Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
Скачать книгу
dass mein Mittelhandknochen falsch zusammenwuchs. Um eine Verkrümmung zu vermeiden, sollte ich mich einer Operation unterziehen. Man gab mir eine Menge Formulare mit, die ich auszufüllen und abzugeben hatte. Eine Woche später bekam ich einen Termin, bei dessen Wahrnehmung, man einen weiteren Stapel Papier auf meinem Schoß deponierte… Und ich schwang den Kugelschreiber… Auf unrecyceltem Papier! Dekadente Bürokratie! Die Regenwälder! Ihr bigotten Schweinepriester!… Und man schob mich auf der Operationsbahre von Station zu Station und gab mir ein Beruhigungsmittel, in einem Luftschleusenartigen Vorraum zum Operationssaal, dass mich binnen Minuten wegdösen ließ… Ich bekam noch mit, wie mit Operationsmasken verhüllte Gesichter die Vollnarkose vorbereiteten, dann gingen bei mir die Lichter aus.

      Benommen und mit taubem Arm aus Gummi, wachte ich wieder auf. Man hatte mir den Mittelhandknochen erneut gebrochen und ihn mit zwei Metallstiften fixiert. Noch mehr Zeit für mich, in der ich nicht zur Arbeit gehen brauchte.

      Doch nach Wochen voll der Zerstreuung musste es auch einmal weitergehen. Es gestaltete sich so langweilig und trostlos wie zuvor. So unvermittelt war ich wieder in der alten Routine drin, dass es mir schnell kaum noch ins Bewusstsein kam, wie lange ich doch zuvor abwesend gewesen war. In den ersten Wochen gab man sich größte Mühe, mich die volle Breitseite meiner Unbeliebtheit spüren zu lassen, ehe man bemerkte, dass die Ausbildung eine befristete Gelegenheit zur Ausbeutung darstellte und man mich endlich so langsam an die, für meine Ausbildung relevanten, Aufgaben heranließ… Im nassen Frühling die Räderwechsel-Saison.

      Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, die richtige Arbeit zu tun und etwas zu lernen, was meinem Lehrberuf entsprach… Man zeigte mir hauptsächlich den Umgang mit den Reifenmontage-Maschinen und dem Gerät zum Auswuchten der Räder. Bald waren die Finger blau, von den anfänglichen Schwierigkeiten beim Anschlagen der Auswuchtgewichte auf die Stahlfelgen.

      »Ungelerntes Fleisch muss ab«, jauchzte das Wiesel, hechelte ein sadistisches Lachen, pflückte mir das Werkzeug aus den Händen, klemmte das Schlaggewicht in Position und demonstrierte… »Willste ma nen alten Hasen sehen? Häh?…« BANG! BANG! BANG!… »So macht man das!…« BANG! BANG!

      Man konnte mich gar nicht oft genug einweisen, sprang um mich herum, und hin und her. So zwang mich deren Geduldslosigkeit dazu, schnell Fortschritte nachzuweisen, nur, um nicht wie ein kompletter Idiot dazustehen.

      Dann war Ostern vorbei… Der Kollege sah mir zu, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf… Drehte sich mit Grausen ab… Da kroch ich um das Gelände der Werkstatt herum und kratzte mit einem Küchenmesser bewaffnet das Unkraut aus den Fugen des Pflasters heraus, wusch Autos bis meine Hände verschrumpelten und aufrissen, drückte mich in der Werkstatt herum und räumte auf und machte sauber, dass man vom Fußboden hätte essen können… Das Wiesel gab mir eine alte klapprige Leiter und ließ mich alle Lampen an der Decke und an den Wänden sauber waschen… Zweifelnd, mit Lappen und einem Putzeimer voll Wasser in der Hand, die verpfuschte Elektrik betrachtend, sah ich mich schon zuckend von der Leiter fallen… »LOS LOS! Hier wird nicht getrödelt!«, keifte es dann von unten.

      Man wusste meist schon Bescheid, wenn plötzlich ein Fluch durch die Werkstatt hallte, so deutlich wie ein Vorbote der Apokalypse… Dann gab es erniedrigende Vorträge über den Umgang mit Betriebseigentum. Jedes Mal wurde der Schuldige über die Kosten von Arbeitsmaterial aufgeklärt, hin und wieder begleitet von der Drohung, beim nächsten Vorfall eine Neuanschaffung aus eigener Tasche zahlen zu müssen… Und jedes Mal galt es bis dahin, den entstandenen Bruch irgendwie zusammenzuflicken.

      Der Kollege und ich waren gerade zusammen mit dem Wiesel an einem Auto zugange, als wieder einer der Druckluftschläuche, die regelmäßig von ihren Kupplungen runter sausten und zischend auf alles im Raum Befindliche einpeitschten, den Geist aufgab… Es gab einen Knall, ein Jeder zuckte zusammen, Verbindungsstück und Schellen flogen durch die Werkstatt, der Schlauch bäumte sich auf und wurde gerade noch durch mich, der ich zum Anschluss hetzte, von seiner Versorgung getrennt, bevor er uns mit seinen Hieben das Fürchten gelehrt hätte.

      »Du weißt, was du zu tun hast!«, schlug es mir von der Seite ins Ohr, schon wetzte ich los, kramte einen der verstaubten Verbinder aus einer Schublade und machte mich daran, den Schlauch zu reparieren. Als ich fertig war schloss ich ihn wieder an das Druckluftnetz an und schaute meinem Kollegen bei der Arbeit zu. Ein paar Minuten später kam das Wiesel wieder heran, faselte irgendwelche Anweisungen daher, lief wild durch die Halle und trat dabei auf dem gerade erst repariertem Stück Schlauch herum. Aus der zuvor erst reparierten Stelle ertönte urplötzlich ein Zischen… Dann ein widerwärtiges Fauchen von der Seite.

      »Kannst du deinen Scheiß nicht gescheit reparieren!? Alles macht ihr nur auf dem halben Arsch!«

      Und weil ich wirklich überrascht über diesen plötzlichen Wutausbruch war, fiel mir keine durchdachte Antwort ein.

      »Es hat ja bis eben funktioniert. Mir ist aber nicht eingefallen, drauf herumzutrampeln, ums zu testen…«

      Da platzte ihm der Kragen… »WÄÄÄS?! Ich hab mir in meiner Lehrzeit ja schon was geleistet! Aber SOOWAS hätte ich mir NIE erlauben können! DASDARFJAWOHLNICHSEIN!!!« Und so weiter und so weiter… Und es funkelte mich irre an und hob die Arme wie zum Paukenschlag. Der Kollege grinste mir hämisch, Schutz nehmend im Motorraum versenkt, über die Schultern des Wiesels entgegen, dass mich mit sich in den Maschinenraum schleppte und mir zeigte wie es so einen Luftschlauch reparierte und wie ich es demnächst verdammt noch mal auch zu tun hatte. Den Rest des Tages scheuchte es mich dann vor sich her und erteilte mir die abstrusesten Drecksarbeiten, damit ich auch ja nicht zur Ruhe kam. Das sollte es mich Lehren, derartige Unverschämtheiten zukünftig zu unterbinden.

      Auch der Baustellenwahnsinn ging von neuem los. Nun hatte das Wiesel die großartige Idee das wellige Konglomerat aus teilweise bereits zerstörtem Beton und Estrich, welches mehrmals mit Fußbodenfarbe überstrichen worden war und den Boden der Beiden Werkstatthallen und des Werkzeug- und Maschinenraumes bildete, mit Fliesen auszulegen… Das Elend dauerte tagelang und selbstverständlich legten wir die Fliesen selbst. Palettenweise wurden die herangeschafft… Die einzelne Fliese maß etwa zehn mal zwanzig Zentimeter… Und auf dem Hof neben der Werkstatt abgestellt, zwischen Unfallwagen, ausgedienter Werkstatteinrichtung und allerlei sonstigem Gerümpel, das das Laub der Bäume aus dem Nachbargarten fing… Außerdem der in der Werkstatt anfallende Schrott, der fachmännisch zwischengelagert in einer Badewanne Rost ansetzte, bis ein Schrotti sich seiner erbarmte.

      Während alles damit beschäftigt war Fliesen zu legen, Kleber anzurühren und auf den Boden zu klatschen und Fliesen zurechtzuschneiden, machte ich den Handlanger, nahm Sechstausend mal den Weg zwischen Werkstatt und Hinterhof und schleppte neue Pakete Fliesen an, stets erpicht auf Vermeidung einer Kollisionen, denn von den drei Leuten neben mir selbst ging jeder wie ein Brummkreisel durch das Gemäuer… Das änderte sich, sobald man bemerkte, dass man die eignen Wege ebenso auf mich abwälzen konnte. Zwischen den einzelnen Versorgungsfuhren eilte ich herbei, ging neben den Leuten in die Knie und ließ mir die Maße für die Fliesen geben, die zurechtgeschnitten werden sollten… Dann los in den Raum, wo das Mannsweib an der Schneidemaschine stand… Maße durchgeben, warten… Warten… Ein Geräusch wie zu einem Kreischen verstärktes Zähneknirschen… Und nachdem sie das Stück Stein zurechtgeschnitten hatte, durfte ich endlich die Maßanfertigung an ihren Bestimmungsort bringen… Und wehe, wenn es nicht passte, dann ging ein großes Zanken los und keiner wollte einen Fehler gemacht haben, weder das Wiesel beim Maßnehmen noch das Mannsweib beim Schneiden und ich, als kreuzdämlicher Überbringer, konnte nun wirklich nichts falsch gemacht haben. Nach fünf Minuten Geplärre und erneutem Messen und Schneiden, war das Theater dann wieder vorbei… Und ich freute mich schon auf die nächste Vorstellung, während ich wieder umhereilte und mich trietzen ließ, gefangen zwischen den Fronten von dreifachem Wahnsinn und nackter Angst.

      Der Kollege und das Wiesel arbeiteten sich Reihe für Reihe vor… Einen ganzen Tag lang war ich damit beschäftigt, kroch auf Knien durch die Halle und säuberte die Fliesen einzeln, während hinter mir die Leute immer wieder neuen Dreck hereinbrachten… Liquidieren, massakrieren, ausmerzen hätte ich sie gewollt… Ständig sah ich auf die Uhr… Vier Stunden auf den Knien. Das Wiesel kam an mir vorbei und besah