Zwanzig Fässer westwärts. Thomas Staack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Staack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844265491
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sein. Auf das Risiko verzichten wir lieber. Außerdem scheint ihr nicht zu wissen, dass Zauberei in Falkenstein seit langer Zeit verboten ist, seit der Hohe Fürst den Zirkel der Zauberer aufgelöst hat. Also, hütet eure Zunge oder man wird sie euch stutzen.“

       „Verboten?“ Sokrates geriet leicht in Panik. „Wie kann man Magie verbieten? Das ist ungeheuerlich, barbarisch geradezu!“

       „Nennt es, wie ihr wollt“, gab Martin barsch zurück, „aber steigt ab und macht euch davon!“

       „Wartet, so wartet doch! Bitte setzt mich hier nicht aus! Nicht hier, ihr könntet mich doch nur ein Stück mitnehmen…vielleicht…bis zum nächsten Gasthaus oder Dorf, an dem ihr vorbei kommt. Das würde mir schon helfen, ich würde mich auch erkenntlich zeigen.“

       „Wie?“ Nachdenklich knete Lucas seine Oberlippe. „Wie wollt ihr euch erkenntlich zeigen?“

       „Hiermit zum Beispiel.“ Der bärtige Mann aus dem fernen Land Salakis kramte in seiner Manteltasche und holte einen schwarzen Stein hervor, in den ein einzelnes Symbol gemeißelt war. „Das ist eine Rune des Feuers. Ihr könnt sie zum Beispiel jeden Abend benutzen, um ein Lagerfeuer zu entfachen.“

       „Jeden Abend? Bei Wind und Wetter?“

       „Ja, sie ist sehr zuverlässig und ihre Magie ist langlebig.“

       Martin winkte ab. „Vergesst es. Das ist Teufelszeug! Hier wird nicht gefeilscht! Runter vom Wagen!“

       Lucas hob einen Zeigefinger. „Ich hätte daran Interesse.“

       „Was?“ Mit großen Augen glotzte Martin Lucas an. „Einen Moment!“

       Er sprang vom Kutschbock, packte seinen Freund am Kragen und nahm ihn ein Stück zu Seite.

       „Bist Du übergeschnappt? Was soll das? Was willst du mit dem Hexenwerk?“

       Gier funkelte in Lucas' Augen. „Wir könnten noch ein bisschen Geld nebenbei verdienen. Runensteine sollen selten und sehr wertvoll sein. Ich habe noch nie einen gesehen, aber schon viel darüber gehört. Wir könnten den Stein in Falkenberg teuer verkaufen.“

       „Ach ja?“ Martin war genervt. „Wertvoll? Das mag sein, aber bestimmt auch gefährlich.“

       Er verzog das Gesicht und deutete mit dem Finger auf Sokrates. „Genau wie sein Besitzer. Willst du ihn tatsächlich mitnehmen? Der komische Geselle könnte uns im Schlaf erdolchen oder uns Schlimmeres antun mit seinem magischen Firlefanz.“

       „Martin, beruhige dich“, sagte Lucas und lächelte milde. „Schau ihn dir genau an. Hälst du ihn wirklich für gefährlich? Denk an gestern Abend, an diese Szene in der Kneipe. Der Mann ist an Harmlosigkeit nicht zu überbieten. Ihn gegen Geld mitzunehmen, halte ich für ein gutes zweites Geschäft.“

       „Das ist Zauberkram! Wenn wir mit dem Runenstein erwischt werden, hängen wir am nächsten Baum!“

       „Und? Das Wagnis gehe ich fast jeden Tag ein. Was glaubst du, was geschieht, wenn ich bei einem Einbruch erwischt werde? Außerdem sieht das Ding wie ein ganz normaler Stein aus. Wer weiß schon, dass er verzaubert ist? Eine wertvolle Rune für eine kurze Fahrt zum nächsten Gasthaus sollten wir uns nicht entgehen lassen.“

       Martin starrte ihn an. In stetem Wechsel huschten seine Augen von Lucas zu Sokrates und wieder zurück. Beinahe konnte Lucas die Gedanken durch seinen Kopf schwirren hören und unschwer erraten, womit sie sich beschäftigten.

       „Ach, zum Teufel noch eins!“, rief Martin schließlich. „Von mir aus! Er kann mitfahren, aber nur bis zum nächsten Gasthaus. Kein Radumdrehung weiter!“

       „Danke, ich danke euch!“, entfuhr es Sokrates. Schwerfällig hüpfte er vom Wagen und wollte Martins Hand ergreifen. Doch Martin verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. Statt dessen ergriff der Runenmeister Lucas' rechte Hand und schüttelte sie kräftig durch. „Ich seid sehr gütig.“

       „Nicht ohne Gegenleistung.“ Fordernd streckte ihm Lucas die freie Hand entgegen.

       Sokrates aber rümpfte die Nase und zog sich wieder auf den Wagen zurück. „Noch nicht, meine Herren! Die Rune ist zu wertvoll, um sie als Vorschuss herzugeben. Wenn ihr mich zum Gasthaus gebracht habt, sollt ihr sie haben.“

       „Darauf könnt ihr euch verlassen“, knurrte Martin. „Wenn ihr sie dann nicht herausrückt, werde ich mit meinem Schwert nachhelfen.“

       Drohend wandte er sich an Lucas. „Ich hoffe für dich, dass wir mit dem Kerl keine unangenehmen Überraschungen erleben. Das Ganze könnte ein Geschäft zu viel sein.“

       Er schob Lucas auf das Gespann zu, doch sein Freund drückte seinen Arm zur Seite.

       „Warte! Bei der Gelegenheit können wir uns gleich einmal ansehen, ob wir keinem Schwindel aufgesessen sind.“

       „Was meinst du?“, fragte Martin verwirrt.

       Lucas klopfte gegen ein Rumfass. „Nun, wer weiß, was wirklich in diesen Fässern ist? Am besten wir sehen nach, bevor wir weit von Ostwall entfernt sind, damit die Fahrt nicht umsonst ist. Komm, pack mit an!“

       Unter Sokrates' neugierigen Blicken lösten sie die Halteseile und hievten ein Fass vom Wagen. Lucas zog den Holzstopfen aus dem Loch des Fasses, sah hinein und roch daran.

       „Es riecht wie Rum.“

       Er steckte einen Zeigefinger durch das Loch, zog ihn wieder heraus und leckte ihn ab.

       „Es schmeckt auch wie Rum.“

       Martin probierte ebenfalls ihre Ware. „Eindeutig Rum, ziemlich guter sogar. Es scheint mir, als ob Erasmus zurecht stolz auf seinen Wintertraum ist.“

       „Darf ich auch davon kosten?“ Genüsslich fuhr sich Sokrates mit der Zunge über die Lippen. „In meiner Heimat legen wir viel Wert auf einen köstlichen Trunk, vor allem ist Salakis für seine Weine bekannt.“

       „Auf keine Fall!“, bestimmte Martin. „Wer weiß, was du mit deinen Händen anrichten kannst, Schwarzmagier! Womöglich geht unsere kostbare Ware in Flammen auf!“

       Mürrisch folgte er Lucas, der mit einem Kopfschütteln zurück auf den Kutschbock kletterte und die Pferde antrieb, während Sokrates' enttäuschter Blick auf ihnen ruhte.

      Drittes Kapitel

       Geräusche

      Tagelang folgten sie der Großen Straße des Westens. Die Gehöfte am Straßenrand wurden spärlicher und die Dörfer, die Lucas in der Ferne erblicken konnte, immer weniger. Er und Martin wollten schnell vorankommen, daher waren sie sich einig, wegen Sokrates keinen Umweg in Kauf zu nehmen. Vielmehr fassten sie den Entschluss, ihn an einem der Gasthäuser an der Straße abzusetzen. Tag für Tag hielten sie danach Ausschau, aber in dieser Gegend schien es nicht eine einzige Gaststube entlang der Straße zu geben. Statt dessen tröstete Lucas der Umstand, dass sie gut vorankamen. Die Straße war trocken und ebenerdig, zu Anfang sogar gepflastert, die schwarzen Hengste waren kräftig, lebhaft und ausgeruht und schlugen ein hohes Tempo an. Abends wärmten sie sich am Lagerfeuer und schliefen nachts auf Wolldecken am Wegesrand oder bei leichtem Regen unter dem Wagen. Zu Anfang ihrer Reise kamen ihnen häufig andere Fuhrleute entgegen, die sie fröhlich grüßten und ein Schwätzchen über die Zustände in Ostwall mit ihnen hielten. Je weiter sie fuhren, desto weniger Wagen begegneten ihnen, bis Lucas schließlich das Gefühl hatte, allein unterwegs zu sein. Langsam verschlechterte sich der Zustand der Straße. Der Boden wurde steinig, wies Kuhlen und eingetrocknete Fahrrillen auf. Gelegentlich mussten sie einen Findling umfahren, der sich über Jahre aus dem Sand gegraben hatte.

       Eines Morgens waren sie erst ein paar Stunden unterwegs, als Geräusche abseits der Straße ihre Aufmerksamkeit erregten.

       „Hörst du das?“, fragte Lucas, an Martin gewandt.

       „Natürlich“, brummte Martin. „Was soll die Frage? Jedem tauben Ochsen im Umkreis von fünfhundert Schritten würden das nicht entgegen. Was mag das sein?“

       Sie lauschten angestrengt. Es klang wie Geschrei, wie ein wildes Rauschen, Knirschen und Knacken. Und es kam aus dem Waldstück am