Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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sie heimgesucht oder nicht heimgesucht von Dämonen? Wissend und verdrängend, oder nichts von beidem? Den unvermeidlichen Anbruch des nächsten Tages so lange wie möglich aufschiebend?… Das sengende Ticken der Uhr… Kraftlose Gewissheit und Demut um Mitternacht. Dunkelheit und dann das Morgengrauen. Der Kreislauf schließt sich… Man verschweigt es… Versucht zu funktionieren… Halt! Das war ja ich selbst… Oder bin ich es?… Ich… Ich bin… Gerade ein wenig vom Weg abgekommen, scheint mir.

      Die Durchfallquote bei den Gesellenprüfungen zum Kfz-Mechatroniker lag bei etwas um die vierzig Prozent, die Lehrlinge, die auf dem Weg dahin ausgeschieden sind, nicht mitgezählt… In regelmäßigen Abständen zählte ich die Klasse durch… Im Verlaufe des ersten Lehrjahres waren wir auf zwanzig zusammengeschrumpft… Weniger Leute die es zu beobachten galt.

      …

      Meine Ausbildung hatte einen Monat später begonnen als normal… Rückblickend fällt es auf… Mein Leben war geprägt von verspäteten Ereignissen, verspäteten Einsichten, verspätete Liebe… Hiebe… Das verspätete, an vorgelebten Irsinnigkeiten abgeschaute, unreflektierte Streben nach undurchdachtem und undenkbar werdenden Glück… Das Wiesel ergötze sich weiterhin an der Möglichkeit, seine Belegschaft mit der Grundsanierung der heruntergekommenen Mietwohnung zu beschäftigen. Es verschwendete meine Lehrzeit… Welche wiederum eine Verschwendung von Lebenszeit bedeutete… Letzteres war mir noch nicht klar geworden… Das kam wiederum später.

      Nachdem wir die Baustelle in der Mietwohnung unter einem endlos wütenden Herbsthimmel begonnen, den verregneten Winter verwendet und im Frühjahr immer noch nicht zu ende gebracht hatten, kam der Sommer. Nicht ausschließlich auf die Ersparnis von Heizkosten bedacht, stellte der große Macker den antiquierten Dieselofen ab und bald darauf öffnete sich die nächste Baugrube, gleichsam einem Schlund der Hölle.

      Den Sommer über wurden wir damit beschäftigt, das krumme und schiefe Dreckloch von Keller, in ein etwas weniger krummes und schiefes Dreckloch von Keller zu verwandeln. Wir ließen dafür das Projekt im zweiten Stock erst einmal ruhen… Nicht ahnend was mich als nächstes erwartete war ich fast dankbar dafür. Dort oben hatten sich massenhaft negative Energien gesammelt und die Luft raunte nach immer neuen Entladungen schal und dick wie die Eier eines Pubertierenden.

      Wir nahmen uns Raum für Raum vor und schleiften all die irrationalen, verstaubten Gerätschaften und den Unrat von einem in den anderen… Die ganze Heizung unsicher auf einer Palette stehend, den Kompressor in Einzelteilen… Motor und Kessel… Regale und genug Kleinkram für einen gut sortierten Heimwerkerbasar. Alles wurde herausgezerrt und anderswo aufgetürmt. Zwischendurch stürmte mal einer in die Werkstatt, sah nach dem Rechten, schob eine eilige Reparatur ein und musste dabei aufpassen, dass derjenige nicht über die Sachen stolperte, welche notdürftig in alle zur Verfügung stehenden Ecken geräumt worden waren und bis in die Arbeitsplätze hinausragten.

      Pünktlich zur Beendigung der Vorarbeiten, brachen die heißesten Tage des Jahres an… Im Schwimmbad amüsierte sich mit Sicherheit jeder halbwegs freie Mensch, egal ob im Schul- oder Rentenalter. Bei uns hingegen zog man es vor, im Dreck zu baden sowie, eine Staublunge zu bekommen… Wenn ich mir die Nase putzte, kam jedes Mal eine schleimige, schwarzgraue Masse heraus, die man gut als Mörtel hätte verwenden können… Die größte Plackerei verursachten mit Abstand die Ausschachtungsarbeiten… Schwielen, verdampfender Schweiß und Agonie bei dreißig Grad im Schatten. Schweres Gerät wurde herbeigeschafft. Wir schufteten zu viert auf vier Quadratmeter Raum im Heizungskeller, dann auf sechs im Lager… Und hoben Pflastersteine, Beton, und Bauschutt aus, deformierte Ziegel und Steine so groß wie ein Pferdekopf… Es hätte mich nicht gewundert, wenn man auf ein Bombe gestoßen wäre… Oh wären sie doch nur!… Der Boden wehrte sich, als hätte er denken und fühlen können und hegte den Wunsch, uns zerbrechen zu sehen. Ich operierte an zwei Fronten. Mit einer quietschenden, alten Schubkarre raste ich zwischen der Kellertür und einem Bauschuttcontainer hin und her, wo ich die schier endlosen Mengen Schutt und Erde ablud, während die Kollegen im Schweiße ihres Angesichts immer mehr totes Material aus dem Verschlag herausholten und in eine zweite, schon bereit stehende Schubkarre schaufelten… Abends fühlte ich mich so, als hätte ich genug Material abtransportiert, um ein neues Haus damit aufzuschütten… Alex bediente eine riesige, prähistorische Aushebemaschine, die von einem Motor angetrieben wurde, der einem glatt das Trommelfell zerpflücken wollte. Nicht genug, fabrizierte das Gerät eine solche Menge Qualm, dass es vor der geöffneten Tür zum Hof, dem einzigen Luftloch, aussah als stünde der ganze Keller in Flammen… Drinnen tränten einem die Augen und man rang mit dem Schwindel sowie dem Gefühl, einfach umkippen zu wollen… Der arme Kerl hob sich fast einen Bruch mit dem verdammten Ding. Er vermochte für fünf Sekunden damit auf den leblosen Boden einhämmern. Dann stand er kurz vor einem Bandscheibenvorfall und musste erst einmal fünf Minuten Pause einlegen, bevor er sein verzweifeltes Werk von Neuem beginnen konnte. Neben all dem stand auch noch das Wiesel, gab Befehle und packte hin und wieder dazwischen… Sofern es nicht mehr zu leugnen war, dass einer seiner Ackergäule zusammenzubrechen drohte… Immerhin brachte er uns hin und wieder kalte Getränke… Man musste es ihm hoch anrechnen.

      Das vorläufige Ende vom Lied war ebenso lachhaft grotesk wie zum Verzweifeln… Eine vom Leben schlecht geschriebene Tragödie ohne Zuschauer und inszeniert durch einen Irren… Ein Fahrmischer rollte vor, um die ausgeschachteten Räume mit Beton aufzugießen. Alle Augen waren auf die graue Pampe gerichtet… Zähflüssig gluckernd, immer weiter und weiter aufsteigend lief es ein… Sobald das Zeug ausgehärtet war, bestätigte sich, was die Kollegen und ich insgeheim schon vermutet hatten… Vielleicht fünf bis zehn Zentimeter Raumgewinn… Das Wiesel hatte die Männer zu viel Beton eingießen lassen… Immer rein! Man hatte es ja bezahlt… Schließlich kamen noch die Fliesen dazu sowie die eigens vorgenommene Verkleidung der gewölbten Decke des Heizungskellers… Wobei wir jede der verwendeten Rigipsplatten gefühlte hundert Mal anpassen mussten, aufgrund der schiefen Wände und der Unzahl von Rohren für Wasser, Heizung und Druckluft, die ein kupfernes Labyrinth unter der Decke und an den Wänden bildeten… Der gewonnene Raum war auf zwei Zentimeter in der Horizontalen gesunken… Blut, Schweiß und Tränen, gemarterte Knochen! Für Nichts!

      Der Spaß sollte noch eine Weile dauern… Die Luft noch muffig vom trocknenden Beton, legten wir auch im Lager Schrägstrich Umkleideraum Schrägstrich geräumte Müllhalde los. Über dem Grund wölbte sich die brüchig aussehende Decke, deren maroden Farbschichten ich zusammen mit dem Gesellen, bewehrt mit Spachteln, Besen und Eimern, zu Leibe rückte… Unsere Stimmen hallten durchs Gemäuer, solange, bis man eine angemessenere Aufgabe für ihn fand. Über Kopf kratzte ich im Alleingang die vermurksten Malerarbeiten aus Jahrzehnten ab… Stundenlang ging das. Immer ältere Schichten kamen zum Vorschein… Sollte das ganze Haus etwas aus Farbe bestehen? Endlich glaubte man, noch die letzten lockeren Reste abgekratzt zu haben. Doch später beim Streichen lösten sich noch immer alte Schichten von Putz und Farbe ab und blieben an meiner Rolle kleben, so dass ich wieder und wieder überollen musste. Berührte ich dabei die Fläche, auf welcher der neue Anstrich scheinbar gehalten hatte… Ratsch! Platsch!… Da rieselte mir das Zeug auch schon wieder ins Gesicht… Nicht anders war es beim Streichen der Wände. Hier löste sich der Putz, bröckelte ab und gab die sandige Unterhaut des alten Fachwerkgemäuers frei, die wie das Wundwasser einer Schürfwunde heraustrieb. Es war wie immer, egal was man anfasste, ein verzweifelter Kampf mit dem undankbaren Material.

      Nebenbei lief schemenhaft der Werkstattbetrieb, sowie der Pannenhilfs- und Abschleppdienst. Die Auftragslage hatte mit dem Beginn des Sommers stagniert. Die paar Kunden, die noch zu uns kamen, mussten aber bedient werden und wenn ein Anruf vom Autoclub reinkam, sprang ohnehin sofort alles auf wie von Hornissen gestochen, schmiss Säge, Hammer, Bohrmaschine oder Pinsel aus der Hand, setzte sich hektisch in Bewegung, zog sich die Uniform vom Automobilclub an, sprang in ein Gefährt und setzte donnernd auf die Straße… Oder eilte, sich die Klamotten abklopfend, rüber zu den Kunden in die Werkstatt… Vorbildlich, wie an unsrer Arbeitskraft kein halber Cent verschwendet wurde.

      Die Renovierungsarbeiten währten fast das gesamte erste Jahr meiner Ausbildung. Der Herbst klopfte schon an die Tür und so wurde es endlich Zeit, die Heizung wieder anzuschließen.

      Wir zerrten das veraltete Monstrum