Eine Treppe führt hinunter aufs Hauptdeck. Entlang schummriger Gänge befinden sich die Kabinen der 2. Klasse sowie die weit geöffnete Tür zum Maschinenraum. Gedämpft strömen Motorengeräusche und warme Luft auf uns ein. Wir folgen dem Gang bis zum Ende und finden eine weitere Kantine sowie einen großen offenen Raum mit Bullaugen und langen Bänken. Das Domizil für Passagiere der 3. Klasse. Auch hier hat noch niemand sein Lager aufgeschlagen. Bugseitig, am anderen Ende des Decks, liegt der offene, bis ins Unterdeck reichende Frachtbereich. Wir passieren die große Ladeluke und betreten einen weiteren Raum mit Holzbänken zwischen Rohren, die unter dicken Schichten Ölfarbe fast jede Kontur verloren haben. Von hier führt eine Treppe noch tiefer in den Rumpf, wir befinden uns im Unterdeck, einem freudlosen Verließ in unmittelbarer Nachbarschaft zum Maschinenraum. Bald werden hier viele Menschen die Reisezeit verbringen.
Die Räume sind wie leergefegt. Unglaublich sauber, denke ich im fahlen Licht, wenn da nicht dieser Hauch von Trostlosigkeit zu spüren wäre, der das kahle und in die Jahre gekommene Interieur umweht. Ganz schön ramponiert ist es obendrein. Farbe könnte helfen, ein wenig Tischlerhandwerk vielleicht. Hier und da sind Planken durchgetreten oder gänzlich abhandengekommen. Auch die Außenwand des Schiffs hat schon einiges erlebt, ist an vielen Stellen mächtig verbeult und zerschrammt. Bedrückend, das Schiff so verlassen und lädiert kennenzulernen. Als hätte es sich auf seinem Altenteil eingerichtet und würde nie wieder in See stechen. »Kaum an Bord und schon meckern«, findet Rolf, der die geschundene Seele bereits mit Fingerspitzengefühl digitalisiert. Besser jetzt als nie. Später wird es überall rappelvoll sein.
»Kennst du mich noch?«, schreit jemand aus der Bar.
Nein, überlege ich, nicke aber trotzdem. Wir sind zurück auf dem Promenadendeck. Die Sonne blendet.
»Du hast bei mir Brot gekauft«, erklärt die junge Frau stolz.
Der Tresen ist von einer kaum überschaubaren Menschentraube umlagert. In der besten Kneipe der Welt läuft der Frühschoppen auf Hochtouren. Feuerwehrmann Alex muss jede Menge Durst löschen. Schneller, immer schneller entleeren sich Flaschen in trockene Kehlen. Fast Drink statt Last Call. Beim Näherkommen erkenne ich endlich die Frau. Es ist Susan, bei der wir in den letzten Tagen öfter eingekauft haben. Luftiges, geschmackloses Brot. Sie schwankt schon bedenklich und zieht mich zu ihren Freundinnen. Gemeinsam glücklich beschwipst, wollen sie mich umarmen. Erst gleichzeitig, dann nacheinander. Na, das kann ja heiter werden. Allein vom Dabeisein wird man betrunken.
Ein junger Mann kommt zu uns herüber. Eben noch turnte er an den Nachbartischen herum, nun torkelt George auf Rolfs Kamera zu. In diesem Zustand sollte er kein Boot dieser Welt betreten dürfen, Schiffsverbot wäre eine vernünftige Maßnahme. Doch das kümmert ihn wenig. Ob er etwas verkauft, wie Susan ihr Brot, oder sonst etwas Nützliches mit seinem Leben anfängt, kann ich ihm nicht entlocken. Der Trunkenbold hat nur eins im Sinn, er will unbedingt fotografiert werden. Rolf fügt sich dem Unvermeidbaren. George mit Grimasse. Klack. George von der Seite. Klack. Mit Muskeln. Klack. An der Reling. Klickediklack.
»Schick mir unbedingt die Bilder.«
»Wie denn?«, murrt Rolf, dem die Begegnung nicht geheuer ist.
»Kein Problem, ich wohne hier.«
»Auf dem Schiff?«
»In Mpulungu, stupid.«
»Dann schreib mir mal deine Adresse auf.«
George kramt ein Stück Papier hervor und kritzelt ungelenk drauflos. Das soll reichen? Klar doch.
Auf der Suche nach Ernüchterung treffen wir den Kapitän. Titus Benjamin Mnyanyi lehnt am Kantineneingang. Neben ihm steht Ronaldo, ein Mann mit Überbiss, der bis aufs Zahnfleisch lachen kann. »Lachen reinigt die Zähne«, lautet eine afrikanische Weisheit. Ich glaube, dass hier oft gelacht wird. Dieser Tage sei viel Fisch im See, erfahren wir von Titus. Tonnenweise Trockenfisch, der transportiert werden muss. »Lange Verladezeiten. Viel Verspätung«, seufzt er. Besser spät als nie.
Auf unserem Erkundungsgang haben wir die Liemba ein wenig kennengelernt. Wir sind für die Reise gewappnet, werden Menschen und Orte auf dem Schiff wiederfinden. Nur einen wohl nicht, der wie vom Erdboden verschluckt bleibt, den geheimnisvollen Mr. Masimba.
Kapitel 3 | KASANGA
Flaschenpfand und Militär
Beinahe unbemerkt ist es Mittag geworden, der Sonnenball steht hoch im Kurs. Das Schiffshorn ertönt, der Kapitän mahnt zum Aufbruch. Die Liemba ist bereit zum Auslaufen. Sie teilt es lautstark mit und macht in kürzester Zeit eine ungeahnte Verwandlung durch.
Das Horn ist kaum verstummt, da stolpern Susan, George und alle anderen Ortsansässigen, die das Schiff lediglich zum Handeln, Wandeln und Trinken aufgesucht haben, fluchtartig von Bord. Einige der Damen und Herren benötigen dafür zwar tatkräftige Stützung, aber auch sie sind nach wenigen Minuten wieder an Land. Familien finden sich auf dem Kai zusammen, starke Jungs grölen beseelt herum, ein Mädel weint bitterlich. Wie überall auf der Welt winken die Zurückbleibenden den Abreisenden ihr Lebewohl.
Taue werden gelöst, Nabelschnüre gekappt, die Hafen und Schiff, Mutter und Kind, eben noch fest miteinander verbunden haben. Die Motoren arbeiten. Fast unmerklich beginnt sich das Schiff zu bewegen. Nach und nach wird der Abstand zum Kai größer. Wir nehmen Fahrt auf.
»War doch ganz nett hier, oder?«
»Ja.«
»Warum dann so einsilbig?«
»Abschied ist ein bisschen wie Sterben.«
»Katja Eb …«
»Sag jetzt besser nichts.«
Rolf will allein sein. In sich gekehrt schaut er zurück nach Mpulungu und lässt noch einmal unsere Wege der letzten Tage Revue passieren. Vom Hafengelände rüber zum kleinen Markt mit der Anlegestelle für die lokalen Fischer und weiter zur Bar des investitionsfreudigen Engländers direkt am Strand vor der Nkupi Lodge.
Derweil hat die Besatzung an Bord alle Hände voll zu tun. Die Relikte des Jahrmarkts müssen weggefegt, die Planken geschrubbt werden. Das Frachtdeck wird mit Reisigbesen bearbeitet. Die Matrosen kehren Millionen von Maiskörnern zu kleinen Häuflein und schippen sie in den See. Dann wird in der Nähe des Vordecks ein dicker Schlauch an einem Rohrende befestigt. Der kräftige Wasserstrahl entfernt auch den letzten Dreck. Nasses Metall strahlt im grellen Sonnenlicht.
Erst jetzt ist zu erkennen, dass außer uns nur wenige Passagiere die erste Etappe nach Kasanga angehen wollen. Vereinzelt flanieren sie über die Decks oder stehen entspannt an der Reling. Die Liemba zeigt ihre andere Seite, wirkt unnatürlich leer. Die Schiffsbar, noch vor wenigen Minuten Zentrum von Jubel und Heiterkeit, ist umweht von Einsamkeit. Der leere Frachtraum reißt, einem zahnlosen Greis gleich, seinen tiefen Schlund auf, gierig nach neuer Befüllung.
Zwei Stunden dauert die Fahrt bis zum nächsten Halt. Auf See werden wir Sambia verlassen und in Tansania einreisen. Zwischendurch müssen die Uhren vorgestellt und Passformalitäten erledigt werden. Ein bürokratischer Akt, der Aufmerksamkeit verlangt. Für uns verwöhnte Schengen-Bürger mittlerweile ein lästiges Übel. Erstaunlich, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, unbehelligt durch Europa zu düsen. Eine Selbstverständlichkeit, die einen sich angesichts der offensichtlichen Vorteile heute wundern lässt, warum die alten Nationen so viele Jahrzehnte dafür streiten mussten.
»Keine Einreise ohne Ausreise.«
»Wie bitte?« Ich drehe mich um.
»Sind Sie offiziell ausgereist?«
»Was, wenn nicht?«, entgegne ich in einem Anflug von Übermut.
Vor mir steht ein untersetzter Beamter mit freundlichen Gesichtszügen. Er hat seine Zelte in einer Kabine der 1. Klasse aufgeschlagen. Ein Vertreter der tansanischen Administration, der mit der Aufgabe betraut ist, an Bord hoheitliche Rechte zu vollstrecken. »Wenn Sie nicht ordnungsgemäß ausgereist sind, müssten Sie in Kasanga von Bord