Von GOETZEN bis LIEMBA. Sarah Paulus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sarah Paulus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783737527675
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die maroden Gleise. Als wolle sie dem Fegefeuer entkommen. Unsere schlafenden Körper hüpfen auf den Liegen auf und ab, dem Absturz gefährlich nahe. Das geht bis Uchindile so, bis zum nächsten Morgen, der sich zur Abwechslung schottisch gibt. Dicke Nebelschwaden wabern durch strauchiges Bergland. Die Luft kriecht feucht und schwer durch das nicht verschließbare Fenster ins Abteil. Es ist kalt in diesen frühen Morgenstunden. Hin und wieder ein zarter Sonnenstrahl, der durch die feuchten Nebelschwaden dringt. Die erste Nacht ist überstanden. Und als habe die zarte Sonne sie gezähmt, rumpelt die Lok wieder gemächlich durch die Kurven. Ganz die Harmlose. So als sei nichts geschehen. Wir sitzen herum. Schwatzen hier und da. Schauen gedankenversunken aus dem Fenster. Den ganzen Tag über ziehen Orte vorbei. Mkambako, Malamba, Mbeya, Mirgendwas.

      In der zweiten Nacht, zur Geisterstunde, erreichen wir die tansanisch-sambische Grenzregion. Im Grenzbahnhof Nakonde kommt der Zug zum Stehen. Wir treffen erneut auf uniformierte Matronen, diesmal mit Taschenlampen, Formularen und Stempeln bewaffnet. Ihre korpulenten Körper werfen beängstigend große Schatten ins Abteil. Verschlafen blinzeln wir ihnen entgegen. Doch die Damen erweisen sich als wahre Frohnaturen und schlagen sich wiehernd auf die dicken Schenkel, als Herr Rolf zu scherzen wagt. Dreißig Minuten werden wir administrativ versorgt, dann ist der Spuk vorbei, wir können weiterschlafen. Nach insgesamt 1230 Schienenkilometern und 39 Stunden Zugfahrt erreichen wir das Etappenziel: Kasama. Es ist 5 Uhr morgens. Fünf Stunden Verspätung.

      »Wir wollen weiter nach Mpulungu.« Mama blickt uns kritisch an. »Dort ist gerade die Cholera ausgebrochen«, weiß sie zu berichten. Die Entwicklungshelferin aus Kenia hört sich gern reden und logiert gemeinsam mit anderen Wohltätern im Thorn Tree Guesthouse. Wie, Cholera? Steht Mpulungu unter Quarantäne? Wird die Liemba hunderte kranke Menschen an Bord haben? Die UNICEF-Dame zuckt, ausnahmsweise einmal schweigsam, mit den Schultern. Details scheinen nicht ihr Fachgebiet zu sein. Hazel und Ewart Powell müssen ebenso passen, obwohl die Lodgebetreiber seit 1969 in Kasama leben.

      Zwei Tage und weitere 200 km Busfahrt später erreichen wir Mpulungu, das Zentrum der Epidemie. »Choleraausbrüche gibt es hier immer wieder. Diesmal ist es durchaus ernst, aber sie arbeiten daran«, zerstreut Charity unsere Sorgen. Seit Jahren betreibt sie für einen indischen Eigentümer die Nkupi Lodge.

      Wohlan. Es ist Dienstagnachmittag. Die Liemba soll am Freitag eintreffen. Genügend Zeit also, die einzige sambische Hafenstadt am Tanganjikasee ausreichend zu würdigen. Doch was genau tut man drei Tage lang in dieser Gegend? Drei Tage, von denen wir Globetrotter anfangs noch nicht wissen, dass es sogar vier werden. Gut, schwitzen ist ein Anfang. »Its too hot«, stöhnen selbst die Einheimischen. Mpulungu gilt als einer der heißesten Orte des Landes. Aufstehen, duschen, anziehen, essen, trinken – alles dauert doppelt so lange. Selbst schlafen. Beim ersten Blick auf die Uhr ist der halbe Tag bereits Geschichte.

      Wir gehen zum Hafen. Das Areal an der Grenze zum Nachbarn Tansania ist durch einen hohen Zaun aus verbeulten Metallplatten verbarrikadiert. Wir stoßen das quietschende Tor auf und lugen vorsichtig dahinter. Eine Handvoll uniformierter Beamter sitzt an Klapptischen unter einem windschiefen Sonnenschutz. Angeregt lauscht die Gruppe der offensichtlich lustigen Geschichte des einzig zivil Gekleideten. Es ist nicht ganz klar, wer das Sagen hat. Zaghaft setzen wir einen Fuß vor den anderen und bewegen uns langsam auf die Versammlung zu.

      »Good afternoon«, grüßen wir aufgesetzt lächelnd und erklären freundlichst unser Anliegen. Dass wir Sambia toll fänden, aus Deutschland kämen und mit der Liemba fahren wollen. Ob wir vielleicht den Hafen ansehen und ein paar Fotos machen könnten? »No photo«, gibt einer der Beamten von sich. Dabei schaut er diktatorisch durch seine schlecht verspiegelte Brille. Unbeweglich und immerzu geradeaus. Wir hören von Permits und Arrangements, von Security und anderen wichtigen Dingen. »No photo«, mahnt der Diktator noch einmal und winkt uns durch.

      Vier klapprige Kähne liegen am Kai. Die Frachter Buragane und Sagamba werden nach Burundi aufbrechen, Rafiki und Murinzi sind auf dem Weg in den Kongo. In Säcke verpackte Cassava-Pellets werden von Hafenarbeitern in zerschlissenen Blaumännern verladen. Corporal Jacob Banda steht mit Kladde und Stift in der prallen Sonne und führt Strichlisten, weil selbst bei einer Lieferung für den Kongo alles seine Ordnung haben müsse. Er ist hoch erfreut über die Abwechslung und berichtet ausführlich von Maniok, dessen Wurzeln meist fermentiert und anschließend zu einer Art Brei oder Mehl verarbeitet würden. Getrocknet wirke Cassava auf den ersten Blick wie Gips, sei aber ein wichtiges Grundnahrungsmittel der Region.

      Eine breite Teerstraße verbindet den Hafen mit dem Zentrum der Stadt, links und rechts von Gebäuden gesäumt, die wie Zeitzeugen einer längst vergangenen Geschäftigkeit wirken. Mpulungu muss schon bessere Tage gesehen haben. Überall leere Häuser mit zerborstenen Fenstern, windschiefen Dächern und bröckelndem Putz. Rolf ist begeistert und stürzt sich in die Ablichtung der einstürzenden Altbauten. Wie heruntergekommene Anhalter stehen sie am Straßenrand. So als wollten sie in eine bessere Zeit mitgenommen werden oder einfach nur raus aus der Tristesse.

      Die endet tatsächlich weiter oben. Pulsierendes Leben entlang einer 500 m langen Einkaufsstraße. Laden reiht sich an Laden. Schilder mit verheißungsvollen Aufschriften wie Fiyakushala Guesthouse, Medeco Investment oder Uprising Zyanee hängen über den Eingangstüren und suggerieren boomende Geschäftstätigkeit. Im Roadside Special Bread hingegen wird am Verkaufstresen geschlafen, wenn das Brot ausverkauft ist. Gegenüber residiert der Platzhirsch: Maps Supermarket mit einem guten Angebot frischer Lebensmittel sowie Terrasse und Plastikstühlen. Der Laden gehört Alex, der jederzeit in seiner kleinen Ecke hinter der Kasse zu finden ist.

      Alex bietet den besten Kurs des Landes. Der halbe Ort tauscht Geld bei ihm. Heimische Kwacha in fremde Dollar und umgekehrt. Ohne Bürokratie und Schlangestehen. Noch vor einiger Zeit wurde der Dollar fast überall akzeptiert. Nun jedoch hat die sambische Regierung ein Dekret erlassen und mit der ewigen Zweitwährung kurzen Prozess gemacht. Bezahlung ist offiziell nur noch in Kwacha möglich. Ein echtes Problem für Reisende, wenn es weit und breit keine Wechselstuben gibt und die einzigen zwei Banken vor Ort kein Interesse an funktionierenden Geldautomaten zeigen.

      Wir kommen jeden Tag bei Alex vorbei. Auf eine Brause oder zwei. Lungern stundenlang mit Einheimischen auf der Terrasse herum, von der die Straße ohne große Mühe zu überblicken ist. Der Taxistand, die Bushaltestelle, der gesamte lokale Verkehr. »150 000 Einwohner leben hier«, wissen Mike und Cynthia, zwei Missionare von Youth for Christ, die seit Jahren in Mpulungu leben und regelmäßig bei Alex einkaufen. So viele Menschen in diesem kleinen Ort? »Die meisten wohnen in den umliegenden Siedlungen«, erzählen die gebürtigen Südafrikaner später bei einem gemeinsamen Abendessen in ihrem Haus. Ihre Organisation ist in mehr als hundert Ländern tätig und unterstützt in Zusammenarbeit mit den lokalen Kirchen soziale und medizinische Projekte.

      »Beim aktuellen Choleraausbruch sind wieder einige Menschen gestorben«, berichtet Cynthia, eine gelernte Krankenschwester, während sie gefiltertes Wasser aus dem Tanganjikasee in unsere Gläser füllt. Aufklärung sei ein wichtiges Thema. Überall im Ort hängen Zettel, die über die Krankheit informieren. Vor beinahe jedem Shop sind Wassereimer und Seife zum Händewaschen aufgestellt. Initiativen und Aktionen, die in die richtige Richtung gehen. Sonst jedoch ist von einer Epidemie nichts zu spüren. Weder so etwas wie Quarantäne, noch irgendeine Art von Aufregung.

      »Die schon wieder.« Hafendiktators Körpersprache am nächsten Morgen ist eindeutig.

      »Wir kommen aus Deutschland und wollen …«

      »Das weiß er doch schon«, zischt Rolf.

      »… mit der Liemba fahren. Wissen Sie, wann das Schiff kommt?«

      »Manchmal Freitag, manchmal Sonnabend. Wenn sie am Sonnabend kommt, dann meist recht früh.«

      »Und wissen Sie …?«

      »Bitte kommen Sie morgen wieder vorbei.«

      »Seid ihr sicher, dass die Liemba wirklich fährt?«, fragt Dave skeptisch. Der Südafrikaner tourt seit seiner Pensionierung in einem Landrover mit Dachzelt durch Afrika. Eine Schiffspassage hat er nicht geplant, gesehen hätte er die Liemba aber schon ganz gern. Wir sitzen in der Küche der Nkupi Lodge, wo es sogar elektrisches Licht gibt. In Mpulungu fällt gern mal der Strom aus, vorzugsweise bei Einbruch