Zwanzig Fässer westwärts. Thomas Staack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Staack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844265491
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Augenbrauen angesengt, die Zehen eingefroren und so manche schöne Vase im Haus meines Ausbilders zu Bruch gehen lassen. Ein Kollege von mir hat sich durch ein dummes Versehen selbst in Brand gesteckt. Das war natürlich unangenehm, aber er konnte noch rasch in den Fischteich seines Meisters springen.“

       Hastig stand Martin auf. „Danke, das reicht mir zu diesem Thema! Ich gehe schlafen!“, brummte er. „Wehe, du probierst den Zauberkram aus, während ich in der Nähe bin! Dann...dann...gibt es Ärger...mit mir..., also lass es!“

       Mürrisch verschwand er in der Dunkelheit.

       Betrübt blickte Sokrates ihm nach und murmelte leise: „Er kann mich nicht leiden.“

       Lucas hatte es dennoch verstanden. „Martin ist immer sehr vorsichtig. Das er dich für gefährlich hält und dir nicht über den Weg traut, kann ich ihm nicht verübeln. Du musst verstehen, dass uns Zauberei vollkommen fremd ist. In Falkenstein gibt es keine Zauberer mehr. Wir kennen sie nur aus alten Erzählungen und durch das Verbot des Hohen Fürsten, das Zauberei mit hohen Strafen belegt - bis hin zum Tod. Gib Martin etwas Zeit, wenn er dich besser kennt und du ihn von deinen redlichen Absichten überzeugst, ändert er vielleicht seine Meinung.“

       Sokrates sah ihn an und nickte traurig. Er schien das Problem zu verstehen, ohne dass es seine Stimmung hob. „Vertraust du mir?“

       „Nein, wenn ich ehrlich sein soll.“ Lucas lächelte verschlagen. „Aber mich interessieren deine Runen. Das muss fürs Erste reichen. Also verrate mir: Kannst du auch Dolche verzaubern?“

       Nach einigen Reisetagen änderte sich das Wetter. Sehr zum Leidwesen des Runenmeisters, der seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt fand, bewölkte sich der Himmel. Wind kam auf, der schneidend kalt über die Straße fegte und Lucas frösteln ließ. Stärker und stärker wurden die Windböen, zerrten an der Kleidung und verlangsamten den Trab der schwarzen Hengste, die sich gegen die Kraft der Luftmassen stemmen mussten. Umhergewirbelte Blätter, Zweige und Staub erschwerten die Sicht. Nach einigen Stunden färbten sich die Wolken grau, dann dunkelgrau, letztlich gar schwarz wie die Nacht. Zwischen ihnen zuckten Blitze und schossen in weiter Ferne bis zur Erde hinab. Grollender Donner folgte jedem Blitz in immer kürzerem Abstand und ansteigender Lautstärke.

       Fritz heulte auf, bis Lucas seinen Kopf tätschelte. „Das Gewitter scheint ihm Angst zu machen“, sagte er zu Martin. „Kein Wunder, es sieht nach einem schweren Unwetter aus.“

       „Immerhin regnet es nicht“, meinte Martin gelassen.

       Kurz darauf setzte ein feiner Nieselregen ein.

       Sokrates jammerte: „Was für ein schreckliches Unglück! Womit haben wir es verdient, dass die Götter uns hart bestrafen?“

       „Das ist ganz normal. Du wirst sehen, man gewöhnt sich daran.“ Martin schlug den Mantelkragen hoch, sah zum Himmel hinauf und streckte prüfend die offene Handfläche aus. „Es gibt nichts zu beklagen, der Regen fällt fast lotrecht.“

       Es dauerte nicht lange, da setzte ein Platzregen ein. Es war, als würde der Himmel seine Schleusen öffnen und Sturzbäche zur Erde senden. Der Wind peitsche ihnen das Wasser ins Gesicht, und innerhalb weniger Minuten waren die Reisenden nass bis auf die Haut. Vor ihnen verwandelte sich die Große Straße des Westens in einen schlammigen Pfad, bald in eine Moorlandschaft und schließlich in ein Flussbett, in dem sich dünne Rinnsale schlängelten. Die Pferde kamen nur noch mühsam voran, mehrfach musste Martin sie grob antreiben, um ein Versinken des Wagens im Morast zu verhindern.

       „Es ist sinnlos!“, schrie er durch den Sturm. „Wir müssen anhalten, bevor wir steckenbleiben oder die Pferde durchgehen!“

       „Du hast recht!“ Lucas wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. „Aber wir brauchen einen Unterschlupf!“

       Er blickte mit verkniffenen Augen die Straße entlang. „Hier gibt es nichts, dass uns ausreichend Schutz bietet! Haltet nach einem Haus Ausschau!“

       Es dauerte noch eine unangenehme Stunde, bis in der Ferne tatsächlich ein Gebäude auftauchte. Das Glück war auf ihrer Seite, denn zu ihrer Überraschung handelte es sich um ein einzelnes Gasthaus am Wegesrand, das sogar über einen Pferdestall verfügte.

       „Großartig!“, meinte Martin erfreut. „Dort können wir dich absetzen, Sokrates.“

       Und Lucas flüsterte er ins Ohr: „Endlich werden wir den Schwarzmagier los.“

       Sie öffneten das Tor zum Stall und fuhren direkt hinein, spannten die Pferde aus, rieben sie trocken und fütterten sie mit Heu. Der Stall war groß und beherbergte bereits einen Planwagen und zwei weitere Pferde, eine alte weiße Stute und einen stattlichen unruhigen Hengst, der nervös auf der Stelle trat. Rasch rannten sie durch den Regen und betraten das Gasthaus. Lucas stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sie endlich ein Dach über dem Kopf hatten.

       In der großen Gaststube war es nicht nur trocken, sondern auch behaglich warm. Kerzen brannten auf den Tischen und im Kamin prasselte und knisterte ein Feuer. Der Gastraum war beinahe leer, bis auf einen runden Tisch, an dem drei Männer saßen. Beim Eintreffen der Reisenden drehten sich sie sich um und nickten ihnen zur Begrüßung zu. Lucas nickte zurück, doch sogleich wurde sein Blick von der jungen Frau angezogen, die sich ihnen aus dem hinteren Bereich der Schänke näherte. Er konnte gar nicht anders, denn sie war von so auffallender Schönheit, dass sie seine Augen vollkommen in ihren Bann zog. Langes schwarzes Haar umfloss die feinen, scharf geschnittenen Gesichtszüge. Eine einzelne Haarsträhne fiel ihr keck in die Stirn und betonte ihre großen grünen Augen. Sie trug eine Lederschürze und darunter ein schlichtes graues Kleid. Durch den dünnen Stoff konnte Lucas das Korsett erkennen, das ihre Taille formte und die üppigen Brüste noch mehr hervorhob.

       „Willkommen im Weißen Hirsch, meinem bescheidenen Wirtshaus“, sagte sie mit süßer und fröhlicher Stimme. „Ich bin Martha, eure Gastwirtin. Ich werde dafür sorgen, dass es euch an nichts fehlt.“

       „Das...das glaube ich euch...aufs Wort“, stammelte Lucas mit trockenem Mund. Er räusperte sich und rieb sich die Schläfen. Die anmutige Schönheit der Frau verwirrte ihn und berührte sein Herz auf eine eigenartige Weise, die er sich nicht erklären konnte. Sein Herz gehörte Juliana, rief er sich ins Gedächtnis. Er sah ihr Bild vor Augen, spürte ihre Wärme und ihre Zuneigung. Doch der Anblick der Wirtin bezauberte ihn und ließ Julianas Abbild in einem nebelhaften Schleier seiner Gedankenwelt verschwinden. Er bemerkte, dass es den anderen nicht anders erging. Martins Mund stand weit offen und Sokrates machte ein beglücktes Gesicht. Allen hatte es die Sprache verschlagen, es war an ihm, etwas zu sagen.

       „Es ist...hier...ganz nett...äh,...denke ich...“

       Lucas schwirrte der Kopf, und er kniff die Augen zusammen. War das seine Stimme? Hatte er das etwa gesagt? Er hätte sich ohrfeigen können für so viel Dummheit! Die schönste Frau von Falkenstein stand vor ihm und er brachte nur zusammenhanglose Wortfetzen heraus.

       Martha kicherte. „Schön, dass es euch gefällt. Ich lege viel Wert darauf, meinen Gästen alles recht zu machen. Sie sollen sich bei mir wohlfühlen. Aber bitte, ihr seid vollkommen durchnässt, kommt zum Feuer und hängt eure Kleidung zum Trocknen auf. Ich hole euch warme Wolldecken.“

       Während sie im Hinterzimmer verschwand, zog Lucas sein Leinenhemd aus, das ihm wie ein nasser Lappen auf der Brust klebte, und legte es über einen Stuhl beim Kamin. Sokrates folgte seinem Beispiel, nur Martin stand noch immer reglos an der Eingangstür und starrte der Wirtin nach.

       Sie bemerkte es bei ihrer Rückkehr und musste lachen. „Eurem Freund ist das Unwetter wohl nicht bekommen.“

       Sie ergriff Martins Hand und führte ihn zum offenen Kamin. Lucas ertappte sich dabei, wie die Berührung einen Anflug von Eifersucht in ihm auslöste. Rasch kämpfte er das Gefühl nieder und hüllte sich in eine der von Martha bereit gelegten Wolldecken. Nun entledigte sich auch Martin seiner feuchten Kleidung.

       Als sie alle nahe beim Feuer standen, erhob einer der drei anderen Gäste die Stimme.

       „Setzt euch ruhig zu uns, meine Herren“, lud er sie ein. „An unserem Tisch ist noch Platz, und er steht dicht am Feuer.“

       „Gern“, erwiderte Lucas und ergriff