Zwanzig Fässer westwärts. Thomas Staack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Staack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844265491
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Ausrüstung der Kopfgeldjäger herum. „Ah, hier.“

       Einer Tasche entnahm er einen üppigen Rinderknochen und hielt ihn dem Tier vor die Schnauze.

       „Schau mal, etwas Leckeres für dich,“ säuselte er und zog den großen Hund an der Schulter zurück.

       Vergnügt jaulte das Tier, ließ von Sokrates ab und schnappte sich den Knochen. Seine Kiefer zermalmten ihn in wenigen Zügen. Schwerfällig richtete sich Sokrates auf, rang nach Luft und rieb sich den geröteten Hals.

       „Bei allen Gottheiten“, krächzte er. „Was ist das für eine Höllenbestie? Beinahe hätte sie mich umgebracht. Schickt sie fort!“

       Martin nickte. „Ganz meine Meinung.“

       „Das kommt nicht in Frage!“ Unbeirrt schüttelte Lucas den Kopf. „Der Hund muss sich nur ein bisschen an uns gewöhnen. Bestimmt wollte er nur spielen.“

       Er klopfte dem Tier auf den Rücken und warf Sokrates einen missbilligenden Blick zu. „Offensichtlich mag er keine Schwarzmagier. Das kann ich ihm nicht verübeln.“

       Nachdenklich massierte Martin seine Schläfen. „Das wiederum macht ihn mir sympathisch. Vielleicht sollten wir ihn doch behalten. Außerdem weiß ich, was für ein unerträglicher Dickkopf du sein kannst, wenn es darum geht, deinen Willen durchzusetzen. Darunter mussten schon deine Eltern leiden. Wenn du den Hund unbedingt dabei haben willst, dann soll es so sein.“

       Er setzte Lucas die Faust auf die Brust. „Aber du bist für ihn verantwortlich! Pass gefälligst auf, dass er uns nicht allen im Schlaf die Kehle durchbeißt!“

       Sokrates erhob die Armen zum Himmel. „Die Götter mögen uns gnädig sein!“

       Belustigt rieb sich Lucas das Kinn. „Ich sollte ihm einen Namen geben.“

       „Höllenbestie“, schlug Sokrates vor.

       „Menschenfresser?“, warf Martin spöttisch ein.

       Lucas wiegelte ab. „Unsinn.“

       Er dachte angestrengt nach. „Flohfänger vielleicht? Wie gefällt dir das?“

       Der Vierbeiner knurrte angsteinflößend.

       „Gut, gut“, meinte Lucas. „Das ist kein schöner Name, ich gebe es zu.“

       Er kratzte sich am Hinterkopf. „Staubteufel?“

       Erneut knurrte das Tier und fletschte die Zähne so bedrohlich, dass Martin und Sokrates ein Stück von ihm wegrückten.

       Lucas hingegen nickte verständnisvoll. „Auch nicht besser. Namen waren nie meine Stärke, musst du wissen. Ich kann sie mir nicht einmal merken. Mein Großvater Fritz war ganz anders. Er hatte ein überragendes Namensgedächtnis und konnte sich an Menschen erinnern, die...“

       Ein freudiges Bellen des Hundes unterbrach ihn.

       „Was ist?“ Lucas war verstört. „Magst du etwa den Namen Fritz?“

       Das Tier kläffte zweimal. Es klang zufrieden.

       „Gern“, stimmte Lucas zu und grinste breit. „Dann werde ich dich Fritz nennen. Das kann ich mir gut merken und mein seliger Großvater wird wohl nichts dagegen haben, vermute ich. Beschweren kann er sich jedenfalls nicht mehr.“

       Liebevoll streichelte er das Tier im Nacken.

       „Jetzt suchen sich Tiere ihre Namen schon selber aus!“ Martin zog eine Augenbraue hoch. „Du kannst einen Hund doch nicht Fritz nennen!“

       „Warum nicht?“, fragte Lucas ungläubig.

       „Das ist ein Name für Menschen, nicht für Tiere.“

       „Und man darf Tieren keine menschlichen Namen geben?“

       „Nein, auf keinen Fall.“

       Lucas lächelte schief. „Warum hat dann der Bauer in unserem Heimatdorf eines seiner Schafe Martin genannt?“

       „Das...war...etwas anderes....“ Martins Gesicht färbte sich rot. „Vergiss es einfach! Nenn diesen Hund, wie du willst!“

       „Du trägst den Namen eines Schafs?“, fragte Sokrates nach. „In meinem Land ist das eine große Ehre, insbesondere wenn man nach einem Pferd oder einem Rind benannt wird, dann...“

       „Halt die Klappe!“ schrie ihn Martin an. Er und Lucas warfen sich amüsierte Blicke zu, während sich Sokrates schmollend auf die Fässer setzte und die Hände auf das Kinn stützte.

      Fünftes Kapitel

       Im Regen

      Tag für Tag stand die warme Frühlingssonne am wolkenlosen Himmel, und die Große Straße des Westens war trocken und staubig. Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet. Tagsüber reisten sie, nachts schliefen sie auf Decken im hohen Gras oder auf weichem Waldboden. Und in dieser Zeit lernten Martin und Lucas den Runenmeister besser kennen. Sokrates erzählte von seinem Heimatland Salakis, weit jenseits der Schwarzen Berge, von seinem Vater, einem Kaufmann, der ihn in der Sprache Falkensteins unterrichtet hatte, von seinen braungebrannten, schwarzbärtigen Landsleuten und vor allem vom Wein.

       „Das Wetter erinnert mich an meine Heimat“, sagte er eines Abends und starrte wehmütig ins Lagerfeuer.“ In meinem Land scheint immer die Sonne, und der Himmel ist blau. Hier ist es meistens bewölkt, windig und feucht. In Salakis ist es so warm, dass man fast das ganze Jahr bis spät in die Nacht draußen sitzen kann. Und der Wein, müsst ihr wissen, der Wein ist süß und gut und lange in der Sonne gereift, ein wahrer Genuss.“

       „Warum bist du nicht zu Hause geblieben, wenn es dir bei uns nicht gefällt?“, stichelte Martin.

       Sokrates sah verlegen zu Boden. „Ich...nun...ich hatte keine Wahl. Freiwillig bin ich nicht gegangen, aber es ist so üblich. Nach der Meisterprüfung muss ein Runenmeister mindestens ein Jahr auf Wanderschaft durch fremde Länder gehen, bevor er nach Salakis zurückkehren darf. Seine Erlebnisse und Erfahrungen soll der Runenmeister in seine Arbeit einbringen und seine Kunst weiterentwickeln. Die anderen jungen Meister sind in wärmere Gefilde aufgebrochen, aber mein Vater hat mich überredet, nach Falkenstein zu reisen.“

       „Aber du wolltest nicht fortgehen“, vermutete Lucas.

       Sokrates presste die Lippen zusammen. „Nein, ich wollte nicht. Ich hänge sehr an meiner Familie und meiner Heimat. Aber die Gemeinschaft der Runenmeister duldet keine Ausnahme. Außerdem hofft mein Vater, dass mein Reisebericht ihm neue Handelsverbindungen nach Falkenstein aufzeigt.“

       Mitfühlend legte Lucas eine Hand auf Sokrates' Schulter. „So schlimm ist es in Falkenstein nicht. Gelegentlich scheint sogar die Sonne. Mit der Zeit wirst du dich an Land, Leute und Wetter gewöhnen. Wie bist du eigentlich Runenmeister geworden?“

       „Das war ein großes Glück für mich.“ Die Frage schien Sokrates aufzumuntern. „Mein Vater hat mir dazu geraten, als er erkannte, dass ich über handwerkliches Geschick und eine gewisse Begabung verfüge. Runenmeister haben in Salakis eine angesehen Stellung. Er fand einen Ausbilder für mich, der bereit war, mich gegen hohe Gebühren zu unterrichten. Es waren sehr anstrengende Lehrjahre, aber es hat sich gelohnt.“

       Lucas nickte verständnisvoll. „Die Lehre ist also abgeschlossen? Du bist ein fertiger Zauberer?“

       „Runenmeister“, verbesserte ihn Sokrates mit erhobenem Zeigefinger. „Das ist ein gewaltiger Unterschied. Ihr müsst wissen, dass Magie oder Zauberei oder Hokuspokus, wie manche Leute es hierzulande nennen, auf verschiedene Weise angewendet werden kann. Magier schöpfen Kraft aus ihrem Inneren und lenken sie mit oder ohne Hilfsmittel nach ihren Wünschen. Ein Runenmeister dagegen hat keine eigenen Kräfte. Wir sind nur Zauberhandwerker. Unsere Fähigkeit besteht hauptsächlich darin, aus Rohmaterialien Runen herzustellen, die magische Fähigkeiten besitzen. Versteht ihr?“

       „Kein Wort“, gab Lucas kopfschüttelnd zu, „aber es klingt gefährlich.“

       „Manchmal ist es das auch“, fuhr Sokrates fort. „Die Macht des Runensteins ist davon abhängig, welche Runen in ihm verewigt sind. Man muss die Runen sehr sorgfältig in den Stein schreiben.