Zwanzig Fässer westwärts. Thomas Staack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Staack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844265491
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„Hier ist der Einsatz“, sagte er mit bebender Stimme und deutlichem Akzent. „Zwei Dukaten für zwanzig.“

       Verwundert beäugte Ulf den kleinen Mann von Kopf bis Fuß. Dann begann er zu lachen. Es klang wie der Donner am Himmel und hätte vielleicht von sich aus die Erde erbeben lassen, wären nicht ohnehin die umstehenden Gäste mit den Füßen auf den Boden stampfend in das Lachen eingefallen.

       „Dickerchen, mach dich nicht lächerlich!“, brüllte Ulf der Unbesiegbare und hielt sich vor Lachen den Bauch. „Ich könnte deine Hand zerquetschen!“

       Der kleine Mann bemühte sich, seine Angst zu verbergen, doch es gelang ihm nicht. Seine Hände zitterten, die Beine schlotterten und unbewusst klapperte er mit den Zähnen.

       „Ich bleibe dabei“, erwiderte er heiser.

       Die Augen des Unbesiegbaren verengten sich. „Mach dich auf Schmerzen gefasst!“, grölte er und legte die zwei Dukaten auf seinen Stapel. „Ich muss nur kurz ums Eck, gleich mach ich dich platt, du Wurm!“

       Ulf schlenderte zum Ausgang. Unterdessen blickte der kleine dicke Mann beschwörend zur Decke und dankte innerlich den Göttern aus seiner Heimat. Darauf hatte er gehofft. Während seiner letzten drei Kämpfe hatte sich der Unbesiegbare mehrfach an unsittlichen Stellen gekratzt und war nervös auf dem Stuhl hin und her gerückt. Das hatte dem kleinen Mann zu der Erkenntnis verholfen, dass sich der Unbesiegbare dringend erleichtern musste. Rasch zog er ein Messer aus der Tasche und kratzte die Rune der Stärke in die Tischplatte. Er war beinahe fertig, nur zwei Striche fehlten noch, als hinter ihm eine bekannte Stimme ertönte.

       „Dickerchen! Was machst du da?“

       Augenblicklich erstarrte er und blickte sich um. Ulf stand hinter ihm und sah ihm verdutzt über die Schulter.

       „Ich...nun...nichts…“, stammelte der kleine Mann. „Gar nichts, wirklich...“

       Der Unbesiegbare kratzte sich auf der Glatze. „Was ist das da? Bist du etwa ein Schwarzmagier?“

       Bei diesen Worten verebbte der Lärm im Gasthaus. Neugierig und hellhörig geworden hielten die meisten Gäste inne und wandten sich dem Tisch des Unbesiegbaren zu. Auch Martin und Lucas unterbrachen ihre Unterhaltung und sahen hinüber.

       „Nein! Natürlich nicht!“, kreischte der kleine Mann. „Das ist nichts! Nur ein Zeichen aus meiner Heimat, das mir Mut machen soll! Es hat keine Bedeutung!“

       „Dann steck dein Messer weg und lass uns anfangen“, grollte Ulf und nahm ihm gegenüber Platz. Der kleine dicke Mann schluckte und tat wie befohlen. Die Gäste verloren das Interesse und widmeten sich wieder ihren Gesprächen, nur Ulfs umstehende Bewunderer verfolgten weiterhin das Geschehen.

       „Deine rechte Hand!“, bellte Ulf. „Her damit!“

       Mit seiner Pranke packte er den Arm des kleinen Mannes und platzierte den Ellenbogen auf dem Tisch. „Bereit?“

       „Ja…schon…aber…“, flüsterte der kleine Mann besorgt.

       Da knallte Ulf der Unbesiegbare seinen Arm mit solcher Wucht auf den Tisch, dass er in der Mitte entzwei brach. Klimpernd fiel der Dukatenstapel zu Boden. Der kleine Mann schrie auf und hielt sich den rechten Arm. Zeitgleich kam Josef der Wirt auf ihn zu, packte ihn am Kragen und zog ihn dicht zu sich heran.

       „So Bursche!“ Zornig spuckte ihm der Wirt die Worte ins Ohr. „Du zahlst jetzt besser deinen Wein und haust ab! Wir mögen hier keine Schwarzmagier!“

       Vor Schmerzen tränten dem kleinen dicken Mann die Augen. „Ich bin wirklich kein Schwarzmagier. Leider habe ich kein Geld mehr. Vielleicht kann ich…“

       „Das“, unterbrach ihn Josef und knirschte mit den Zähnen, „ist Pech für dich.“

       Der Wirt drehte sich um. „Ulf!“, schrie er. „Der Schwarzmagier kann nicht zahlen!“

       Die Glatze des Unbesiegbaren färbte sich rot vor Wut. Ohne ein Wort ergriff er den kleinen dicken Mann und warf ihn sich über die Schulter. Er trat zur Tür des Wirtshauses, riss sie auf und schleuderte sein hilflos zappelndes Opfer auf die Straße. Ein Schrei, ein dumpfer Aufprall und lautes Krachen verrieten, dass die Landung des kleinen Mannes nicht ohne Schmerzen und Blessuren bleiben würde.

       „Der zahlt schon“, brummte Ulf der Unbesiegbare, während die Muskeln an seinem Hals anschwollen. „Nur anders.“

       Dann ging er dem kleinen dicken Mann hinterher.

       Sie lagen auf dem Dach eines verfallenen Turms und blickten zu den Sternen. Es war ein alter Getreideturm eines wohlhabenden Bauern, der ihm zu klein geworden war. Vor ein paar Jahren hatte der Bauer ein lang gestrecktes Lagerhaus in unmittelbarer Nähe errichten lassen, das seinen gestiegenen Bedürfnissen entsprach. Im unteren Bereich diente der Turm noch als Lagerraum und enthielt allerlei Gerümpel, für das der Bauer keine Verwendung mehr hatte. Aber der obere Teil war verwaist, das Dach teilweise undicht.

       Wenn das Wetter es zuließ, schlief er oft hier oben. Strohsäcke waren sein Bett, der Mond seine Decke und die Sterne seine Unterhaltung. Und manchmal war er nicht allein.

       „Beinahe hätte er mich geschlagen“, flüsterte Juliana in Lucas' Ohr. Es war niemand in der Nähe, niemand sonst hätte sie hören können, aber die Angst und die Erinnerung ließen Juliana dennoch mit gedämpfter Stimme sprechen.

       „Er schäumte vor Wut. Ein zorniger Mensch, der zu Gewaltausbrüchen neigt, war er schon immer, aber so wie gestern morgen habe ich ihn bisher noch nie erlebt, jedenfalls nicht mir gegenüber. Ich habe einmal gesehen, wie er einen Knecht verprügelt hat. Ich glaube, er wollte eine besser bezahlte Stelle annehmen. Mit einem Stock hat er ihn windelweich geprügelt und ihn getreten, bis er sich nicht mehr bewegt hat. Der Knecht hat nie wieder arbeiten können, haben mir die Diener später erzählt. Zum Glück hat er mich noch nie geschlagen, aber er war wirklich kurz davor.“

       Lucas streichelte sie am Kopf. „Warum hast du ihn geheiratet?“

       „Hatte ich eine Wahl?“

       Ihr Gesicht war dem Himmel zugewandt, doch sie schien die Sterne nicht wahrzunehmen. Ihr Blick war leer.

       „Meine Mutter starb im Kindbett bei meiner Geburt. Ich habe sie nie gekannt. Vater war Weinbauer. Wir lebten zusammen auf einem großen Weingut am Südhang der Schwarzen Berge. Vaters Weine waren in Eberbach sehr beliebt und machten ihn zu einem reichen Mann. Der Ruf und der Reichtum meines Vaters zogen viele Männer an, die daran teilhaben wollten, und Gregor Drexler war einer von ihnen. Häufig kam er zum Essen und machte mir Geschenke. Ich fühlte mich ein bisschen geschmeichelt, schließlich war ich erst siebzehn Jahre alt und nie hatte sich ein Mann so sehr für mich interessiert. Er galt schon damals als junger hochtalentierter Kaufmann, der es rasch zu einem großen Vermögen gebracht hatte. Sein Werben war unnachgiebig und kostspielig. Doch Vater hatte mir versprochen, ich dürfte meinem Herzen folgen und den Mann heiraten, in den ich mich verliebte. Geliebt habe ich ihn nie. Deshalb lehnte er ab, als Gregor um seine Erlaubnis bat, um meine Hand anzuhalten. Gregor war außer sich vor Zorn und schwor meinem Vater, mich trotzdem zu bekommen. Verlieren konnte er noch nie.

       Eines Tages kam Vater mit einem schlimmen Husten nach Hause, der einfach nicht besser werden wollte. Oft hatte er hohes Fieber und konnte sich nicht mehr um die Felder kümmern. Die Geschäfte gingen schlecht, und wir mussten viel Geld für Ärzte ausgeben, die meinem Vater letztlich nicht helfen konnten. Am Ende waren wir beinahe verarmt, und da tauchte Gregor erneut auf und hielt um meine Hand an. Mein Vater wusste keinen Ausweg mehr, er willigte ein. Gregor erhielt das Weingut als Mitgift, und Vater zog nach Ostwall in ein großes Kaufmannshaus. Er starb kurz nach unserer Hochzeit. Das ist drei Jahre her.“

       Betroffen musste Lucas schlucken. „Es tut mir leid um deinen Vater. Ich hätte nicht fragen sollen.“

       Juliana lächelte milde und fuhr ihm mit den Fingern durch den struppigen roten Haarschopf. „Schon gut. Das Schicksal gewährt nicht allen Menschen seine Güte. Hätte ich dich nur früher kennengelernt.“

       „Klar“, scherzte Lucas, „dann wärst du mit mir weggelaufen und dein Vater hätte uns durch ganz Falkenstein jagen lassen.“