Zwanzig Fässer westwärts. Thomas Staack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Staack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844265491
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Falkenstein, von Ost nach West, und verband das Herzogtum Eberbach mit der Hauptstadt Falkenberg an der fernen Westküste. Lucas seufzte, denn ihm schoss nochmals der Gedanke durch den Kopf, dass ihm eine sehr weite Reise bevorstand und er Ostwall und vor allem Juliana für eine lange Zeit vermissen würde – ein Umstand, den er irgendwie verdrängen musste. Rasch schüttelte er den Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf sein Vorhaben.

       „Hast du sie?“ Martins Stimme überschlug sich.

       „Glaubst du, ich würde hier noch herumkriechen, wenn ich sie hätte?“, stöhnte Lucas.

       Er krabbelte auf der Achse des Wagens zwischen den beiden Pferden entlang, die noch immer mit hoher Geschwindigkeit über die Straße preschten. Der Wagen flog beinahe hinter ihnen her, während es in den Fässer beständig gluckerte. Stück für Stück kroch Lucas vorwärts, die Zügel vor Augen. Er streckte die rechte Hand aus und berührte sie mit den Fingerspitzen. Da erschütterte ein dumpfer Schlag das Gespann. Das linke Vorderrad hob kurz ab und krachte wieder auf die Straße. Die Fässer schlugen gegeneinander, die Halteseile knirschten und spannten sich, schienen aber noch zu halten. Martin und Lucas wurden durchgeschüttelt, Lucas verlor das Gleichgewicht und rutschte mit einem Schrei von der Achse. Mit Leibeskräften klammerte er sich an das Holz, spürte dennoch ein Schleifen und einen brennenden Schmerz am Rücken. In voller Fahrt hatte sein Körper die Straße berührt. Rasch zog er sich hoch, während Schweiß von seiner Stirn rann und in den Augen brannte, doch er schaffte es, zurück auf die Achse zu klettern. Nach Atem ringend sah er sich nach den Zügeln um. Sie lagen noch immer auf der Achse, ein gutes Stück weiter entfernt.

       „Was war das?“, rief ihm Martin zu. „Das war übel!“

       Lucas knurrte vor sich hin, mehr zu sich selbst als zu seinem Freund. „Woher soll ich das wissen? Ein Stein, ein Ast oder was sonst noch alles auf der Straße liegt.“

       „Beeil dich, Lucas! Wer weiß, wie viele solcher Schläge der Wagen aushält!“

       „Wer weiß, wie viele ich hier vorn aushalte!“

       Erneut robbte er vorwärts, langsam, vorsichtig, sorgfältig, und schließlich erreichte er die Zügel. Er nahm den Lederriemen zwischen die Zähne, schob sich behutsam zurück, erklomm den Kutschbock und reichte ihn Martin.

       „Ho, ho!“ rief Martin und zerrte kraftvoll an den Zügeln. Tatsächlich wurden die schwarzen Hengste langsamer und schienen sich nach und nach zu beruhigen. Martin zog etappenweise, bis die Tiere in einen lockeren Trab verfielen und ein gemütliches Tempo anschlugen.

       Lucas wischte sich den Schweiß von der Stirn, rieb sich den schmerzenden Rücken und spürte kleine Löcher in seinem Hemd an den Stellen, welche die Straße berührt hatten. „Das war ganz schön knapp.“

       „Allerdings!“, ereiferte sich Martin. „Unglaublich war das! Verrückt und lebensmüde! Wie konntest du nur mit der Peitsche knallen!“

       Trotzig verzog Lucas die Mundwinkel. „Gut, ich gebe zu, dass es ein Fehler war. Es tut mir leid, ich dachte, wir würden auf diese Weise endlich vorankommen. Und es hat geklappt.“

       „Wir hätten uns beinahe das Genick gebrochen!“, fuhr ihn Martin mit geröteten Wangen an.

       „Haben wir aber nicht.“

       „Aber viel hat nicht gefehlt! Du hast mehr Glück als Verstand!“

       Lucas lachte und zuckte mit den Achseln. „Auf mein Glück konnte ich mich schon immer verlassen. Nimm es nicht zu ernst. Es ist doch alles gut gegangen.“

       „Du hast dich überhaupt nicht geändert.“ Säuerlich sah ihn Martin von der Seite an. „Du bist leichtsinnig und waghalsig wie früher!“

       „Ich dachte, deswegen magst du mich?“, entgegnete Lucas bissig. „Was soll ich sagen? Ich bin eben nicht so vorsichtig und zurückhaltend wie du.“

       „Nein, du bist immer noch ein Draufgänger! Du hast nichts dazugelernt! Wir können froh sein, dass wir diesen Höllenritt überlebt haben!“

       „Ich bin sehr froh, dass auch ich überlebt habe“, erklang eine Stimme aus dem hinteren Teil des Wagens.

       Entsetzt fuhren die beiden Freunde herum und blickten in das bärtige Gesicht eines kleinen dicken Mannes, das verängstigt und blass wirkte.

       „Der Schwarzmagier!“, schrien Martin und Lucas gleichzeitig. Abrupt zog Martin an den Zügeln. Die Pferde wieherten ungehalten und kamen zum Stehen.

       Ehe der Mann sich rühren konnte, hatten sie ihm ein Schwert und einen Dolch an die Kehle gesetzt. Unterwürfig hob er die Hände.

       „Ach du Schande!“, setzte Lucas hinzu. „Was zum Geier macht ihr denn hier? Wie kommt ihr auf diesen Wagen?“

       „Mit Verlaub, meine Herren“, entgegnete der beleibte Mann, der mehr Haare im Gesicht als auf dem Kopf sein Eigen nennen konnte, „ich bin kein Schwarzmagier, bitte, glauben sie mir.“

       „Tun wir nicht“, meinte Lucas und grinste, „aber fahrt fort. Ich hoffe nicht, dass Schwarze Magie eure Erklärung sein wird.“

       „Nein, nein! Wirklich nicht! Es war ganz anders. Vielleicht haben sie mitbekommen, dass ich am gestrigen Abend…nun…äh…etwas unsanft das Gasthaus verlassen musste?“

       Lucas nickte. „Etwas.“

       „Etwas?“

       „Etwas haben wir schon davon mitbekommen. Es war weder zu übersehen noch zu überhören. Weiter.“

       „Ah…nun, ich war danach ganz erschöpft und sank in einem Stall auf das Heu nieder. Halb schlafend hörte ich, wie zwei Männer den Stall betraten und sich darüber unterhielten, dass dieser Wagen am nächsten Tag mit zwei neuen Fuhrleuten nach Falkenberg fahren sollte. Einer war dieser Kaufmann aus dem Gasthaus und...“

       „Erasmus“, unterbrach ihn Martin.

       „Namen wurden nicht genannt. Den einen hatte ich schon vorher mit euch gesehen, den anderen kannte ich nicht. Seiner Kleidung nach wird er wohl auch zu den reichen Kaufleuten gehören. Jedenfalls sah ich darin meine Chance. Mein Geld hatte ich verloren, deshalb versteckte ich mich hinten im Wagen unter einer Decke, um nach Falkenberg mitzufahren. Dort will ich hin.“

       „Irrtum“, bemerkte Martin mit schmalen Augen. „Für euch ist hier Endstation. Ihr steigt aus.“

       Die Augen des kleinen dicken Mannes weiteten sich vor Schreck. „Aber, aber, meine Herren! Ich bitte euch, ihr könnt mich doch nicht in der gefährlichen Wildnis aussetzen.“

       Lucas lächelte kalt. „Was spricht dagegen?“

       „Ich…äh…ich könnte umkommen. Außerdem kann ich euch von großem Nutzen sein. Wirklich, ich bin kein Schwarzmagier, wirklich nicht…wirklich nicht...“

       „Das ist mir mindestens ein Wirklich zu viel, um euch zu glauben.“

       „Wie heißt ihr und wo kommt ihr her?“, bedrängte ihn Martin. „Eurem Akzent nach seid ihr nicht aus Falkenstein.“

       „Ich heiße Sokrates Papadopoulos und komme aus Salakis, einem fernen Land weit hinter den Schwarzen Bergen, wie ihr sie nennt.“

       „Warum seid ihr über die Berge zu uns gereist?“

       Der dicke Mann seufzte. „Das ist eine lange und traurige Geschichte. Wenn ihr wollt, erzähle ich sie euch von Anfang...“

       „Nein, danke“, unterbrach ihn Lucas ungeduldig, „ein anderes Mal vielleicht.“

       „Oder besser nie“, knurrte Martin. „Wenn ihr kein Schwarzmagier seid, wie ihr behauptet, wovon ich aber überzeugt bin, was seid ihr dann?“

       „Ein Runenmeister.“

       „Was für ein Meister? Was soll das sein?“

       „Ich bin ein Handwerker“, versuchte der kleine Mann zu erklären, „ein Künstler. Runenmeister scheinen bei euch nicht bekannt zu sein. Wir schreiben magische Runen auf Gegenstände und verleihen ihnen dadurch eine Zauber.“

       „Also doch ein Schwarzmagier!“, entfuhr es Martin.