Der Casta-Zyklus: Initiation. Christina Maiia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Maiia
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844264579
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lachend durch. Die Bar ist noch relativ leer zu dieser Zeit. Sie wird sich erst in etwa einer Stunde bis zum Anschlag füllen, wenn nicht nur die lokalen Freunde der Nacht, sondern auch die coolen Hipsters aus den Nobelvierteln anrücken werden, um sich auszutoben. Quincy hat nicht allzu viel dagegen, solange sein Laden läuft und er keinen Ärger mit den Bullen bekommt. Zum Glück gibt es Mo, falls eine angetrunkene Flachpfeife, dessen Papa zu viel Geld und zu gute Beziehungen zum Bürgermeister hat, sich mal wieder mit einem Gast aus dem Viertel anlegen muss. Mit seiner stoischen Fröhlichkeit und seinen 130 Kilo umfassenden Lebend-Masse kann Mo schnell für den nötigen Abstand sorgen.

      „Hey, Quincy“, freut sich Yoav, als er seinen Mentor entdeckt. Er klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter. Quin lehnt gerade entspannt an der Theke und goutiert wie immer seinen ersten Whiskey Sour des Abends. Wie so oft hat er sich seinen beigefarbenen Leinenanzug übergestreift und den passendem Panamahut aufgesetzt, was dem Kraftpaket eine geradezu absurde Aura von Leichtigkeit verleiht.

      „Hey Y, was geht heute, Junge? Bist du bereit?“

      „Wie immer, Quin, ich kann‘s kaum erwarten.“

      „Gut, gut. Um 1 geht dein Gig los. Kannst dich noch kurz warm machen, wenn du willst“, setzt Quincy mit einem Grinsen hinterher.

      „Nicht nötig, aber danke.“

      Yoav schlängelt sich schnell durch das Labyrinth der einfachen Holztische und der früh eingetroffenen Freunde der Drinks und des Jazz und der Frauen hindurch. Vor dem nachtblauen Vorhang der Bühne ab wirft er seinen Lederbeutel ab und streicht dann liebevoll über den Tastaturdeckel des Flügels. Sein schwarzer Lack ist von den Jahren ganz spröde geworden. Doch das Innenleben, die vergilbten Tasten aus Elfenbein und Ebenholz, die Saiten, Hölzer und Filze, die schon viele Bühnen und zu viele unsensible Finger gesehen haben, produzieren einen Sound, der Yoav seine Augen schließen und die Welt da draußen komplett vergessen lässt. Der Klang dieses Instruments ist so einzigartig, dass manchmal, in besonders genialen Momenten, wenn er ganz allein mit ihm ist, wenn alle Gäste gegangen sind und er nur für sich und vielleicht noch für Quincy und Mo darauf spielt, ihm geradezu sphärisch vorkommt - wie etwas aus einer anderen Welt. Dieser Flügel legt eine Magie auf alles, das um ihn herum existiert, zumindest für Ohren, denen die Seele noch nicht abhandengekommen ist.

      „Bis gleich“, verabschiedet sich Yoav von seiner Muse und schlendert vorfreudig zurück zu Quin an die Bar.

      „Es wird voll heute, mach dich auf was gefasst“, warnt ihn der Barbesitzer vor. Ein ironisches Lachen bahnt sich vorne durch seine vollen Lippen. Es legt eine Lücke in der strahlend weißen Zahnreihe frei, die Quin irgendwie kumpelhaft aussehen lässt. Doch dies trifft selten zu. Wenn sein Mund schweigt, kann einem ganz gewaltig eng um den Hals werden, erinnert sich Yoav an ihre erste Begegnung. Doch bei Menschen, die Quin mag, explodiert sein Lachen und man wird schnell wieder relaxed.

      „Kein Problem, ich werde schon für den Sound sorgen, den du brauchst, um die Gläser voll zu kriegen“, erwidert Yoav ironisch.

      „Du weißt schon, mein Junge, ich mein‘s nicht so. Aber heute ist Freitag und da kommen die ganzen Schnösel in ihren schwarzen Anzügen. Da geht‘s nur noch um Weiber und um Saufen. Die werden wenig von deinem göttlichen Spiel mitbekommen.“

      „Das ist ok, Quin, ich kann damit leben, wenn du‘s auch kannst“, grinst Yoav zurück.

      „Die üblichen 5% für die Studenten-Kasse, Y“, legt Quincy fest. Dann zieht er bereits zur Eingangstür davon, um eine Gruppe wichtiger Gäste persönlich zu begrüßen.

      Y, denkt sich Yoav, sie nennen mich hier Y, wie why. Das passt irgendwie.

      Hoffnung

      Ein ungewohnter Zigarettengeruch entströmt den abgetragenen Kleidungsstücken, als Xavier sie sich in dem fensterlosen Bad seines Apartments endlich abstreifen kann. Es ist für ihn eigentlich abstrus zu rauchen, allein schon wegen seiner Stimme, doch als er den Jungen heute gesehen hat, draußen auf dem alten Schlachthofgelände, hat irgendetwas in ihm befohlen, Kontakt aufzunehmen. Eine starke Intuition. So etwas wie eine Vorahnung, vielleicht.

      Dieser Junge ist etwas Besonderes, sagt sich X, während er jetzt das Teewasser für seine Zeremonie aufsetzt, für sein kleines Labsal, das er nach jedem dieser Ausflüge in die schmutzigen Gedärme der Stadt so dringend benötigt. Doch heute fühlt er sich enthusiasmiert durch einen Funken Hoffnung, den diese Begegnung für ihn gebracht hat, als sei sie eine Antwort auf seine sich immer wiederholenden Gebete gewesen.

      „Ich hoffe, dass er wieder kommt“, flüstert X mit sich selbst. Nein, ich weiß, dass er wieder kommt, ermahnt er sich dann mental. Es ist sehr wichtig, eindeutig zum Ausdruck zu bringen, was man in sich spürt. In all den Jahren der Vorbereitung in seinem Orden hat er gelernt, die inneren Bilder und Emotionen, wenn sie so klar zu ihm kommen wie heute, nicht mehr zu hinterfragen und zu analysieren, bis nichts mehr von ihnen übrig ist, sondern sie für ein Wissen aus den tiefen Schichten seines Seins und aus den kollektiven Schwingungen des Universums zu halten. Für einen Fakt jenseits aller Logik und jenseits allen Trugschlusses des äußeren Scheins. Sat nam, truth is my name, bestärkt sich Xavier mit dem heiligen Mantra.

      Dieser großgewachsene Junge hat auf ihn Eindruck gemacht, mit seiner selbstverständlichen Art, mit einem Penner eine Zigarette zu teilen, mit seinen wachen, wissenden Augen, seiner athletischen und doch sensiblen Gestalt und seinem äußerst intelligenten Kopf, der unter dem dunklen, gelockten Haarschopf hervor gelugt hat. Er hat etwas so Reifes an sich gehabt, eine Erfahrung vielleicht und eine Weisheit, die Jungen seines Alters sonst nicht haben, und auch eine Ernsthaftigkeit, die unüblich ist und die sich auch in der Art seiner Frage ausgedrückt hat. „Was bringt Sie hierher, an diesen Ort?“, hallt es in Xaviers Erinnerung wider. Das war keine Floskel, sondern echtes, tief empfundenes Interesse.

      Beruhigt streift sich X seinen schwarzen Kimono über, als er mit seinen Waschungen fertig ist, und schenkt sich eine Tasse Tee in die flache, dunkle Ton-Schale ein. Er nimmt einen tiefen, langsamen Schluck und spürt mit wachen Sinnen die wunderbare, feine und belebende Flüssigkeit in seinen Körper hinab sinken. Alles wird gut, bestätigt er sich selbst. Ich weiß, er wird wiederkommen und dann werden wir gute, fruchtbare Gespräche miteinander führen. Und vielleicht, wenn ich ganz viel Glück habe, wird er mir dabei helfen können, sie zu finden.

      Die Ältesten

      Angespannt betritt Salomon das weitläufige Zentralforum, das er zuletzt vor einigen Jahren gesehen hat. Mein Name gilt hier noch etwas, stellt er erleichtert fest, als er mit aufrechter Brust auf die sieben Ältesten von Casta 3 zusteuert, welche er zu diesem besonderen Treffen hierher gebeten hat. Alle sind gekommen. Er setzt sein gewinnendstes Lächeln auf, schüttelt nacheinander die Hände der wichtigen Entscheidungsträger und investiert hier und da ein paar Worte der Anerkennung.

      Dennoch fühlt er sich gespalten, vielleicht aus alter Erfahrung, denn die Ältesten wissen um ihre Wichtigkeit und können zuweilen eine nicht zu unterschätzende Dynamik entfalten. Sal hat dies schon am eigenen Leib erfahren müssen, wenn er auch hier, in Kishas Fall, solcherlei Probleme nicht erwartet. Wir kennen alle die Bedeutung der großen Mission, ermutigt er sich, und Kishas kleine, aber nicht unwichtige Rolle darin.

      „Schön, Sie wieder zu sehen, Salomon. Wie geht es Ihnen?“, eröffnet Richard, das dienstältestes Ratsmitglied und Vorsitzender der Sieben, das Gespräch, sobald alle Teilnehmer an dem schlichten, halbrunden Konferenztisch Platz genommen haben.

      „Danke, Richard, ich kann nicht klagen. Das sind spannende Zeiten, in denen wir leben.“

      „Wohl wahr, wohl wahr“, erwidert Richard. Er blickt zur Bestätigung kurz in die Runde der weiteren Ältesten. „Wir haben uns gefragt, Salomon, welches so außerordentlich wichtige Thema Sie wohl heute zu uns führen mag.“

      „Zunächst möchte ich Ihnen allen ausdrücklich dafür danken, dass Sie so kurzfristig Zeit gefunden haben, mich zu empfangen“, beginnt Sal. „Ich weiß, Sie haben sehr wichtige Aufgaben zu