Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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unserer Flüche und unseres wimmerndem Zorns, in Position zu bringen… Überall lag schon wieder Werkzeug und Unrat auf dem bisschen Boden, der noch nicht von den Regalen eingenommen war, und alle paar Minuten sprang der verfluchte Kompressor an, kompromisslos seinen Lärm ausspuckend, die Druckluftanlage einer zumeist leeren Werkstatt versorgend.

      Während Alex und das Wiesel die Heizung anschlossen, war ich damit beschäftigt, ein wenig Ordnung in das Chaos um uns herum zu bringen. Zwischendurch ließ man mich immer wieder losflitzen, um weiteres Werkzeug herbeizuholen und meinen Händen entreißen zu lassen… Dann hockte ich mich zurück auf den Boden und sortierte Materialien… Stur blickte ich vor meine Füße, in dem Versuch, mich nicht von den lautstarken Agitationen gegen die Heizung verstören zu lassen… Unmöglich… Man konnte förmlich spüren wie die Luft sich mit Kampfeszorn anreicherte… Zum Schluss mussten die Beiden das Abzugsrohr anbringen, das aus mehreren scharfkantigen Blechzylindern bestand und Heizung und Schornstein miteinander verbinden sollte… Nachdem sie das Rohr mehrmals verschoben, verdreht, zusammen und auseinandergebaut, mit Hämmern zurechtgedengelt und einzelne Glieder gekürzt hatten, passte es nach wie vor nicht wie es sollte. Das Wiesel steigerte verbissen die Arbeitswut, brüllte uns Anweisungen zu, die wir panisch befolgten und behämmerte, schäumend und mit aller und Kraft, die in ihm steckte, das Material. Halb mit dem Aufräumen fertig geworden sprang ich hin und her, ließ mich anweisen, dem Spinner und meinem Leidensgenossen zu helfen und betrachtete eine zunehmende Deformierung des Bleches. Beklemmt aber nicht ohne Faszination, sah ich mit an, wie sie mit vereinten Kräften zwei Hälften verbinden wollten… Man stieß mich beiseite… Gleich würde der Wutanfall folgen… Also robbte ich auf dem Hosenboden sitzend rückwärts und begann die vorige Arbeit fortzusetzen, nur um den Augenblick darauf ein metallisch schabendes Geräusch zu hören… Ich blickte auf… Die beiden Elemente waren ineinander gefahren und das Wiesel, welches im selben Moment dabei war, mit den blanken Fingern die beiden aufeinander stehenden Kanten derselben zusammen zu pressen, stieß ein erleichtertes Stöhnen aus… Wir warteten regungslos… Sein Gesicht verfärbte sich, die Lippen bildeten eine Sichel, die Muskulatur um die Augen verkrampfte… Wir warteten… Aus dem Moment bedeutungsvoller Stille erwuchs plötzlich eine Gotteserkenntnis, an der uns das Wiesel durch einen erschütternden Schrei teilhaben ließ… »OOHH GOTT!…« Dann mit gesteigerter Vehemenz noch einmal… »OOOOHH GOOTT!!!« Mit rotem Kopf und einem irren Glänzen in den Augen wand es sich zu uns herüber, hielt uns anklagend seine blutenden, geklemmten Finger entgegen und schüttelte sie, dass Tropfen von der roten Suppe in die Luft spritzten… Nun… Wie sollte man reagieren?.. Die Furcht massakriert zu werden war auf dem Höhepunkt, kippte aber schließlich über als das Wiesel nicht uns an die Gurgel ging, sondern nach dem Heizungsrohr in Alex gelähmten Händen langte, es an sich riss, zu Boden warf und fünf sechs Mal mit tyrannischer Gewalt darauf ein prügelte.

      Mein Kollege drehte sich, während es von den Schlägen nur so schepperte, zu mir um, unsere ungläubigen Blicke trafen aufeinander und wir konzentrierten zugleich einiges Beherrschungsvermögen drauf, ein aufkeimendes Lachen zu unterdrücken… Ruhig bleiben… Kein Benzin ins Feuer werfen… Nach der Entladung gelang es den Beiden, ihre Arbeit zu beenden, das Abzugsrohr passte endlich korrekt an seinen Platz. Das Schönste daran, der lieblichste Streich wohlwollenden Schicksals, war jedoch, dass sich der Schwerverletzte nach getaner Arbeit verzog und für den Rest des Tages nicht wiederkehrte.

      …

      Waren wir im Heizungskeller, ohne Schaden nehmen zu müssen, noch einmal davongekommen, häuften sich in der darauffolgenden Zeit Situationen, die nicht mehr gut ausgingen… Das Wiesel beherrschte die Gemüter peitschenschwingend, mit blankem Terror. So ließ es jeden von uns immerzu rotieren und keine Minute verging ohne sein Beisein. Der Druck war bald kaum noch auszuhalten und musste das Gefüge der Firma auseinanderreißen, bildete ich mir ein… Wenn nicht… Ein Ventil.

      Im Affekt kam es zu einigen heftigen Auseinandersetzungen zwischen Alex, dem Wiesel und seinem Hausdrachen… Sie machten den armen Hund regelrecht zur Sau. Trotz all dem, versuchte er immer wieder vernünftig gegen die ihm vorgeworfenen Unzulänglichkeiten zu argumentieren. Es entging mir und Christoph nicht, wie sie Alex beinahe täglich nach Feierabend ins Büro riefen, um mit ihm zu diskutieren… Christophs Versuche die Vorgänge auszuleuchten, hatten sich auf eine halbe Stunde gemeinsamer Zeit im Pausenraum zu beschränken und wurden nur ausweichend beantwortet… Alex meinte daraufhin stets, er habe das höllische Arbeitsklima angesprochen, worauf es nur zu noch mehr Gekeife und wirren Belehrungen gekommen wäre.

      Da kam das bevorstehende Ende von Christophs Ausbildung dem abgebrochenen Despoten gerade Recht… Hockte wahrscheinlich tagelang in seinem Wieselbau herum und geilte sich an seinem Vorhaben auf… Es musste ja so kommen. Sie feuerten Alex kurz vor Weihnachten. Zwei Gesellen wollte die Firma nicht aushalten.

      Gerne hätte ich wissen wollen, wie sie die Entlassung begründeten… Dachte, dass dabei ein Arbeitsvertrag, der bis in den letzten Buchstaben der hintersten Klausel menschenunwürdig war, eine tragende Rolle spielte. Alex wollte jedenfalls noch bis zum Ende der Kündigungsfrist weiterarbeiten, entschied gegen die Einreichung einer Krankmeldung. Sie schickten ihn weg… Seltsam aber… Was passte denn schon ins Bild?… Ich stellte mir vor, wie er wohl mehr als froh gewesen sein mochte, endlich dieser Knochenmühle entkommen zu sein… Stellte mir vor wie er erhobenen Hauptes vom Hof gegangen sein musste… Sah ihn aber nie mehr wieder und dachte bange an die Zeit, die mir in dieser Firma noch bevorstehen sollte.

      …

      Was verbirgt sich hinter Neujahrsfeiern, außer dem Wunsch die Vergangenheit zu begraben?… Zu verschütten! Haha!… Wer klopft sich nicht selbst auf die Schulter und sagt… Es ist überstanden?… Und vielleicht… Harren wir dem was da kommt… Und gackert sardonisch und trunken vor sich hin… Geblendet von den Explosionen am Firmament… Instabile Feuerblumen, deren einziger Zweck es ist, groß tönend und rapide vor der Kälte des ewigen Nachthimmels zu vergehen.

      Wer arbeiten geht muss auch Feiern, für Ablenkung sorgen, sich mal den Kopf freisaufen oder so was in der Richtung… Das Jahr geht zu Ende, dass Neue kann bestenfalls nicht schlimmer werden… Mit diesem Trugschluss konditionierte ich mich selbst… Ausgefeilte Pläne oder fernere Organisationen waren ausgeschlossen. Wegfahren war ausgeschlossen. Urlaub zwischen den Jahren ebenso ausgeschlossen… Ein fürchterliches Besäufnis, mit anschließenden Entgleisungen geradezu psychotischer Art, war jedoch durchaus möglich.

      Ich drückte eine Zigarette im Blumenbeet neben der Einfahrt zur Garage aus… Einen Aschenbecher dort aufzustellen, bevor die Jungs und die Schnalle kommen würden, kam mir in den Sinn, während ich den erdigen Stumpen drinnen in die Mülltone warf. Wieder in meinem Zimmer begutachtete ich die im Voraus besorgten und säuberlich bereit gestellten Alkoholika… Irgendwie freute ich mich darauf… Es machte aber zugleich etwas nervös… Es würde das erste Mal sein, dass wir in größerem Kreis bei mir zu Hause Silvester feierten… Die Male, die es davor gegeben hatte, waren wir maximal drei oder vier Leute gewesen, von denen keiner über Nacht blieb… Am nächsten Morgen erhob ich mich dann und frühstückte Wodka-Cola, bevor ich, gemäß dem Ordnungssinn der verehrten Nachbarschaft, das Chaos auf der Straße zu beseitigen hatte… Selbst an Neujahr waren die nicht totzukriegen… Verfluchte Sesselfurzer… Den höllischen Kater mit dem Frühstück nur halbwegs übertüncht schleppte ich mich durch die ganze Nachbarschaft. Zuerst mit Besen und Kehrblech… Dann auf dem Rücken eine große Leiter tragend, die ich brauchte, um auf eine Zeile von aneinandergereihten Garagen zu klettern, auf der einige Feuerwerkskörper aus der vergangenen Nacht lagen. Diese giftig signalroten Fremdkörper mussten ein schier beleidigender Anblick für meine liebe Nachbarin gewesen sein, deren prüfende Blicke aus dem Dachfenster des Nachts mich dummerweise zwischen den Jungs ausgemacht hatten, beobachtend wie wir Böller auf die Garagen hinauf schleuderten und die sich des Morgens wiederholten, um den Grad der Verwüstung auszumessen und darüber die Strafe der Übeltäter zu beschließen, die das Wohl des ganzen Viertels geschändet hatten… Ein saukomisches Bild muss das abgegeben haben… Ich stellte die Leiter an, kraxelte noch wacklig in den Beinen mit Eimer und Kehrblech bewaffnet auf die Garagen und spielte vor den Augen aller, die zivilisiert besprengten Räume vor der eigenen Haustür fröhlich pfeifend kehrenden, Schaulustigen