Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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so ungepflegt, dass sie vom zitternden Flügelschlagen darin versteckten Ungeziefers fortgetragen werden mussten. Vorsätzlich auf Wartungsunfreundlichkeit konstruiert von schlauen Ingenieuren… Jaja, man musste gewisse Abstriche machen, beim Fahrzeugbau, die mit den Ansprüchen der Wirtschaftlichkeit, des Komforts und der Ästhetik verwoben waren… Welcher Komfort? Welche Ästhetik?… Bruch unsäglicher Hinterhältigkeit und undankbares Material an allen Ecken und Enden… Im Pampersbomber irgendeines verhutzelten Männchens sah es aus als hätte es einen Hund, groß wie ein Kalb, über Tage darin eingesperrt und es roch als wäre das Tier auch darin verendet und liegengeblieben… Ich sollte den Heckscheibenwischer ausbauen, atmete durch den Mund und strich mir meine spritschluckenden Amischlitten endgültig aus dem Kopf.

      Es war wohl mehr als nur Pech, dass die saisonal bedingte Stagnation der Auftragslage mit dem Umzug der ungeliebten Familie meines Arbeitgebers zusammenfiel. Damit war es so weit, dass man ihm als Umzugskommando dienen musste… Was für Einfälle… Ein weiterer Beweis für den unerschöpflichen Unternehmergeist des Wiesels… Die Werkstatt wurde über mehrere Tage gegen Mittag dichtgemacht und man schwärmte aus… Jeder, der fahren durfte, nahm sich ein Auto. Ein Abschleppwagen wurde auch mitgenommen, schließlich musste man reagieren können, wenn das Telefon klingelte und ein Auftrag reinkam… Die alte, im Nordosten der Stadt gelegene Wohnung musste geräumt und renoviert werden. Trotz dem üblichen Gescheuche und den hoffnungslosen Versuchen, die Schlacht vor dem Abendrot zu beenden, dauerte es bis acht oder neun Uhr… Niemand, auch nicht einer aus der Sippschaft des Wiesels, machte einen ernsthaften Versuch, sich über das vorgelegte Tempo zu beschweren… Alles folgte dem Willen des Despoten. Haufenweise Möbel und Gerümpel schleppten wir aus dem engen Altbau heraus, selbst den verstaubten Keller befreiten wir vom Kram. Und was da alles zum Vorschein kam!… Die Sammelwut musste tief im Erbmaterial der Familie angelegt sein. Die Frage zwang sich mir auf, warum man überhaupt umzog, wenn sich damit unweigerlich ein Ab- und Wiederneuaufbau des über die Jahre hinweg sorgsam angehorteten Materials verband, welches für die Errichtung eines Atomschutzbunkers gereicht hätte… Wahrscheinlich hatte man während des Hortens keine Zeit gefunden, daran zu denken… Vielleicht sollte ich bei mir Zuhause mal ausmisten, fiel mir ein… Dann transportierten wir den Kram, ein paar Straßen weiter, zu der neuen Wohnung, die sich in einem Plattenbau befand. Immerhin verfügte der über einen kleinen Aufzug, dessen zu geringe Kapazität sich jedoch bei genauerer Begutachtung herausstellte und man war gezwungen, das Treppenhaus zu nehmen. Rauf da! Mit all dem Kram auf dem Buckel… Sechster Stock… Herrliche Aussicht.

      Bei der Entkernung im Altbau, leisteten unerwartet die Tapeten den größten Widerstand. Das Zimmer schwamm nur so in der klebrig weißen, mit Chemikalien versetzten Brühe, die wir in immer neuen und neuen Arbeitsgängen mit Schwämmen an den Wänden verteilten. Als das nicht helfen wollte, begannen wir die Tapete mit Messern einzuritzen… Schnitten ein siebartiges Raster aus tausend Messerstrichen, dann griffen wir wieder zum Schwamm und rieben die klebrige, warme Brühe in die Ritzen. Äonen vergingen und die Hände wurden einem dabei taub und aufgequollen die Haut und die Arme steif… Die Mühen halfen, das Entfernen der Tapeten dem Abknibbeln des Etiketts an einer Flasche gleich zu machen… Vielleicht half auch der dichte, wie Naturdünger oder vielleicht Guano riechende Qualm des Tabaks, den der Bruder des Wiesels ausstieß.

      Überhaupt war die Sippschaft des Wiesels bis ins letzte Glied verkorkst, dass man dachte drei Generationen Inzucht hätten geistige Degeneration derartigen Kalibers hervorgebracht… Und gegenseitigen Hass… Einer intrigierte gegen den anderen… Und alle zusammen gegen den Bruder des Wiesels, der es nicht lassen konnte, alle viertel Stunde die Arbeit zu unterbrechen, sich so hinsetzten, dass jeder daran teilhaben durfte, und die neusten Geschichten seines nie enden wollenden Haders mit dem Arbeitsamt zum Besten zu geben. Das Wiesel, reagierte mit drastischen Gehässigkeiten, um bloß allen klar zu machen, wer es in der Familie zu etwas gebracht hatte. Seine Frau ließ sich den Spaß nicht nehmen und machte gleich mit… Da konnte man nun wirklich was lernen… Vorausgesetzt man hätte die Ruhe gehabt, mitzuschreiben… Das reinste Familienidyll!

      Das alte Mütterchen, schlich wehleidig durch die nackte Altbauwohnung und erzählte ihrerseits Geschichten… Die Familienchronik seit 1900… Die Erinnerungen, die so unzertrennlich mit den Räumen verbunden waren… Anekdoten über die Söhne und ihre längst vergangenen Lausbubereien und über den tyrannischen Vater… Die Entbehrungen… Die Appelle an den Bruder, er solle sich ein Beispiel am Wiesel nehmen… Es war wie in einem Roman… Der tyrannische Vater war nach seinem Tod von dem tyrannischen Sohn abgelöst worden, der jetzt seinerseits die Familie fertig machte. Ein Festmarsch der Stereotype… Man verwies die alte Frau barsch auf ihren Platz, einen zurückgelassenen Stuhl in der Küche, zurück… Es wurde gearbeitet.

      Trotz alldem versammelten sich die Mitglieder dieser Bilderbuchfamilie immer mal wieder. Meist geschah das, wenn die alte Rostlaube, des Bruders mit billigsten Mitteln zusammengeflickt werden musste… Und immer wieder kündigte man es uns mit unheilvollem Unterton an, wie den Ausbruch einer Seuche… Ich fragte mich, ob das die Art des Bruders darstellte, sich für die ihm angetanen Feindseligkeiten zu rächen.

      …

      Der Glaube, ich würde nie wieder ein Auto zu Gesicht bekommen, mauerte sich in meine Gedanken ein und hinter dieser Mauer hörte ich mich ein beständiges, von der Mauer zurückgeworfenes Echo fragen, wie nur das Wiesel den Laden am Laufen hielte… Zwar bezahlte es uns mies, aber nicht alle seine Ausgaben ließen sich von Ersparnissen durch das Vergeben von Dumpinglöhnen wettmachen, irgendwo musste ja Geld herkommen, damit es sich seinen Dosenfraß leisten und seine Autos und den Lkw unterhalten konnte… Die Unsummen an Geld, die es für Baumaterialien, Benzin und Diesel, die ständigen Investitionen in seinen Fuhrpark und lauter technische Spielereien für seinen Haushalt herauswarf… Konnte es das allen Ernstes einsparen, indem es kein Werkzeug anschaffte?… Spezialwerkzeug wurde mit Mühe und Not selbst gebaut… Sechs Jahre lang mussten ich und andere Bremskolben mit einer umgebauten Schraubzwinge zurückstellen… So lernte man improvisieren… Wie viel konnte man sparen, indem man Privatkleidung entbehrte… Sie verbrachten vierundzwanzig mal sieben mal zweiundfünfzig in Arbeitskluft, ergänzt durch ein paar geschmacklose alte Lumpen, die schon in den frühen Neunzigern lächerlich gewesen sein mussten… Einmal im Monat fuhren sie nachmittags los, um Tiefkühlkost, Konserven und Dosenfutter auf Vorrat zu besorgen. Kamen sie wieder, musste man ihnen helfen, den überladenen Pannenwagen auszuräumen und die bis zum Platzen aufgeblähten Taschen in die Wohnung zu schleppen… So hatte ich mir schon immer das Leben als Unternehmer vorgestellt.

      Es gab vereinzelt Zeiten, da gingen selbst dem Wiesel die Ideen aus, mit denen es die Belegschaft unter Strom hielt. Für gewöhnlich verkroch es sich dann in der Wohnung. Es ließ uns für eine Weile allein, schlich sich jedoch immer wieder heran, um zu sehen, wie man sich die Zeit totschlug. Ich beobachtete den Kollegen in toten Winkeln, sicher vor den Kameras versteckt und wie er von dort aus lauschte, ob jemand kam. Manchmal tat ich es ihm gleich… Ähnlich wie damals Schmörgel, nahm ich mir immer Putzzeug mit ins Versteck, das mir ein Alibi verschaffen sollte, sorgte aber dafür, dass immer ein Häufchen Dreck auf meiner Kehrschaufel zu sehen war, oder dass Schränke abgerückt und befeuchtet waren… Das funktionierte gerade im Winter gut, wenn die Tore die Kälte vom Eindringen abhielten. Man konnte sich dann in einer Ecke der Werkstatt verschanzen und die Tore im Blick behalten, so war man schon früh vor den Vorgesetzten gewarnt und im Falle einer Feindsicht fing man schnell damit an, einen beschäftigten Eindruck zu machen… Diese Tage zogen sich jedoch, gerade wegen des Nichtstuns, wie ein unendlicher Kaugummifaden gnadenlos in die Länge… Der lahmende Gang der Zeiger… In meiner Verzweiflung putzte, fegte und bohnerte ich alles, was sich in den Räumen befand… Ich bekam die tollsten Einfälle… Das Werkzeug, die Schränke und Schubläden, die Hebebühnen, die Türen, die Fenster, die Autos, jeden Raum fegte ich zwei Millionen Mal aus, putzte das Klo, den Pausenraum, schnappte mir eine Leiter und putzte die Lampen… Den Ölwagen, die Ölwannen, Ölfässer und die Tore der beiden Hallen, den Abgastester, die Aschenbecher… Und was noch alles.

      Zu allem Übel passierte es an solchen Tagen oft genug, dass kurz vor Feierabend, mit dem Geifer eines tollwütigen Affen vor dem Maul, irgendein Spinner aus dem Nichts auftauchte, weil ihm plötzlich eingefallen war, dass es an seiner verdreckten Rostlaube noch etwas zu