Der Casta-Zyklus: Initiation. Christina Maiia. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina Maiia
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844264579
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Und dir, mein Junge?“

      „Ich hab‘ uns was zum Essen mitgebracht. Die besten Burger der Stadt. Ganz frisch“, erwidert Yoav, während er das Gesicht des Alten zum ersten Mal im Sonnenlicht inspiziert. Fast keine Falte auf dieser hellen, immer noch makellosen Haut. Und diese weichen, runden Gesichtszüge erst, stellt er erstaunt fest.

      „Das ist ganz ungemein nett von dir, Junge. Ich habe in der Tat etwas Hunger. Komm doch, setze dich zu mir.“

      Die wohlklingende, tiefe Stimme hat sofort eine entspannende Wirkung auf Yoav. Er nimmt ohne nachzudenken neben ihrem Besitzer Platz, als sei es das Selbstverständlichste, das er auf dieser Welt tun kann.

      „Mein Name ist übrigens Xavier“, streckt ihm der Alte freundlich seine rechte Hand entgegen, die heute keine Handschuhe trägt und so hellhäutig und ebenmäßig ist wie sein Gesicht. „Und wie heißt du?“

      „Ich bin Yoav.“

      „Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Yoav. Danke noch für die Zigarette neulich“, erwidert der Alte. Seine Augen haben wieder dieses durchschauende Blitzen angenommen, das Yoav schon an dem besagten Abend aufgefallen ist.

      „Hab‘ ich gerne getan.“

      „Ich freue mich sehr, dass du mich besuchen kommst. Mmmh, der Burger ist wirklich erstklassig. Wo hast du den hergeholt?“

      „Um die Ecke, von Tonys Imbissbude. Ich gehe sehr oft da hin. Tony ist ein guter Freund. Er macht einfach alles mit ganzem Herzen oder lieber nicht.“

      „Klingt nach einem prima Kerl“, antwortet Xavier noch unter Kauen. „Meinst du, ich könnte dort auch hingehen, ab und zu, meinst du, er würde mir auch so einen fantastischen Burger wie diesen hier machen?“

      „Sicher. Tony erkennt sofort einen anständigen Typen. Und wenn Sie sich ab und zu erkenntlich zeigen und ihm sagen, dass ich Sie geschickt habe, hat er sicher auch was für Sie übrig.“

      „Du magst ihn sehr, nicht wahr?“

      „Ja“, erwidert Yoav fest und nachdenklich zugleich, „er hat mir einmal sehr geholfen, als es mir nicht so gut ging.“

      „Das ist wichtig, solche Menschen als Freunde zu haben, Junge, ich kann dir gar nicht sagen wie sehr. Halte sie immer in Ehren, hörst du? Sie sind zu selten in dieser Stadt.“ Xaviers Stimme klingt seltsam melancholisch.

      „Aber wie kommen Sie denn hierher an diesen Ort?“, hakt Yoav neugierig nach, „wie hat es Sie hierher verschlagen?“

      „Lassen wir doch das förmliche Sie, Yoav, ich bin Xavier, und wir beide sind gleich wichtig. Also, um deine Frage zu beantworten, lasse mich dir doch bitte eine Gegenfrage stellen: Wie kommst du hierher?“

      „Also, keine Ahnung, ich lebe hier, ich studiere hier, ich gehe zu Tony und so weiter. Wie meinen Sie, äh, wie meinst du das?“ Yoav ist leicht verwirrt.

      „Ich meine, warum hast du gewählt hier zu leben, in dieser Stadt? Ist es hier, wo du wirklich sein willst?“, bohrt Xavier nach. Seine hypnotisierende Stimme hat nur vordergründig einen lässigen Ton.

      Yoav überlegt ein paar Sekunden, bevor er antworten kann. „Über diese Frage habe ich noch nie wirklich nachgedacht. Es kam einfach so und ich hab‘ dann einfach versucht, das Beste daraus zu machen.“

      „Aber wenn du es dir frei aussuchen könntest, wo würdest du dann leben wollen?“, fährt Xavier unbeirrt fort.

      „Ich weiß nicht. Ich denke, die wesentliche Frage ist nicht so sehr wo, sondern wie.“

      „Eine gute Antwort, Yoav, eine sehr gute Antwort. Eine, die du unbedingt weiter verfolgen solltest. Wie. Ja, darauf kommt es an“, meint Xavier. Sein Blick geht selbstvergessen zum beginnenden Sonnenuntergang hin.

      „Ich denke, was ich will, beziehungsweise was mich hier stört, ist diese Getrenntheit von allem, dieses Sich-Abschirmen-Müssen der Leute, nichts geht wirklich zusammen, alles bleibt so seltsam steril. Wenn ich aus der Uni-Bibliothek komme, habe ich immer das Gefühl, als würde ich ein völlig anderes Universum betreten, eben noch diese antiquierten Bücher, das uralte Wissen, die Mythen, das Handfeste, das für mich dennoch einen seltsamen Sinn macht, jedenfalls sehr viel mehr als das da draußen, diese komische Zerrissenheit, diese Schnelligkeit und Oberflächlichkeit, in der alles immer ständig neu und total angesagt sein muss, und immer noch mehr und noch neuer und noch angesagter. Wo soll das noch hingehen, frage ich mich. Ich finde diesen Kontrast, diese Trennung manchmal geradezu pervers. Das ist etwas, woran ich mich nur total schwer gewöhnen kann in dieser Stadt.“

      Xavier hat aufmerksam zugehört. Er spürt, dass den Jungen gerade etwas sehr beschäftigt, also entscheidet er sich, noch ein wenig weiterzumachen. „Das hast du sehr treffend und wahrhaft beschrieben. Ich empfinde das ähnlich wie du. Aber sage mir, gibt es denn Momente, in denen du dich ganz eins und vollständig mit dir fühlst?“

      Yoav antwortet, ohne nachzudenken. „Ja, wenn ich allein auf dem Flügel spielen kann, wenn ich ganz in meine Musik eintauchen und mich darin treiben lassen kann, ohne zu denken, ohne all den Lärm da draußen, ohne dass jemand etwas von mir will, das sind die mit Abstand geilsten Momente, die ich kenne.“ Sein Gesicht strahlt.

      „Ich würde etwas darum geben, das einmal hören zu dürfen, Yoav. Ich bin sicher, du spielst ganz wunderbar“, kommentiert Xavier.

      Die Sonne erreicht das Ende des Horizonts und beschenkt die beiden Männer mit einem überwältigenden Kaleidoskop an Farben, das sie in ihrem Gefolge hinter sich her zieht. Für einen langen Moment schweigen Xavier und Yoav miteinander, als seien sie in Wahrheit alte, vertraute Freunde, die in stiller Harmonie die Schönheit des abendlichen Naturschauspiels auf sich wirken lassen.

      „Meinst du, die Menschen in der Stadt da hinten schauen sich das jemals richtig an?“, fragt Xavier leise nach einer halben Ewigkeit in die angenehme Stille hinein.

      „Ich glaube nicht“, erwidert Yoav ein wenig traurig.

      „Daran müssen wir etwas ändern, mein Junge, dringend etwas ändern.“

      Ehrgeiz

      Hinter Professor Todds unaufgeräumtem Schreibtisch blinkt das Display und signalisiert ihm einen eingehenden Anruf. Er ist nicht weiter überrascht. Entspannt setzt er sich in seinen bequemen Sessel und stellt sich eine Tasse Tee bereit, um den erwartungsgemäß pünktlichen, wöchentlichen Audio Call mit Avner aus dem Ältestenrat entgegenzunehmen. Mit einem kurzen mentalen Befehl schaltet er die Kommunikationseinheit frei. „Guten Morgen, Avner.“

      „Guten Morgen, Professor Todd, wie geht es Ihnen heute?“, tönt Avners sachlich-kühle Stimme flach durch das Büro.

      „Danke, ich kann nicht klagen, und Ihnen?“

      „Alles soweit bestens, Professor. Können wir beginnen?“

      „Sicher, wie immer gleich auf den Punkt, das schätze ich so an Ihnen“, erwidert Todd ein wenig amüsiert.

      „Danke, ich nehme das durchaus als Kompliment. Sie wissen, wir haben keine Zeit zu verlieren, und ich muss unsere heutige To Do Liste noch um einen Punkt erweitern.“

      „Und der wäre?“, will Todd überrascht wissen. Avner bereitet den Call sonst immer perfekt vor. Er kann sich nicht erinnern, wann er schon einmal spontan einen neuen Punkt mit auf die Liste genommen hätte.

      „Salomon Stone hat gestern beim Ältestenrat in Sachen Kisha Moon vorgesprochen. Ich weiß, Sie beide kennen sich aus der Akademie und sind befreundet. Wussten Sie von seiner Absicht, mit dem Ältestenrat zu sprechen, und wissen Sie von dem Ergebnis dieses Gesprächs?“, bohrt Avner nach, wie immer nicht ohne konkrete Absicht.

      „Ehrlich gesagt, nein, aber es verwundert mich auch nicht weiter. Salomon ist sehr engagiert in dieser Sache, ich denke wegen Kishas Großmutter“, erwidert er wahrheitsgemäß, aber vorsichtig. Nicht zu viel preisgeben. Avner ist ein gerissener Hund mit einer immer etwas eigenen Agenda. Nicht umsonst ist er der Spezialbeauftragte des Rats