TIONCALAI. Esther-Maria Herenz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Esther-Maria Herenz
Издательство: Автор
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783939043614
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Er schluckte und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

      „Nein. Lesen und schreiben macht hungrig. Ich hab mich nur gewundert, weil es so aussieht, als wäre es angebraten worden.“

      Bei diesen Worten fing Yewan derart an zu lachen, dass ihm die Tränen in die Augen traten. Dann sah er sie an und fragte noch immer breit grinsend: „Das hast du ernst gemeint, oder?“

      „Natürlich.“

      „Hast du noch nie gebratenes Fleisch gegessen?“

      „Nein. Macht man das normalerweise so? Das ist doch verrückt. Im Rudel wäre niemand auf eine so blöde Idee gekommen.“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf, weil Yewan erneut lachte. „Was ist denn jetzt schon wieder?“

      „Fleisch braten … blöde Idee“, brachte er nur zwischen zwei Lachanfällen heraus. Als er sich schließlich beruhigt hatte, hakte er noch einmal nach: „Dann bist du also wirklich ein Halbwolf?“

      „Woher weißt du das?“

      „Von Deor. Ich dachte, er will mich auf den Arm nehmen. Und eigentlich sollte ich dich auch nicht darauf ansprechen.“

      Neolyt nickte und schnitt ein Stück des Fleisches ab. Sie kaute, hielt inne, kaute weiter und schluckte hinter, dann schüttelte sie sich und schob ihren Teller demonstrativ Yewan hinüber. Er kicherte wieder.

      „Da sag ich nicht nein.“

      Neolyt stand auf und ging runter zu den Schüler­zimmern. Die Lampen in den Korridoren verdunkelten sich zunehmend, wahrscheinlich, um Tag und Nacht zu simulieren, wofür Neolyt hier unter der Erde schon das Gefühl verloren hatte. Schließlich erreichte sie todmüde Zimmer 17, klopfte und nach einiger Zeit wurde die Tür von einem großen, schlanken, braungelockten Mädchen mit dunkelgrünen Augen geöffnet. Sie lächelte freundlich.

      „Hi. Du bist Neolyt, oder? Elly hat mir schon von dir erzählt. Ich bin Elbea, aber das weißt du sicher schon.“

      Neolyt nickte und ging zu ihrem Bett hinüber.

      „Ich muss nochmal in den Hausaufgabenraum, aber ich werde euch nicht wecken, wenn ich wiederkomme, versprochen.“ Sie sah kurz auf den Flur. „Elly kommt auch schon.“ Dann war sie verschwunden und wenig später öffnete sich die Tür und Elly kam herein.

      „Wo warst du noch?“, fragte Neolyt, eher uninteressiert an der Antwort.

      „Ach, Hausaufgaben machen. Ich will jetzt einfach nur noch ins Bett.“

      Das konnte Neolyt voll und ganz nachvollziehen.

      Sie folgte Elly in die Waschräume und, nach vollzogener Prozedur, wieder zurück in ihr Zimmer. Dort zog sie sich um und ließ sich todmüde ins Bett fallen. Elly löschte das Licht.

      Eigentlich hatte Neolyt gedacht, sofort Schlaf zu finden, aber in der Stille und der Dunkelheit kehrte das Gefühl der Einsamkeit zurück. Im Wald war es nie so dunkel geworden, die Bäume hatten gerauscht und im Sommer die Grillen gezirpt, hin und wieder ein Vogel gezwitschert oder ein Bach geplätschert. Hier aber, viele Schritt unter der Erde, war die Stille so erdrückend, dass sie meinte, kaum atmen zu können. Neolyt konnte die Hand nicht vor Augen sehen und das Gefühl beschlich sie, die Wände würden immer näher rücken und sie zerquetschen. Sie fühlte sich gefangen, eingesperrt, vergraben. Angst stieg in ihr hoch, pure Angst, doch zwang sie sich, sie nicht hinauszuschreien, sondern leise weinend, starr in ihrem Bett liegen zu bleiben.

      „Kannst du nicht schlafen?“, flüsterte auf einmal eine Stimme neben ihr.

      Neolyt wollte nichts sagen, so tun, als ob sie schliefe, doch ein leiser Schluchzer entrang sich ihrer Kehle.

      „Hey, was ist los?“ Ganz schwach glommen die Flammen­geisterlampen auf.

      „Nichts.“ Ihre Stimme klang erstickt, sie hätte sich selbst kein Wort geglaubt.

      Sie spürte, wie Elly sich auf ihren Bettrand setzte und ihr übers Haar strich.

      „Tut mir leid, dass ich heute so viel geredet habe. Das muss beschissen gewesen sein, fremde Umgebung und lauter fremde Leute, die pausenlos auf einen einquatschen. Aber ich wollte einfach nicht, dass du mich etwas fragst. Es wäre mir total peinlich gewesen, schließlich bist du bei Wölfen aufgewachsen und fändest mich bestimmt total blöd.“

      „Warum?“ Neolyt setzte sich auf und blinzelte die Tränen aus ihren Augen weg.

      „Na ja, weil ich eben einfach nur aus irgendeinem Kaff in Yalyris komme und nur rein zufällig entdeckt wurde.“

      „Wie denn?“

      „Ich bin mit meiner Mutter zur Auswahl der neuen Reiterschüler gegangen, weil wir gerade in der Hauptstadt waren und ich unbedingt hinwollte. Tja, irgend so ein Dummkopf hat dann halt gedacht, ich wäre auch ein Kandidat, mich auf die Tribüne gezogen und ich wurde ausgewählt. Meine Mutter hat erst totales Theater gemacht, weil ich zur Ausbildung woanders hinsollte, aber schließlich hat sie mich doch gehen lassen.“

      „Da siehst du. Überhaupt kein Zufall – Schicksal. Bei mir war es Zufall. Ich bin nicht mal ausgewählt worden. Deor ist einfach nur gekommen, weil es eine Geschichte gab. Und meine Mutter hat sich gar nicht aufgeregt. Sie hat gesagt: Geh mit, bald kommst du ja wieder. Sonst nichts.“ Abermals füllten sich ihre Augen mit Tränen.

      Elly nahm sie in den Arm, strich ihr übers Haar und murmelte tröstende Worte. Es war ein gutes Gefühl, umarmt zu werden.

      „Ich glaube, deiner Mutter liegt sehr viel an dir und sie wollte sicher nur dein Bestes.“ Neolyt hörte, wie Elly schnaubte. „Aber vielleicht hätte sie dich vorher fragen sollen, was du möchtest.“

      Neolyt nickte und löste sich aus der Umarmung. Mit einer energischen Bewegung rieb sie sich die Tränen aus den Augen und lächelte die Freundin an. „Danke. Ich denke, jetzt kann ich schlafen. Können wir das Licht ein bisschen anlassen?“

      Sie schlief tatsächlich ein, tief unter der Erde, weit entfernt von ihrer Familie, nicht ahnend, worauf sie sich eingelassen hatte, was alles aus diesem Anfang erwachsen würde, wie oft sie sich wünschen würde, alles wäre anders gewesen und sie wäre nie zu den Einhornreitern gekommen. Aber im Bett neben ihr lag ihre erste echte Freundin.

      Sie mögen den schweren Weg mit ihr gehen.

      Als Neolyt am nächsten Morgen erwachte, waren die Lampen in ihrem Zimmer kaum heller geworden, es musste wohl noch sehr früh sein. Müde ging sie zum Waschraum und war überrascht, dort bereits Elly anzutreffen.

      „Morgen“, murmelte Neolyt und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht, um wach zu werden.

      „Morgen. Gut geschlafen?“

      „Ging so“, log Neolyt. Obwohl das Licht geleuchtet hatte, war sie noch mehrere Male aus beängstigenden Träumen aufgeschreckt und fühlte sich nun, als hätte sie die ganze Nacht einen Hasen durch den Wald gehetzt. Sie wusch sich und ging dann zurück, um sich anzuziehen. Es war ein ungewohntes Gefühl, sauber zu sein, wenn auch nicht unangenehm.

      Im Speisesaal saßen noch nicht viele Leute, hauptsächlich Lehrer und ein paar ältere Schüler. Neolyt war dafür äußerst dankbar, der Lärm hätte ihren empfindlichen Ohren arg zugesetzt. Nachdem sie etwas gelbes Zeugs gegessen hatte, das Elly als Rührei bezeichnete, was Neolyt nicht so recht nachvollziehen konnte, schließlich war der Inhalt von Eiern flüssig und hauptsächlich durchsichtig, fühlte sie sich schon besser, und als sie Yewan auf sich zukommen sah, lächelte sie sogar.

      „Auch schon wach?“, fragte er und blieb neben ihr stehen.

      „Schon eine Weile“, antwortete sie.

      „Tja, nicht jeder kann ein Langschläfer sein. Aber Deor wird froh sein, er meinte, du sollst in die Bibliothek kommen, wenn du fertig mit dem Frühstück bist.“

      „Alles klar, dann mach ich mich mal auf den Weg.“

      Neolyt wandte sich um und stellte