Zwanzig Fässer westwärts. Thomas Staack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Staack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844265491
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fasse es nicht!“

       Lachend fielen sich die beiden Männer in die Arme und klopften sich auf den Rücken. Josef erschien neben ihnen an der Theke und reichte ihnen zwei gefüllte Metkrüge, während Lucas dem Wirt den Zeigefinger in die Brust bohrte.

       „Wehe, du machst das noch einmal, Josef! Mich so zu erschrecken!“

       Dann wandte er sich wieder dem Blondschopf zu. „Martin Sailer! Was um alles in der Welt machst du hier?“

       „Was wohl? Ich wollte sehen, wie es dir geht“, meinte Martin. „Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

       „Stimmt, vor vier Jahren zuletzt, kurz bevor es dir hier zu langweilig geworden ist. Und etwa zwei Jahre nachdem wir unser Heimatdorf verlassen hatten. Man könnte es auch als Flucht bezeichnen.“

       „Fünf Jahre habe ich nichts von dir gehört“, verbesserte ihn Martin. „Warst du seit dem mal wieder in Wasserfall?“

       Nachdrücklich schüttelte Lucas den Kopf. „Bei allen Heiligen, nein! Natürlich nicht, womöglich würde mich jemand wiedererkennen und an den Galgen bringen.“

       Martin musste lachen, und Lucas wurde bewusst, wie sehr er dieses Lachen vermisst hatte. „Weißt du noch damals, wie wir…“

       „Keine alten Geschichten, bitte.“ Lucas winkte ab. „Es war schön, mit dir zusammen aufzuwachsen, und ich kann mich noch an jeden einzelnen Lausbubenstreich erinnern. Am Ende haben sie uns alle gehasst: der Bürgermeister, die Fischer, die Händler und am meisten die Priesterinnen in der ehrwürdigen Abtei.“

       „Mich vielleicht“, bemerkte Martin spitz. „Dich haben die Frauen immer gemocht. Das hat sich doch nicht geändert?“

       „Ein wenig. Heute mag ich sie auch. Vor allem eine, wenn sie nur nicht verheiratet wäre.“

       Martin pfiff durch die Zähne. „Schlecht, sehr schlecht. Das bringt nur Ärger.“

       „Nicht mehr als alles andere. Und es lohnt sich, sie ist unglaublich süß und eine echte Schönheit.“ Verzückt verdrehte Lucas die Augen und nahm einen großen Schluck Met.

       Martin lachte und stieß ihn an. „Lucas! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du bist verliebt!“

       Der Schubser war zu viel. Lucas verschluckte sich und musste husten, was ihm sehr gelegen kam. Er nutze die Pause, um das Thema zu wechseln und sich um eine Antwort zu drücken.

       „Äh...wie gehen die Geschäfte?“

       „Schlecht. Das ist auch ein Grund, warum ich mit dir sprechen wollte. Aber sag mir erst, wie es bei dir läuft.“

       „Mäßig. Du weißt noch, was ich mache?“

       „Nicht genau“, gab Martin zu. „Bist du noch im Lederbeutelgeschäft?“

       „Lederbeutel?“ Lucas wischte sich mit dem Ärmel seines Hemds den Mund ab. „Du machst Witze! Nur die Anfänger verdingen sich als Beutelschneider. Hohes Risiko, geringer Ertrag. Wer länger dabei ist, ohne am Galgen zu enden, sucht sich gewinnbringendere Tätigkeiten. Ich besorge Gegenstände, die bestimmte Leute unbedingt haben wollen und von anderen vermeintlich sicher in ihren Häusern aufbewahrt werden.“

       „Aber offenbar nicht sicher genug. Sonst würdest du als Einbrecher nicht an sie herankommen.“

       Lucas grinste. „Das ist meine Spezialität. Leider läuft das Geschäft zurzeit eher schleppend. Käufer für solche Ware gibt es noch, aber die Zahl der Leute, die interessante Sachen besitzen, hat in den letzten Jahren abgenommen. Ich habe den Eindruck, Ostwall wird für mich zu klein. Vielleicht sollte ich in eine andere Stadt ziehen.“

       Martin nickte. „Vielleicht. Dann könntest du deine verheiratete Schönheit gleich mitnehmen. Aber dafür wirst du Geld brauchen, vor allem wenn ihr vor dem Ehemann fliehen und euch verstecken müsst. Zufällig weiß ich, wie du rasch zu Vermögen kommen kannst. Ich habe ein Angebot für dich.“

       „Nämlich?“ Lucas wurde hellhörig.

       „Begleite mich bei meinem nächsten Auftrag. Eine Fuhre, die sich wirklich lohnt.“

       Lucas runzelte die Stirn. „Eine Handelsreise? Du arbeitest als Fuhrmann?“

       „Ja“, bestätigte Martin, „seit etwa einem Jahr. Bisher habe ich mich so durchgeschlagen, aber diesmal wird es ein sehr gutes Geschäft. Wir teilen den Lohn sechzig zu vierzig.“

       „Ich bekomme also die sechzig?“

       „Nein.“

       „Das klingt nicht ganz nach meinem Bereich. Aber ich bin bereit, es mir anzuhören - bei fünfzig zu fünfzig. Anderenfalls reden wir lieber über die alten Zeiten.“

       Martin schien einen Augenblick zu überlegen. Schließlich nickte er. „Gut, komm mit.“

       „Eine Frage noch: Warum kommst du damit ausgerechnet zu mir?“, wollte Lucas wissen.

       Martins Antwort kam prompt. „Ich brauche einen zweiten Mann. Mein Auftraggeber besteht darauf. Ich kenne dich. Ich kann dir vertrauen, wenn es darauf ankommt. Und du kannst einen Wagen lenken.“

       Martin führte Lucas zu einem Tisch in der hinteren Ecke des Schankraums. Dort saß ein einzelner Mann mittleren Alters, dessen schwarzes Haar nach neuester Mode frisiert und dessen schwarzer Bart gut gepflegt war.

       Auf Lucas wirkte der Mann wie jemand, der keine Geldsorgen kannte, denn nur wenige konnten sich das Hemd aus Seide leisten, welches er am Leib trug.

       „Übrigens wäre es mir lieb, wenn du die Verhandlungen führen würdest“, raunte ihm Martin zu. „Du kannst das besser als ich.“

       Ein Hut mit breiter Krempe lag auf dem Tisch, auch dieser entsprach dem aktuellen Geschmack. Daneben stand ein Holzteller mit Hammelbraten und Erdäpfeln, eigentlich ein Festmahl, das dem Mann aber nicht geschmeckt zu haben schien. Nur wenige Bissen hatte er zu sich genommen und nippte an einem Glas Rotwein, als sich Martin und Lucas zu ihm gesellten.

       „Das wäre mein Partner“, stellte Martin Lucas vor, „wenn wir uns einigen können.“

       „Ah“, bemerkte der Mann und stellte den Wein angewidert beiseite. Er musterte Lucas von Kopf bis Fuß. „Der zweite Fuhrmann. Ich hoffe, ihr versteht euer Handwerk. Ich überlasse mein Gespann nur Männern, die gut mit einem Wagen umgehen können.“

       Bevor Lucas widersprechen konnte, ergriff Martin hastig das Wort.

       „Selbstverständlich, mein Herr. Euer Gespann ist in besten Händen.“

       Der Mann in dem Hemd aus Seide beäugte beide misstrauisch, dann reichte er Lucas die Hand. „Nun, euer Wort soll mir genügen. Erasmus ist mein Name. Ich bin ein Händler aus der Grafschaft Bärental, weit im Norden. Ihr lernt mich in einer Notlage kennen. Meine beste Ware habe ich mitgebracht, weil ich mir viel davon verspreche. Doch jetzt hat mich ein Unglück ereilt, dem ich meine ganze Aufmerksamkeit widmen muss. Deswegen benötige ich eure Hilfe.“

       „Ich bin ganz Ohr“, sagte Lucas Hände schüttelnd, „und sehr gespannt, wie wir euch helfen können.“

       „Meine Ware muss schnell überbracht werden. Der Käufer hat sie bereits bezahlt, aber ich kann nicht weiterfahren, ich muss nach Hause. Eine schreckliche Nachricht hat mich erreicht. Eines meiner Lagerhäuser soll abgebrannt sein. Das könnte mich ruinieren, ich muss umgehend aufbrechen.“

       „Wir sollen doch nicht über die Schwarzen Berge?“, fragte Lucas zögerlich. „Das könnt ihr gleich vergessen, ich bin nicht lebensmüde. Ich gebe zwar nicht viel auf die Gerüchte, aber ich will mein Glück nicht herausfordern.“

       „Nein, nein!“ Abwehrend hob Erasmus die Hände. „Nach Falkenberg geht die Ware. Das ist gefährlich genug, die Straßen sind unsicher geworden und der Weg ist weit.“

       „Was befördert ihr?“

       „Rum. Zwanzig Fässer vom besten Rum, den mein Haus zu bieten hat. Wintertraum, aus eigener Herstellung mit dem unvergleichlich samtenen Geschmack, eine milde Würze, die ihr nirgends sonst finden werdet, zu einem einmaligen Preis, ein...