Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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sah hielt er beschwichtigend die Hand aus.

      »Na, dass du Scheiße gelabert hast!«

      Ich wartete darauf, dass er auflegen würde und mich darüber aufklären, mit wem er auf der anderen Seite des Äthers argumentierte.

      »So ein dreckiger Dummschwätzer! Der plappert alles Mögliche aus… Kann einfach seinen Rand nicht halten!«

      »War das etwa der mit dem komischen Namen? Der vom Handball? Der blonde mit dem Entenarsch, der Schrumpfnudel und dem Wasserkopf?…« Sascha nickte… »Wie heißt er noch gleich?… Munkel?«

      »Ja! Scheiße nochmal! Warum haben wir nur ausgerechnet dem was zu Rauchen besorgt?«

      Offenbar hatte der Dummschwätzer einem der anderen Jungs aus dem Handballverein vertrauliche Informationen über unseren gelegentlichen Zeitvertreib weitergegeben… An einen, der eine ebenso große Traschtrine war… Nun erschien Saschas Sorge berechtigt, das Gerede könne sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Wer hatte schon Lust von seinen Vereinskollegen, zu einem Gespräch über die Gefahren des Drogenkonsums einberufen, geschweige denn abschätzig als verkorkster Kiffer belächelt zu werden… Aber hatte es wirklich etwas mit mir zu tun?… War es gleichwohl ein Belang meines Ansehens?… Musste es wohl… Tatsächlich schien die Meinung anderer Leute über uns eine gewisse Wichtigkeit zu haben… Die Freuden des wohlbehüteten Zusammenlebens mit der Gemeinschaft. Freuden der Koexistenz mit Gaffern und Schwätzern.

      Wir gingen wieder rein, aber von da an lag der Eklat, die drohende Entlarvung wie ein Schatten über unseren Gemütern… Wir beschlossen, uns richtig volllaufen zu lassen, angesichts dieses drohenden Debakels… Bald folgte ein weiterer Anruf… Sascha hatte sich in den Kopf gesetzt, den Dummschwätzer durch Drohungen zum Schweigen zu bringen… Zu jenem Zeitpunkt, da schon alles ausgesprochen war?

      Ich folgte ihm wieder nach draußen, um das Gespräch zu verfolgen und versuchte, schon ziemlich besoffen, durch mein Zureden die Situation zu entschärfen. Stattdessen… Brachte ich es nur zu unüberlegtem Gestammel, mit dem ich ihn in seinen Plänen bekräftigte.

      »Hey Sascha… Sascha! Sascha hör mir zu… Wir schnappen uns den nomma… Awer nich jezz… Jezz wolln wir doch feiern…« Drohend wiederholte er einen Teil meiner Worte ins Telefon… »Ey du weißt irgendwann treffe ich dich noch mal auf der Straße«, warnte er noch und legte auf… Dann sah er mich mit seinem vor Wut bebenden Gesicht an.

      »Mann Sascha lassas sein. Wir lassn uns doch wegn dem Wichser nich den ganzen Awend verderwen. Ffffrüheroderscchpäter schnappen wir uns den nommal… Wartssnurab.«

      Währenddessen hatten ein paar der anderen noch das letzte bisschen Wind bekommen, indem sie uns gefolgt waren und das seltsame Spektakel aus sicherer Ferne betrachtet hatten. Sie schleiften uns wieder mit rein. Die Party musste am Leben erhalten werden.

      Zu allem Übel hatte Marie, die Nichtraucherin war und an unseren wunderlichen Aktivitäten scheinbar nur oberflächlich interessiert, sich dazu entschlossen, ihre unbeaufsichtigte Zeit zu nutzen, indem sie ein wenig mein Zimmer erkundete. Gerade wieder zur Tür herein, sah man sie in meinem Drogenversteck herumkramen.

      »Na was haben wir denn hier?«, sagte sie, sich zu uns umdrehend und hielt ein Plastikbeutelchen Gras, dass sie provokativ, zwischen dem von sich gestreckten Daumen und Zeigefinger, baumeln ließ… Die Angst aufgrund dieses Fundes für das Mädchen nicht mehr als Sexualpartner in Frage zu kommen, war genauso bescheuert wie uneinsichtig um meine sowieso bescheidenen Chancen, doch sie übermannte mich mit absoluter Gewalt… Sie schien in ähnlichem Maße auch Sascha übermannt zu haben, denn er machte auf den Fersen kehrt verließ fluchtartig das Haus.

      Ich steigerte mich schließlich in eine sonderbare Wutfantasie hinein, versuchte tunlichst allen Beobachtern meines betrunkenen Wahns klarzumachen wie egal mir doch sei, dass die Party derart aus dem Ruder gelaufen war, bemühte mich um eine Rechtfertigung für das Kiffen und begann damit, nur noch im Flüsterton zu sprechen… Solange bis ich mich gar nicht mehr darum zu bemühen brauchte, wurde meine Stimme doch irgendwann von selbst heiser… Dermaßen geblendet, bekam ich es zuerst nicht mit, dass ich wie ein plappernder Irrer einen Monolog hielt, gegenüber Leuten, die sich größte Mühe geben mussten, sich vor Lachen nicht zu bepissen und es mich nicht bemerken zu lassen.

      Es verbleiben nur noch ein oder zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang. Irgendetwas geschah, dass die letzten kümmerlichen Barrieren der Beherrschung in meinem Kopf niederrissen. Ich stand von meinem Platz auf, gab noch irgendetwas wütendes und dummes von mir, dann ging ich schnell in eine Abwärtsbewegung und schlug mit der rechten Faust auf den Boden. Kurz fuhr ein heftiger Schmerz durch meinen Arm. Erschrocken fluchte ich und betrachtete meine Hand. Der Schreck und der Schmerz holten mich wieder ein paar Schritte an die Realität heran. Mit voller Kraft hatte ich auf die harten Fliesen, die nur von einem dünnen Teppich bedeckt waren, geschlagen.

      Das letzte bisschen Spaß war vernichtet… Von mir totgeschlagen. Die verbliebenen Gäste saßen größtenteils fassungslos herum und beobachteten ein Häufchen Elend, das auf dem Teppich vor dem Tisch hockte und ungläubig und ängstlich die immer dicker werdende Hand abtastete… Das bald mit einer Befragung anfing, ob man es für einen Bruch hielte und verzweifelt versuchte, sich zu beruhigen sich einredete, dass seine Hand nur geprellt sein müsse, es sich aber selbst nicht so ganz glauben wollte… Schließlich hatte ich mir schon einmal zwei Mittelhandknochen der rechten gebrochen. Mit vierzehn bei einer Schlägerei in der Schule… Das Fühlte sich so verdammt ähnlich an… Und sie beobachteten mich, dieses Häufchen Elend und wussten nicht, was tun.

      Marie setzte sich zu mir… »Mensch was machst du denn auch für eine Scheiße?…« Und umarmte mich ein bisschen… »Komm her lass mich mal sehen«, sagte sie, langte nach meiner Hand zog sie zur Betrachtung heran und lachte dabei mitleidig… Hexenwerk!… Sie war die ganze Zeit über so gut wie nüchtern geblieben… Was hatte die für eine Geduld.

      »Kannst du eine Faust ballen?…« Ich versuchte es… »Tut es weh?…« Und sie tastete die Knochen hinter den Gelenken ab… »Und wenn die die Finger bewegst?«

      »Ich weiß nicht«, sagte ich und versuchte, es halbwegs besonnen klingen zu lassen… »Es tut schon weh aber… Der Alkohol…«

      »Der betäubt. Ja… Damit solltest du auf jeden Fall morgen zum Arzt… Komm, wir helfen dir noch ein Bisschen beim Aufräumen«, beschloss sie letztendlich.

      Die Verbleibenden folgten ihrem Beschluss. Wir beseitigten die gröbsten Nachweise unseres amateurhaften Gelages.

      Oh, die Jugend! Oh, die Kontrollverluste, die noch echt waren… Im Unwillen dazu entstanden… Unfreiwillige Komik. Man könnte fast darüber… Naja… Man sollte nicht gleich sentimental werden.

      …

      Der Nächste Tag gestaltete sich als einziges Bereuen, das mit dem Aufwachen spät nachmittags begann und einherging mit dem Gefühl vom bösen, schwarzen Affen Exzess vergewaltigt geworden zu sein, dieser Vergewaltigung dabei auch noch zugestimmt zu haben… In der Benebelung… Und hinterher, halbtot und zusätzlich verunsichert wegen meiner Hand, auch nach dem Vergehen des Rausches noch nicht wieder ich selbst zu sein.

      Nachdem ich aufgestanden war, verbunkerte ich mich zunächst in meinem Kellerzimmer, zog meine Vorhänge zu, saß apathisch herum und befühlte meine geschwollene Hand. Die Finger konnte ich kaum bewegen, es schmerzte nicht sehr stark, doch ich bildete mir ein, von den nächtlichen Ausartungen und dem ganzen Fusel immer noch betäubt zu sein. Ich tastete den Mittelhandknochen unterm kleinen Finger ab und meinte, eine Bruchstelle fühlen zu können… Was würde bloß am folgenden Tage sein, wenn ich wieder zur Arbeit musste?… Ein schweißtreibendes Grauen davor zerrte an meinen Eingeweiden, dem Magen, der Lunge und mir wurde davon noch übler als mir so schon war… Von dem schalen Geruch des Zimmers, das noch nicht befreit worden war, von den Ausdünstungen, die dort drinnen tobten… Der Tisch verkrustet von Staub, Bier, Schnaps, Krümeln und was noch für Überresten der Nacht… Von dem Wissen darum, wie meine Arbeitgeber allein auf Ausfälle bedingt durch Krankheit reagierten… Auf dem Weg, eine Dusche zu nehmen,