Der Casta-Zyklus: Initiation. Christina Maiia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Maiia
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844264579
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dreht sich zu ihm um. Seine Augen fliehen schnell. „Ein schönes Haus hast du da“, bemerkt er, um von seiner Verwirrung abzulenken. Werde ich mich jemals nicht wie ein Teenager fühlen, wenn ich sie sehe?

      „Danke, das ist sehr nett von dir.“ Eve geht mit der Teekanne auf ihn zu. Für einen Augenblick beobachtet auch sie diesen Mann. Salomon Stone. Seltsam. Eve spürt ein Gefühl in sich, das ihr nur allzu bekannt vorkommt. Wie kann das sein, nach all dieser Zeit? Und doch ist da seine Stimme, die nicht so recht zu der in ihrer Erinnerung passen will, vielleicht weil etwas anderes in ihr mitschwingt, eine Art Bruch, eine Wunde vielleicht oder einfach nur der grobe, unaufhaltsame Abrieb der Zeit. Sie setzt sich ihm gegenüber und schenkt in beide Tassen den frisch gebrühten Darjeeling ein.

      Dann unterhalten sie sich ein wenig. Sie sprechen über banale Dinge des Alltags, das Wetter, die letzte Ernte, die Akademie, ein paar gemeinsame Bekannte. Sie machen harmlose Konversation, die dem Grad ihrer früheren Vertrautheit nicht gerecht wird, die aber für beide genügend Raum schafft, ihre Aufgewühltheit zu beruhigen. Sal rührt mit betont langsamen, kreisenden Bewegungen den Löffel in der Porzellantasse um, als würde er nach den Worten darin suchen, nach denen, für die er eigentlich hierhergekommen ist. Eine seltsame Spannung liegt jetzt in dem Haus, eine energetische Kollision von Damals und Heute, von Nähe und Distanz.

      Wir sind nicht mehr die, die wir waren, denkt Eve. Dieser Gedanke macht sie gefasster. „Danke, dass du so schnell gekommen bist. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen“, leitet sie zu ihrem eigentlichen Thema über.

      „Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, Eve. Das Mindeste, das ich für dich und Kisha tun kann.“ Sein Lächeln wirkt angestrengt. „Du weißt, ich würde alles für dich tun, was in meiner Macht steht. Das schulde ich dir.“ Er stockt eine Sekunde. Warum hat er das nur gesagt? Eine erste Ahnung beschleicht ihn, dass er hier nicht mehr heil herauskommen wird, und noch schlimmer, dass er es auch gar nicht will. Er schaut sie an, suchend.

      „Das ist doch Schnee von gestern“, entgegnet Eve gelassen. Ihr Blick bleibt fast neutral.

      Ein kleiner Stich bohrt sich in Sals Herz. Warum? Wäre es ihm lieber, es läge eine Anklage in ihrem Ton, ein Beweis dafür, dass es ihr schwer gefallen ist, ihn damals gehen zu lassen, dass sie immer noch wütend auf ihn ist? Warum ärgert er sich nur so über ihre Losgelassenheit? „Nein, nein, ich bestehe darauf“, erwidert er schnell. „Es war richtig, mich zu kontaktieren, und ich werde dich nicht enttäuschen.“

      „Schön“, entgegnet Eve freundlich, „magst du vielleicht ein Stück Kuchen? Es ist Kishas Lieblings-Sorte. Ich backe ihn fast jeden Sonntag für sie, wenn sie von der Akademie nach Hause kommt. Außer an solchen natürlich, wenn sie auf einer Mission.......“ Sie stoppt plötzlich. Ein kleiner Schatten fällt über ihr Gesicht.

      „Hast du vielleicht ein Foto von der Kleinen?“, rettet Sal sensibel die Situation.

      „Aber sicher.“ Das holografische Display, das Eve über einen kurzen mentalen Befehl ansteuert, schaltet sich sofort hinter Sal ein. Er dreht sich um.

      „Sieht sie nicht ganz wie ihr Vater aus?“, freut sich Eve. „Dieselben Haare, dieselbe Stirn und diese rebellische Körperhaltung, ganz so wie Martin.“

      Salomon lächelt angespannt. Sein Lächeln wirkt ambivalent, eine Mischung aus Stolz, Freude und Scham. Hier ist sie also, das kleine Wesen, das ich für meine Missionen aufgegeben habe, für meine dummen Ambitionen. Schon so groß und so sehr ein Abbild ihres Vaters. Du hast dich vor deiner Aufgabe gedrückt, Sal, sie einfach Eve überlassen, ein elender Feigling bist du.

      Das Gefühl des Scheitern jenseits all seiner Erfolge auf den großen Missionen überkommt ihn in diesem Augenblick wie eine Flut, die sich bis hierhin aufgestaut hat. Er weiß, er wird sie nicht mehr lange aufhalten können. Schon jetzt verspürt er den Impuls, Eve zu Füssen zu fallen und sie um Vergebung anzuflehen, doch er weiß auch, dass das viel zu selbstsüchtig, zu kindisch und zu früh wäre. Wie kann man fast zwanzig Jahre Schuld mit so einer infantilen Geste tilgen wollen. Nein, er wird es auf andere Weise wiedergutmachen müssen, dauerhafter, verlässlicher, reifer. Sal atmet tief durch und unterdrückt mühevoll den Drang in seinen Augen. Dann dreht er sich wieder zu Eve um. „Schon so erwachsen“, sagt er so gelassen wie es ihm gelingt.

      Eve nickt. Sie hat ihn studiert, während er das Bild in sich aufgesogen hat. So wie früher kann sie in diesem Gesicht alles lesen. Sie sieht den Stolz, die Scham und die Rührung. Sal liegt wie ein offenes Buch vor ihr, gleichgültig wie sehr er sich auch noch um Haltung bemühen mag, und als sie ihn so sieht, bewegt sich unerwartet auch etwas in ihr. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum er jetzt hier ist, erkennt sie in diesem Augenblick, und dieser Grund heißt Liebe. Die Liebe, die sie alle drei miteinander verbindet, unauflösbar, von Anfang an und für immer, ganz gleich, wie viele Lichtjahre zeitweise zwischen ihnen gelegen haben mögen und wie viel Schuld. Und diese Liebe gebietet ihr jetzt, ihm diese Chance zu geben, diese zweite Chance, alles für sich selbst und für sie drei wieder gut zu machen.

      „Komm“, sagt Eve mit einem warmen, fast zärtlichen Ton zu Sal, „ich zeige dir das Zimmer deiner Enkelin.“

      Yoav

      Kaum hat er die Türen der Bibliothek hinter sich gelassen, umarmt ihn bereits die Hektik der Stadt mit ihren Gliedmaßen, während ihr omnipräsenter Geräuschteppich wie ein Tsunami über ihn hinweg rauscht. Jedes Mal, wenn er die Lern-Session beendet, das Laptop zusammenpackt und nach draußen geht, überkommt ihn das starke Gefühl, als er entere eine andere Welt, als bildeten die Drehtüren aus dem Lesesaal der Uni eine Art Wurmloch zwischen zwei völlig voneinander unabhängigen Universen, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben wollen.

      Müde und enthusiastisch von einem ergiebigen Tag mit der Nase in dicken Wälzern galoppiert er die breiten Steintreppen hinunter. Auf dem Absatz spürt er ein flaues Gefühl im Magen. Wann hast du das letzte Mal was zwischen die Kiemen gekriegt, fragt er sich in dem ironischen Ton, mit dem er sich an guten Tagen mit sich selbst unterhält. Und heute ist genau so ein Tag. Die Sonne eines noch frühen, launischen April scheint motivierend auf die emsigen Ameisen der Stadt herab. Bald bin ich auch eine von ihnen, denkt sich Yoav, bald habe ich den Abschluss in der Tasche und dann ist es vorbei mit diesem freien, selbstbestimmten, geilen Studenten-Leben, mit den langen Nächten, den stundenlangen Computer-Sessions, den ziellosen Diskussionen nach ein paar Bier und einer Fluppe mit diesem Freak von einem durchgeknallten Roommate. Schluss mit den lockeren Klamotten, den ungewaschenen T-Shirts, den ausgelatschten Sneakers und dem roten Lieblings-Sweatshirt. Dann werde ich so ein steifer Schlipsie wie die Ameisen da draußen. Seine Stirn kräuselt sich bei dieser nicht allzu attraktiven Vorstellung. Aber was hab´ ich denn für eine Wahl.

      Es ist noch Zeit für einen Burger, nicht dieses Dreckszeug mit der wuchtigen Vorsilbe, das die Großstadt wie eine Epidemie überschwemmt und zu einem kulinarischen Niemandsland hat verkommen lassen. Wie kann man dieses Zeug nur essen, hat er sich oft gefragt, wenn seine Kommilitonen den Mist suchtartig in sich reinstopften, ohne wirklich satt davon zu werden. Nein, lieber zu Tony, der noch weiß, wie man einen Burger macht, richtig frisch, knackig, riesig und mit ganz viel Liebe. Die paar Meter mehr lohnen sich immer, beschließt Yoav und wirft sich in Vorfreude seinen abgenutzt aussehenden, braunen Lederbeutel über die Schulter.

      Zielstrebig biegt er um ein paar Blocks und dann in die enge Hinterhofgassen ein, welche die gläsernen Hochglanz-Fassaden und immer höher wachsenden Architekten-Tempel Lügen strafen. Hier, in diesem Paralleluniversum der Metropole, stapeln sich haushoch die Müllsäcke, Abfälle und Nebenprodukte der ach so hohen Zivilisation, die Dinge und Menschen, die sie als nutzlos ausgespuckt, weggeworfen und sich selbst überlassen hat. Bis der Gestank da oben in den noblen Etagen ankommt, denkt sich Yoav. Er weiß das. Der Grat zwischen der einen oder anderen Welt ist so schmal wie der Bordstein, der sie voneinander trennt, und wenn man nicht von Haus aus mit ordentlich Kohle aufgewachsen ist, dann hilft einem nur noch ein heller Kopf und sehr, sehr viel Glück. Yoav ist äußerst dankbar für den zweiten Teil dieser Gleichung, der ihm in die Wiege gelegt wurde, warum auch immer, pures Schwein, was nicht heißt, dass er die andere Seite nicht