrabbeln, und die sechste verwandelte sich mit einem leisen Puff und ein wenig grünem Qualm in eine Primel. Doch Neolyt war begeistert. Zu was sie alles fähig war! Dass die Federn nicht im Traum daran dachten zu fliegen, störte sie nicht.

      Doch irgendwann wurde sie der brennenden, bunten und vergrößerten oder verkleinerten Federn müde. Irgendetwas musste sie falsch machen. Vielleicht bestand ein Unterschied zwischen dem Versuch, eine Feder zum Fliegen bringen zu wollen, und sie fliegen zu lassen. Sie nahm den Stein fest in die Hand und stellte sich vor, die Feder hochzuheben. Ohne Mucken erhob sie sich einige Handbreit vom Tisch und blieb dort schweben. Neolyt hob die Hand und berührte sie vorsichtig, woraufhin sie wieder hinabfiel.

      „Deor“, rief sie und kurze Zeit später öffnete sich die Tür und ihr Mentor trat ein.

      „Hoppla“, sagte er, als er beinahe auf ein Federtier trat. „Interessant, was du alles anstellst, wenn du eine Feder fliegen lassen sollst.“

      „Nicht wahr?“ Neolyt strahlte.

      „Und hast du auch geschafft, was du machen solltest?“

      „Natürlich.“ Neolyt nahm den Stein fest in die Hand und die Feder erhob sich wieder in die Luft.

      „Sehr schön.“ Er sah auf ein merkwürdiges Gerät an seinem Handgelenk und notierte dann etwas auf einem Blatt Pergament. „Kaum eine Stunde. So schnell wird die fliegende Feder selten gemeistert. Dann wollen wir mal.“

      Abermals ging er zum Schrank hinüber und holte eine weitere Kiste heraus, die er zwischen sich und Neolyt auf den Tisch stellte. In der nächsten Stunde ließ Neolyt die verschiedensten Dinge durch den Raum schweben. Es gelang ihr meist auf Anhieb, die Gegenstände in die Luft zu befördern, und mit jedem Mal wuchsen ihr Stolz und ihre Begeisterung. Sie konnte zaubern! Sie konnte richtig, wahrhaftig zaubern! Und es fiel ihr absolut leicht.

      „Mich würde interessieren, wie du die Sachen fliegen lässt“, sagte Deor schließlich und pflückte einen Kerzenleuchter vor sich aus der Luft.

      „Mit dem Stein“, sagte sie und hielt den Magiespeicher hoch. Das war doch selbstverständlich.

      „Ja, aber was stellst du dir dabei vor?“

      „Ich hebe die Sachen hoch“, antwortete Neolyt unsicher. War das falsch?

      „Aha, das dachte ich mir. Dann wollen wir mal sehen, ob du auch das hier zum Fliegen bringst.“ Er nahm einen großen Stein aus der Kiste, den Neolyt niemals mit bloßen Händen heben könnte.

      Sie konzentrierte sich und spannte den ganzen Körper an, ihre Hände zitterten.

      „Warte kurz“, unterbrach Deor sie. „So wirst du es nicht schaffen. Du darfst nicht von deinen physischen Kräften ausgehen.“

      „Wovon?“

      „Von dem, was du auch ohne Magie tun könntest. Oder eben nicht“

      „Ach so.“ Abermals konzentrierte sich Neolyt auf den Stein und stellte sich vor, ihn ganz einfach zu heben. Wackelnd erhob er sich in die Luft.

      „Sehr gut“, sagte Deor und sie erschrak so sehr, dass der Stein auf den Tisch zurückfiel und tiefe Risse hineinschlug.

      „Oje“, meinte sie und betrachtete sorgenvoll die demolierte Tischplatte.

      „Halb so wild“, erklärte Deor lächelnd, hob den Stein auf und fuhr mit der Hand über die Risse, woraufhin diese verschwanden. „Dieser Raum hat schon Schlimmeres erlebt.“

      „Wann kann ich so etwas auch machen?“, fragte sie neugierig und fuhr mit dem Finger über die makellos glatte Platte.

      „Immer langsam mit den jungen Pferden, du wirst es früh genug lernen. Wichtig ist, dass du zuerst eine der grundlegenden Prinzipien der Magie begriffen hast.“

      Neolyt sah ihn fragend an.

      „Man muss die Grenzen des Möglichen erweitern. Du kannst nicht zaubern, wenn du nur das, was du physisch auch schaffst, für möglich hältst.“

      Ja, das leuchtete ein.

      „Du musst also immer davon ausgehen, dass das, was du vorhast, ohne Weiteres möglich ist.“

      „Dann kann man mit Magie alles machen?“, fragte Neolyt verblüfft.

      „Letztendlich schon, alles ist möglich. Aber jeder muss persönlich seine Grenzen finden. Würdest du alle existierende Magie lenken können, wäre für dich nichts unmöglich. Aber da dem nicht so ist, würdest du spätestens bei dem Versuch, die Zeit zurückzudrehen, scheitern.“

      „Man könnte in der Zeit reisen?“

      „Für manches höheres Wesen ist Zeit nicht von Bedeutung, sie können sich in der Zeit bewegen, wie wir im Raum. Aber wir werden diese Fähigkeit niemals besitzen.“

      „Was sind die anderen Prinzipipen der Magie?“, fragte Neolyt weiter.

      „Prinzipien. Und die kann ich dir, wenn du so weiter­machst, vermutlich morgen schon erklären“, sagte Deor und blickte wieder auf das Gerät auf seinem Handgelenk. „Du übst jetzt am besten noch ein bisschen mit dem Stein und den anderen Sachen. Probiere doch einmal, mehrere