Wem sagte sie das? Ich stöhnte innerlich auf.
Caitlin ging zu dem Schrank, öffnete ihn und deutete auf eines der höheren Regalbretter, auf dem sich eine Reihe gebundener Bücher befand. »Hier ist, falls du überhaupt Lust zum Lesen hast, eine kleine Sammlung von Büchern. Keine Sachliteratur, sondern«, sie musterte die Einbände, »Fantasy- und Liebesromane, Abenteuerromane … ah, doch etwas höhere Literatur und … eine Biografie. Wie du siehst, jede Menge Auswahl.«
Ich nickte. Vielleicht würde ich etwas darunter finden.
Sie schloss die Schranktüren und zog ihre Omunalisuhr aus der Tasche. »Entschuldige bitte, ich muss wieder los. Training.« Es klang bedauernd. Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern. »Am besten, du räumst deinen Koffer aus und richtest dich hier ein. Gegen drei Uhr wird Tatjana voraussichtlich kommen, bis dahin: schonen, schonen, schonen.« Sie versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, das reichlich schief ausfiel. »Nun gut. Bis bald, Lulu«, sagte sie neckisch und drehte sich um.
Als sie schon fast an der Tür angelangt war, fiel mir etwas ein, um das ich sie bitten musste. »Ähm, Caitlin?«
Sie drehte sich um.
»Kannst du Rose Bescheid geben, dass ich hier bin? Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun.«
»Natürlich.« Sie wandte sich ab.
Doch mir kam noch etwas in den Sinn. »Und … kannst du auch ab und zu mal vorbeischauen? Etwas helfen bei meinem Kampf gegen die Langeweile?« Und beim Kampf gegen meine innere Leere, fügte ich in Gedanken hinzu.
Caitlin lachte und salutierte. »Immer zu Diensten, Mylady.«
Ich rang mir ebenfalls ein Lächeln ab, bevor die schwere, ebenfalls weiß gestrichene Tür hinter Caitlin ins Schloss fiel und ich mich mutterseelenallein in einem riesigen Krankenzimmer wiederfand. Jetzt hätte ich sogar Xaviers Gesellschaft vorgezogen.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Ich beobachtete den dürren Zeiger, der über das Ziffernblatt meiner Omunalisuhr wanderte.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Meinen Koffer hatte ich ausgeräumt, den Inhalt in den Schrank geräumt und den leeren Koffer unter meinem Bett verstaut.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Die Jacke und die Stiefel hatte ich ausgezogen und die Jacke neben der Tür an einen Haken gehängt. Die Stiefel standen darunter. Jetzt trug ich nur noch Jeans, Socken, Unterwäsche, das Shirt und den dicken Rollkragenpullover da-rüber.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Ich war zweimal auf der Toilette gewesen, hatte eines der Bücher angefangen zu lesen und den Schrank komplett umgeräumt.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Und inzwischen lag ich bäuchlings auf meinem Bett und versuchte, durch das Vortäuschen von Interesse für den sich langsam vorwärts bewegenden Zeiger einem Abdriften in die Leere zu entgehen.
Mir.
War.
Langweilig.
Megalangweilig.
Doch Langeweile war weitaus besser, als an den Dolch in meinem Herzen zu denken. Entschlossen, aber langsam, um keinen Schwindelanfall hervorzurufen, setzte ich mich auf, klappte die Omunalisuhr zu und stand vorsichtig vom Bett auf. Gerade hatte ich den Entschluss gefasst, abermals den Schrank umzuräumen, als plötzlich die Tür ohne jegliche Vorwarnung aufschwang und zwei durch die Kälte rotnasige Mädchen in den Krankensaal gestürmt kamen.
»Lucy!« Denise’ Kreischen schwappte über vor Freude, und eine Sekunde später fand ich mich in ihren Armen wieder.
Charlotte folgte ihr wie immer stumm, doch nachdem sie eine kleine Tüte auf dem Nachtisch abgestellt hatte, schloss sie mich nahezu genauso stürmisch wie Denise in die Arme.
Denise wickelte sich den Schal vom Hals und warf sich auf mein Bett. »Du Arme! Du musst den ganzen Tag in diesem schrecklichen Zimmer verbringen«, murmelte sie mitleidig. Doch dann setzte sie sich auf und strahlte von einem Ohr zum anderen. »Aber ich freue mich so, dass du endlich wieder da bist! Außerdem muss ich zugeben, dass ich mich irgendwie auch darüber freue, dass Atlas mit dir zurückgekommen ist. Als ihr ‒ du, Atlas und James ‒ gegangen wart, schien es mir so leer im Wohnzimmer. Drei Nocturnals weniger, das merkt man schon. Außerdem hatte niemand wirklich Lust, etwas zu spielen. Na, und seit James die Erinnerung über die Sache mit dem bevorstehenden Kampf zurückbekommen hat, üben selbst Cedric und Harvey lieber zu kämpfen, als Mensch ärgere dich nicht zu spielen.«
Mein Kopf schwirrte von den ganzen Sätzen, und ich ließ mich neben sie sinken.
Charlotte nahm sich einen Stuhl und setzte sich. Sie deutete auf die Tüte. »Wir haben dir etwas zu essen mitgebracht. Zufällig haben wir mitbekommen, wie Caitlin Rose über deinen Aufenthaltsort unterrichtet hat, und weil Rose keine Zeit dazu hatte, haben wir vorgeschlagen, dir das Essen zu bringen.«
Ich lächelte dankbar, obwohl ich nach wie vor keinen Appetit hatte.
Denise nahm eine meiner schwarzen Locken in die Hand. »Wirklich erstaunlich, deine Typveränderung. Du siehst wunderschön aus. Hättest du nicht diese roten Augen, könntest du glatt als Schneewittchen durchgehen. Wobei … goldene Augen hätten auch nicht zu Schneewittchen gepasst.« Sie schnippte die Locke weg und klatschte in die Hände.
Ihre stürmische Art hatte ich schon fast vergessen.
»Aber jetzt erzähl. Wie war die Reise?«
Unbehaglich rutschte ich hin und her. »Ganz … interessant?«
»Das klingt wie eine Frage.«
»Es ist … ach, ich weiß auch nicht. Es ist einfach so viel passiert.«
Charlotte beugte sich vor und legte ihre Hand, die trotz der winterlichen Temperaturen warm war, beschwichtigend auf meinen Arm. »Du musst uns nicht alles erzählen. Für heute Abend wurde ein Treffen in der Versammlungshalle anberaumt, bei dem Atlas uns alles von der Reise erzählen wird. Wenn du willst, kannst du ihm auch das Ganze überlassen. Vorerst reicht es uns auch, dass du einfach da bist.«
Denise nickte bekräftigend, und ich atmete erleichtert auf. Doch dann stutzte ich und runzelte die Stirn. »Atlas wird heute Abend über alles berichten?« Hatten wir uns nicht gestern noch darauf geeinigt, niemandem etwas zu verraten, aus Angst, der Spion könnte wichtige Informationen dadurch erhalten?
Denise nickte. »Ja. Weshalb irritiert dich das?«
»Tut es nicht«, log ich und schüttelte den Kopf.
Wenn Atlas seine Meinung geändert hatte, dann musste es einen Grund dafür geben. Allerdings hätte ich gern über diesen Grund Bescheid gewusst. Laut sagte ich jedoch nur: »Ich … würde nur gern mit ihm noch einmal sprechen, das ist alles. Könnt … könnt ihr ihn bei mir vorbeischicken?« Ich wusste, dass ich