Lowlife. Julian Wendel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Wendel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750211179
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Zug eingesogen hatte… Atze, die hinterhältige Sau, hatte die Vorarbeit mit geübten Lungen besorgt und hielt mir die Pfeife hin… »Los jetzt, bevor der Rauch kalt wird… Dann wirds eklig«, hatte er mir bedeutet.

      Dann war ich, hustend bemüht den Qualm wieder von mir zu geben, begleitet von Atzes Lachen, der mir die Pfeife abnahm, mit zugekniffenen Augen auf die kühle Oberfläche des Ledersofas gesunken… Und hörte, während der erste, heftige Schwindel langsam abbaute und unwirklicher wurde, der Musik zu… Den entschleunigten Bässen. Ab und zu überkam mich wieder der Hustenreiz und ich griff nach der Flasche Bier, die vor mir auf dem von hundert Händen bekritzelten und bemalten Tisch stand, neben dem Aschenbecher, und der Wasserpfeife mit der bräunlichen Brühe darin… Atze leerte den Kopf für mich und setzte sich in seinen Sessel.

      In jenem statischen Refugium der Intoxikation versank ich langsam in Betrachtungen… Osterferien… Eine so völlig andere Bedeutung dieses Begriffs hatte ich mir noch vor einem Jahr, vor Beginn der Ausbildung, nicht träumen lassen… Wochenlang nur Arbeit, Arbeit, Arbeit… Es würde einen vielleicht noch bescheuert machen… Eine noch längere Periode würden die Sommerferien bringen… Dann doch lieber zur Berufsschule gehen… Und dann verglich ich diese Art des Marihuanarausches mit den ersten Erfahrungen, die ich mit dreizehn im Schwimmbad mit der Droge gemacht hatte… Und lachte wie betäubt in mich hinein… Beim ersten Mal knallts nicht, hatten sie alle gesagt… Es war weder etwas spektakuläres, noch irgendetwas lustiges oder besonderes daran gewesen, nicht so wie ich es mir erhofft hatte. Es erfasste mich nichts, was einem veränderten Bewusstseinszustand glich, oder zumindest nichts, was mein präpubertäres Gehirn als einen solchen wahrgenommen hätte… Und nun… Das war schon etwas anderes als die Wirkung eines Joints.

      Sascha saß aufrecht neben mir und befühlte die frisch befüllten Beutel, die ihm Atze herübergeschoben hatte, öffnete einen davon und streute etwas auf ein Papier, dass auf dem Tisch lag. Ich dachte an das eilige Treffen mit Sascha, an den Weg, den wir zu Fuß über die Felder in dieses Dorf außerhalb unseres Wohngebietes zurückgelegt hatten und sah ihm zu, wie er das Gras mit Tabak vermischte… Träge griff ich zu dem anderen Beutel, den er neben sich auf das Sofa gelegt hatte. Er blickte von dem Papier auf, zu mir herüber, so als wäre er kurz abgelenkt… Starr blieb ich sitzen, nickte Atze zu, der mich aus seinem Sessel beobachtend angrinste, steckte den Beutel ein, und ließ den Fokus meines Blickes durch die Staudammwände des Zimmers hindurch ins Unendliche gleiten… Das künstliche Gefühl von Isolation, zusammen in einem Raum mit anderen, war überwältigend. Gleichzeitig wusste ich, dass man so gut wie unmöglich je wirklich allein sein konnte… Unweigerlich fiel mir die Arbeit wieder ein… Eine ziellose Hatz von Woche zu Woche… Ziellos? Nein, es gab ein Ziel… Nebelartig schwebte mir vor, dass es meine Aufgabe, oder mein Ziel sein sollte, den Mist durchzuziehen… Doch dieses Ziel befand sich hinter der Spitze eines drohenden Berges, bewachsen von Glut und kalten Klingen, dahinter die trüben Spähren der Linderung, die mir so unerkennbar schienen… Der Aufstieg… Ein Gefühl, was mir wesentlich näher war, als der noch so ungreifbare Moment des Sieges… Der Linderung… Das Ziel… War mir nie zuvor unwirklicher vorgekommen, als in diesem Moment des stillen Nachdenkens.

      »Sag mal Atze«, sprach Saschas Stimme in den Raum hinein… »Was hast du eigentlich so getrieben nach der Schule?«

      »Ach, alles Mögliche. Ich hab ne Lehre als Koch angefangen, aber der Laden is… Naja… Ich hab Ärger mit den Bullen bekommen, Führerschein is auch weg und da haben die mich rausgeworfen… Jetzt, fahr ich halt mit den Öffentlichen, jobbe nen bisschen und verdien auch so genug Kohle, nebenbei…« Sascha nickte ihm zu und kramte sein Feuerzeug herbei, schüttelte die Arme und Schultern, wie jemand der sich zum Sport locker machte und sah die vor sich stehende Pfeife an… Es gab keine weiteren Fragen angesichts Atzes wie einstudiert wirkender Beschreibung seiner Umstände.

      »Hier draußen is ja sonst nich viel los und irgendwer muss die Leute ja versorgen… Hätte nicht gedacht, dass ich euch Beiden so mal wieder treffe, nach der Schule.«

      Eine gewisse Freude beschwingte seine Stimme, die gleichzeitig ein leichtes Amüsement nicht verbarg… Dann kam die unvermeidliche Frage.

      »Wie lange rauchter denn schon?«

      »Was meinst du?…« Und Sascha sah fragend zu mir herüber. Ich richtete mich ein wenig auf und griff nach meinem Bier… »Eineinhalb, zwei Jahre… Meist an den Wochenenden…« Und überlegte, in wie weit das noch zutraf… »Oder zum Feierabend.«

      »In der Stadt hamse einen hochgenommen, hab ich gehört.« Sascha biss sich auf die verschränkte Unterlippe und blickte ab, bevor er die indirekte Frage beantwortete.

      »Ja habs auch gehört… Vom Klassenkameraden aus der Berufsschule, bei dem ich immer geholt habe… Und der hat seins wohl von dem bekommen«, gab er zu.

      »Ist immer gut, wenn man noch andere Quellen bereit hat.«

      Die Pfeife blubberte… Es würde wohl ein langer Sommer werden… Er würde wohl noch viel länger werden, wenn meinem Gnadengesuch um Urlaub vielleicht doch noch fruchtbaren Boden erreichen würde… Zu mehr als einem… »Wir müssen erst mal sehen wie es mit den Aufträgen aussieht…« Hatte es nicht gereicht… Ich würde die Hoffnung wohl aufgeben und stupide weitermachen müssen… Mich in der Werkstatt kaputtschwitzen und erst des Abends abhauen können, um mir ein bisschen Frieden, Spaß und ein von Cannabiskonsum verzerrtes Zeitgefühl zu gönnen.

      Durch den Rauch, den Sascha ausgestoßen und sich danach mir ganz ähnlich zurück aufs Sofa gesetzt hatte, und der sich langsam kräuselnd ausbreitete, betrachtete ich diesen ehemaligen Schulkameraden, der zwei Jahre eher mit seinem Realabschluss abgegangen war, jetzt in sein Handy vertieft, irgendwelche Nachrichten schreibend… Und versuchte mich zu erinnern, welche Rolle er damals in dieser zusammengeworfenen Gemeinschaft Heranwachsender gespielt hatte.

      Zuerst bemerkte ich ihn auf den Gängen vor den Werkräumen, wie er in mit Aufnähern übersäten Baggyjeans und einem labbrigen roten T-Shirt herumlungerte… Dann entdeckte er kurzweilig eine rechte Gesinnung, hörte sich Landser, die Weißen Wölfe und weiß der Geier was an… Spuckte vor dem Klo auf und ab tretend und eine Zigarette in der Handhöhle haltend vor mir aus, da ich als Punk aufgemacht an ihm vorbeigehend sein Feindbild verkörperte… Etwas später besann er sich zurück auf Hip Hop und Kiffen… Wurde mal mit diesen und jenen Unruhestiftern gesehen, zu denen er auf perfide Art kurzweilige Freundschaften aufbaute.

      Atze legte sein Handy weg und ließ eine neue Runde Bier durchgehen… Total zugedröhnt mit schwerem Schädel, beobachtete ich, wie er eine dicke Platte Braunes hervorholte und sie präsentierte… Er redete fachsimpelnd über Hasch… Den Produktionsprozess… Wie sie die Harze pressen würden… Über Herkunftsorte… Afghanistan… Marokko… Den Libanon.

      Zu späterer Stunde und bei dickerer Luft, war man letztlich wie katatonisch und mit dem Sofa verwachsen. Die Musik drang leiser ans Ohr, als noch im frühen Stadium des Rausches, und spielte doch tieferen Wiederklang in den dahinterliegenden Windungen, wo sich mir ungeahnte, zähflüssige Welten auftaten… Wo ein Gedanke den anderen jagte und wo ich kaum noch Notwendigkeit empfand, mit meiner Umwelt zu interagieren… Man konnte problemlos abschalten… Zumindest für eine Weile.

      Eine unartikulierte Stimme drang dumpf durch das Gebälk von oben. Die Blicke schnellten auf, verweilten suchend und wanderten dann von Gesicht zu Gesicht… Atze war es, der daraufhin das Wort ergriff.

      »Mein Vatter brüllt schon wieder… Ich will ihm mal sein Fläschchen geben«, witzelte er müde, sah Sascha und mich an und wieder zur Decke des Kellerraums hinauf, wobei er sein Basecap ein wenig aus der Stirn rückte, und lachte kurz, abgehackt und gleichgültig vor sich hin… »Jungs, hat mich gefreut…« Ein Lächeln bezog seine schmalen, blassen Lippen… »Bis bald mal wieder…« Und er stand auf, ging am Tisch vorbei und holte zu einem großzügigen Handschlag aus… Dann begab er sich nach oben… »Ihr wisst ja wo die Tür ist.«

      Zutiefst beeindruckt und bereit, es auf eine Wiederholung des Geschehenen anzulegen, unterhielt ich mich mit Sascha, während wir aus dem Dorf hinaus spazierten, das Backsteinhaus, mit dem abblätternden gelben